Akuttherapie
Auch die Therapie ist im vorliegenden Fall klar: Eine akute Therapie ist gefragt. Die Entzündung muss raus aus dem Fuß. NSAR sind hier indiziert. Naproxen (2 x 500 mg) ist bei den oft multimorbiden Patienten das NSAR der Wahl hinsichtlich der Gefährdung für Großgefäßereignisse, ergänzt mit einem Protonenpumpenhemmer als Magenschutz. Auch Kortison ist als Alternative angebracht, initial 0,6 mg/kg, also 40 bis 50 mg, dann täglich um 10 mg reduzieren, je nach Nebenerkrankungen und Gefährdungen. Bei Diabetes ist eher die Gabe von NSAR mit Magenschutz, bei Herzinsuffi zienz eher Kortison sinnvoll.
Eine Kombination beider Prinzipien (wie in der DEGAM-Empfehlung als Option genannt) ist überzogen. Man kann die Entzündung nicht zweimal beseitigen, außerdem ist die Spontanheilung ohnehin innerhalb von ein bis zwei Wochen zu erwarten. In internationalen Leitlinien, aber von der DEGAM aktuell nicht empfohlen ist ergänzend oder alternativ das altbewährte Colchicin, ein Mitosegift aus der Herbstzeitlose. In hohen Dosen (initial 2 – 4 x 0,5 mg) kann es zu Durchfall führen. Es gefährdet den Patienten aber weder bezüglich des Stoffwechsels, der Großgefäße noch einer Blutungsgefahr. Die Wirkung auf den Verlauf ist vergleichbar, sie wird sowohl durch Entzündungshemmung als auch durch Unterdrückung der Harnsäurebildung erreicht.
Eine Schmerztherapie ohne Entzündungshemmung, etwa aus der Hausapotheke mit Paracetamol oder Metamizol, nützt wenig, ebenso wie die Anwendung von Opioiden. Besser helfen alte Hausmittel (s. Kasten).
Diagnose
Nach allgemeinmedizinischen Kriterien ist diese Diagnose jedoch nicht ausreichend, allenfalls wäre die Stufe "Bild einer Krankheit" erreicht. Wem die klinische Diagnose nicht reicht, die sich aus diesen Symptomen und dem Verlauf mit guter Sicherheit ergibt, der kann sie sichern (lassen) mit einer Punktion des betroffenen Gelenks.
Die Rheumatologen schlagen zur Diagnosesicherung die Gelenkpunktion mit Nachweis der Uratkristalle vor. Das erfordert sofortige polarisationsmikroskopische Untersuchung, da sich die nadelförmigen Harnsäurekristalle rasch aufl ösen. Jedenfalls kann dies nicht beim Hausbesuch erfolgen, und auch kaum eine Hausarztpraxis erfüllt die hygienischen Anforderungen, um diese Untersuchung durchführen zu können.
Die DEGAM rät von einer diagnostischen Punktion ab. Für bestimmte schwierige differenzialdiagnostische Fälle ist sie wünschenswert und gangbar, aber nicht für die klinisch eindeutigen Fälle erforderlich. Andererseits ist mir ein Fall im Gedächtnis, bei dem nach mehrwöchigem Verlauf einer mäßig schmerzhaften Kniegelenksschwellung ohne Trauma, aber mit Erguss eben die Punktion mit dem Kristallnachweis die entscheidende und für den Patienten segensreiche Maßnahme war. Gedacht war sie eigentlich nur zur Entlastung. Wichtig ist, bei chronischen oder subchronischen Gelenkergüssen in großen Gelenken (es muss eben nicht immer die Großzehe sein!) auch mal an diese Erkrankung zu denken.
Die Bestimmung der Harnsäure im Serum kann die Diagnose im Anfall nicht bestätigen, denn die Harnsäure hat sich ja gerade im Gelenk gesammelt. Als Vergleichswert taugt der Akutbefund dann doch: Ein deutlicher Anstieg in den nächsten (vier) Wochen spricht für die Erkrankung, wie auch dann jeder Spiegel über 6 mg/ml bzw. 357 μmol/l.
Verlauf
Meist dauert es ein bis zwei Wochen, bis ein Betroffener wieder einigermaßen schmerzfrei gehen kann. Ohne Therapie oder mit Therapie. Der Unterschied liegt wohl in der Lebensqualität. Der Gichtanfall ist ein eindrucksvolles Ereignis für den Betroffenen, und die Aussicht auf wahrscheinliche Wiederholungen sind auch nicht rosig. Aber schon vor dem ersten Gichtanfall oder auch ohne, dass je ein solcher eintritt, wirkt das zugrundeliegende pathogenetische Prinzip, die Hyperurikämie. Die Gichtanfälle in den Gelenken beeindrucken und beeinträchtigen die Patienten am meisten, aber in ärztlicher Verantwortung muss man über die Gefahren auf lange Sicht und ihre Therapie informieren.
Englische und taiwanesische Autoren berichten anhand großer Register über eine 1,8-fach höhere Inzidenz von Schlaganfall und Myokardinfarkt bei Patienten, die einmal wegen Gicht im Krankenhaus behandelt wurden. Ist die Harnsäure-Erhöhung die Ursache oder nur ein Marker? Bisher ist eine Minderung der Gefährdung durch Senkung der Harnsäure nicht erwiesen. Jedenfalls ist das bisher keine Indikation für medikamentöse Maßnahmen. Vielleicht könnte sie es aber werden. Nach der Monarthritis am Anfang werden nach und nach weitere Gelenke einbezogen, Sehnen und Bursen, Knorpel und andere Weichteile, z.B. durch die Ablagerung von Harnsäure in „Gichttophi“. Selten sind die Sehnen auch die Anfangslokalisation – bei hartnäckigen Erkrankungen dieser Lokalisation wäre also bei unerwartetem Verlauf auch an die Gicht als Ursache zu denken und danach zu suchen. Wie bei chronischen Ergüssen im Kniegelenk und anderen Monarthritiden gilt auch hier: Daran denken!
Neben der Vermeidung von Gichtanfällen und der fortschreitenden Ablagerung im bradytrophen Gewebe, besteht weiterhin die Tendenz zur Uratsteinbildung in der Niere und die Entwicklung einer schweren chronischen Niereninsuffi zienz. Die Uratnephropathie entsteht, wenn sich Uratkristalle in den Tubuli bilden und ablagern. Größere Konglomerate bilden Steine. Uratsteine sind in der Sonografi e schlecht darstellbar, eine Computertomografi e ist zum Nachweis zweckmäßig. Eine konsequente Alkalisierung des Harns mit angepasster Ernährung (Pfl anzenkost sowie wenig Zucker und weißes Mehl) und Natriumbikarbonat (als magensaftresistente Tabletten gut verträglich) oder der Kombination aus Zitronensäure, Natriumcitrat und Kaliumhydrogencarbonat mindern die Gefahr.
Dauertherapie
Als medikamentöse Unterstützung zur Senkung des Harnsäurespiegels im Serum wird zunächst Allopurinol 100 bis 300 mg täglich eingesetzt. Allopurinol ist ein Urikostatikum ( Xanthinoxidase-Hemmer), es mindert die Harnsäurebildung im Körper. Als Alternative bei Unverträglichkeit oder unzureichender Wirksamkeit steht neuerdings Febuxostat zur Verfügung. Bei Kombination mit Benzbromaren, das die Ausschwemmung der Harnsäure über die Nieren fördert, kommen verschiedene Mechanismen zum Einsatz. Dadurch benötigt man geringere Dosen der einzelnen Komponenten. Die Anfallsvermeidung kann durch 500 mg Naproxen oder 0,5 mg Colchizin unterstützt werden.
Prävention
Soll man nun sofort eine harnsäuresenkende Therapie einleiten oder, wie die DEGAM-Empfehlung lautet, erst den zweiten Anfall abwarten? Man kann darüber streiten. Jedenfalls kann man zunächst den Patienten zu den nichtmedikamentösen Optionen beraten. Was kann die Ernährung leisten? Harnsäure entsteht aus den Bausteinen des Zellkerns, aus den Purinen über die Zwischenstufe Xanthin. Die Ernährungstherapeuten empfehlen einerseits purinarme Kost. Deshalb ist eine Milch-Mehl-Diät, Käse und Milch statt Fleisch, dabei helles Mehl statt Vollkorn oder mit Keimen angereichertes Mehl, ausgewachsenes Pfl anzengemüse (Möhren, Kohlrabi) statt knospendem (Spargelspitzen, Rosenkohl) zu bevorzugen. Andererseits kann durch die Ernährung die Säure-Basen-Bilanz beeinfl usst werden. Die Löslichkeit der Harnsäure in Wasser ist vom Säure-Basen- Gleichgewicht abhängig. Säuerung verschlechtert die Löslichkeit. Die Auslösung durch übermäßigen Fleischverzehr oder durch Fasten sprechen dafür. Pfl anzenkost alkalisiert eher. Eine Ernährungsumstellung ermöglicht eine Senkung des Harnsäurespiegels um bis zu 15 Prozent.
Abzuraten ist jedoch von Hungerkuren. Gerade beim forcierten Abspecken (immer mit Muskelverlust!) wird durch Zellverfall viel Harnsäure freigesetzt. Die Ausscheidung kommt nicht nach, und so entsteht ein hoher Serumspiegel mit der Tendenz zum Kristallausfall in Gelenken, in den Nierentubuli, in Knorpel, Sehnen und anderen bradytrophen Geweben. Das einmal geschädigte Gelenk ist prädestiniert für Folgeattacken, und später werden weitere Gelenke, insbesondere arthrotische einbezogen.
Anfällige Patienten halten Hände und Füße warm. Die Löslichkeit der Harnsäure ist auch von der Temperatur abhängig. Bei Unterkühlung der Akren wird die Präzipitation ins Gelenk oder Gewebe begünstigt. Der Beginn des Anfalls erfolgt oft morgens, denn die Körpertemperatur und der Kortisonspiegel sind zu dieser Zeit am niedrigsten. Bei allen Patienten mit Gichtanfällen oder nur erhöhtem Harnsäurespiegel besteht eine Kontraindikation für die Verordnung von Saluretika, die ansonsten in der Therapie von Herz-Kreislauf- Erkrankungen einen festen Platz haben. Der Verzicht auf Saluretika ist erforderlich, da diese die renale Ausscheidung behindern.
Die DEGAM-Benefi ts referieren eine australisch/kanadische Arbeit, wo Kolchizin in einer Dosierung von 0,5 mg täglich erfolgreich zur Prävention des Koronarsyndroms und des Schlaganfalls eingesetzt wurde. Die Numberneeded- to-treat (NNT) zur Vermeidung eines Ereignisses betrug 11. (Zum Vergleich: Statin braucht das Doppelte.) Kortison ist neutral, NSAR weisen mit Ausnahme von Naproxen eine zusätzliche Gefährdung auf.
Fazit
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Die akute Gicht ist anhand des klinischen Bildes leicht zu diagnostizieren und auch leicht zu behandeln.
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Bei chronischen Befunden ist an eine Gicht zu denken und diese ggf. durch mikroskopischen Kristallnachweis im Gelenkpunktat zu beweisen.
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Außer an den Gelenken kann sich die Gicht auch an den Nieren mit Uratsteinen und mit terminaler Niereninsuffizienz manifestieren. Auch Koronarsyndrome sind bei Gichtkranken häufiger. Darauf muss der Hausarzt achten, wenn er nicht nur die Arthritis, sondern den Menschen behandelt.
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Ernährung, Lebensweise und Medikamente dienen der Vermeidung von Anfällen und Progredienz.
Literatur beim Verfasser
Mögliche Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.