Im Sinne der Patientensicherheit gilt es vor allem bei schon länger psychisch stabilen Patienten zu prüfen, ob ein Absetzen von Antidepressiva infrage kommt. Was spricht dafür, was dagegen? Und wie sollten Sie in der Praxis vorgehen?
Antidepressiva gehören zu den am häufigsten verschriebenen Medikamenten. Ihre Verordnung hat in der letzten Dekade um mehr als 40 Prozent zugenommen. Gesetzlich versicherten ambulanten Patienten in Deutschland wurden 2020 insgesamt 1.682 Millionen definierte Tagesdosen verordnet [1].
Antidepressiva sind für die Indikationen Depression, Angst und Zwangserkrankungen zugelassen, weitere Indikationen sind Schmerz und Schlafstörungen. Sollten sich die Symptome nach Einnahme der Maximaldosis eines Antidepressivums nach vier Wochen nicht deutlich gebessert haben, muss auf eine andere Substanzklasse umgestellt werden bzw. müssen ein oder mehrere Augmentationsschritte erfolgen.
Im Interesse der Patientensicherheit ist es vor allem bei seit Längerem psychisch stabilen Patienten essenziell, eine regelmäßige Nutzen-Risiko-Abwägung durchzuführen und ggf. über ein Absetzen nachzudenken. Neben erwünschten und unerwünschten Arzneimittelwirkungen während der Einnahme gilt es Absetzphänomene zu beachten, die bei einigen Patienten auftreten [2].
Wie und wann kommen wir mit unseren Patienten in der Praxis darüber ins Gespräch? Besonders geeignet erscheinen Situationen, in denen der Medikamentenplan gesichtet wird, etwa während DMP- und Vorsorgeuntersuchungen, während eines Kontrolltermins der psychischen Erkrankung oder bei Absetzwunsch seitens der Patienten. In diesem Artikel wird nur das Vorgehen bei Patienten mit Vollremission besprochen.
Dauer der Einnahme
Laut Leitlinien zur unipolaren Depression [3] sollte die Einnahme des Antidepressivums nach Remission der ersten depressiven Episode für weitere sechs bis zwölf Monate in derselben Dosis erfolgen, nach zwei oder mehr Episoden für mindestens zwei Jahre.
Die Dosierung zur Rezidivprophylaxe entspricht dabei derjenigen der Akuttherapie. Bei einer mindestens mittelgradigen depressiven Episode sollte das Antidepressivum mit einer Psychotherapie kombiniert werden.
Kontinuierlich behandeln?
Nach der ersten depressiven Episode erleiden 40 bis 60 Prozent der Patienten ein Rezidiv. Dieses Risiko steigt mit jeder Episode um weitere 16 Prozent [2]. Das Rezidivrisiko im ersten Jahr nach der ersten Episode ist bei Weitereinnahme des Antidepressivums um 20 Prozent geringer als beim Absetzen [4,5].
Demgegenüber können Antidepressiva Nebenwirkungen wie sexuelle Dysfunktion, Gewichtszunahme und subjektive Begleiterscheinungen wie ein verändertes Gefühlsleben haben [6]. Interaktionseffekte mit anderen Medikamenten treten auf (zum Beispiel Clopidogrel, Metoprolol und Propranolol mit Fluoxetin) [7].
Eine Langzeiteinnahme von Antidepressiva ist mit gering erhöhtem Risiko für koronare Herzerkrankungen assoziiert [8,9].
Absetzen – aber wie?
Wie gilt es praktisch vorzugehen, wenn Sie ein Absetzen nach längerfristiger Einnahme erwägen? Ein Gesprächsanstoß können folgende Fragen sein: “Nehmen Sie das Antidepressivum noch ein? Haben Sie den Eindruck, es noch zu brauchen?” Danach sollten Sie eruieren, wie die Patienten den Nutzen des Antidepressivums erleben, inwiefern sie grundsätzlich offen sind, es abzusetzen und ob Ängste bezüglich des Absetzens vorliegen.
Die Grundlage für eine erfolgreiche gemeinsame Entscheidungsfindung ist das bedarfsorientierte Vermitteln von Wissen (Wahrscheinlichkeit für erfolgreiches Absetzen, Vor- und Nachteile, praktische Umsetzung, Monitoringkonzepte). Die wichtigsten Aspekte des Absetzens finden Sie zusammengefasst im Kasten unten.
Absetzphänomene
Treten nach Beendigung oder starker Dosisreduktion unerwünschte Symptome auf (circa 26 bis 86 Prozent der Patienten [12]), muss zwischen Absetzphänomenen und Rezidiv unterschieden werden (siehe Tabelle unten).