Serie ArzneimittelcoachAuf einen Blick: Amitriptylin

In dieser Serie stellen wir die für Hausärztinnen und Hausärzte wichtigsten Arzneimittel vor. Dieses Mal: Das Antidepressivum Amitryptilin.

Amitriptylin kann zur Behandlung von Depressionen verschiedener Ursache verwendet werden (Symbolbild).

Wirkung

Die antidepressive Wirkung von Amitriptylin und anderen trizyklischen Antidepressiva beruht wahrscheinlich darauf, dass diese Medikamente die Wiederaufnahme verschiedener Neurotransmitter (besonders Noradrenalin und Serotonin) an den entsprechenden Nervenendigungen hemmen. Amitriptylin hat auch eine starke anticholinerge Wirkung und wirkt als Antagonist an den adrenergen α1- und an H1-Histamin-Rezeptoren.

Indikationen

Amitriptylin kann zur Behandlung von Depressionen verschiedener Ursache verwendet werden und ist dabei (gemäß überwiegend älteren Studien) oft wirksamer als neuere Antidepressiva. Amitriptylin ist in vielen Vergleichsstudien als Referenzsubstanz verwendet worden. Wie bei anderen Antidepressiva ist die Wirkung häufig erst nach etwa drei Wochen klinisch manifest. Amitriptylin gehört zu den Antidepressiva mit ausgeprägter sedativer Wirkung.

Neben Studien, die eine schmerzlindernde Wirkung von Amitriptylin dokumentieren, gibt es auch solche, in denen kein solcher Effekt gezeigt werden konnte. Die Anwendung bei schmerzhaften Neuropathien, Fibromyalgie und anderen chronischen Schmerzzuständen beruht in erster Linie auf der klinischen Erfahrung. Die Wirksamkeit von Amitriptylin als Migräneprophylaktikum gilt dagegen als relativ gut nachgewiesen.

Für viele weitere propagierte Indikationen fehlt ein überzeugender Nachweis eines Nutzens. Wie andere Antidepressiva nützt es eventuell bei Bulimie, Bettnässen, Panikattacken und Zwangssyndromen. Bei Anorexie, Bruxismus und bei Tinnitus überwiegen dagegen die negativen Resultate.

Dosierung (Erwachsene)

Unerwünschte Wirkungen

Zahlreiche unerwünschte Wirkungen sind ganz oder teilweise der anticholinergen Aktivität von Amitriptylin zuzuschreiben: Übliche therapeutische Dosen verursachen häufig Müdigkeit, Mundtrockenheit (eventuell von Komplikationen wie Karies begleitet), vermehrtes Schwitzen, Tachykardie und Gewichtszunahme.

Beobachtet werden ferner orthostatische Hypotonie, Obstipation, Visusstörungen, Harnverhaltung und verschiedene zentralnervöse Symptome (z.B. Gedächtnisstörungen, Konfusion, suizidale Gedanken) sowie Störungen der Sexualfunktion (Abnahme der Libido und der Erektionsfähigkeit). Amitriptylin kann zu einer Verlängerung des QT-Intervalls und so zu bedrohlichen Arrhythmien führen.

Überdosierung verursacht vorwiegend kardiale Gefahren. Beim Absetzen von Amitriptylin können Entzugssymptome (Schlafstörungen, Ruhelosigkeit) auftreten. Unter trizyklischen Antidepressiva ist eine Häufung von Frakturen beobachtet worden.

Kontraindikationen: Klinisch bedeutsame Herz-Kreislauferkrankungen. Gleichzeitige Verabreichung von MAO-Hemmern.

Interaktionen: CYP2D6-Hemmer, wahrscheinlich auch CYP3A4-Hemmer führen zum Anstieg der Amitriptylinspiegel und entsprechend stärkeren Wirkungen. Möglicherweise beeinflusst Amitriptylin durch CYP2D6-Hemmung die Spiegel anderer Medikamente.

Pharmakodynamische Interaktionen mit anderen sedierenden Substanzen sowie mit Medikamenten mit anticholinergen Eigenschaften möglich. Mit Sympathomimetika zusammen eventuell Blutdruckkrisen, Allgemeinreaktionen.

Risikogruppen

Schwangere: Die Daten zur Anwendung in der Schwangerschaft sind widersprüchlich. Nach Möglichkeit vermeiden!

Stillende: Wird mit der Muttermilch ausgeschieden. Amitriptylin oder Stillen vermeiden.

Kinder: Nutzen und Verträglichkeit bei Kindern und Jugendlichen nicht adäquat nachgewiesen. Keine Indikation.

Ältere: Speziell vorsichtig dosieren (erhöhte Gefahr von orthostatischer Hypotonie und Konfusion): mit 50 Prozent der üblichen Erwachsenendosis beginnen.

Menschen mit Niereninsuffizienz: Keine Dosisanpassung notwendig.

Menschen mit Leberinsuffizienz: Individuelle Dosisreduktion empfohlen.

Hinweise

Besonders bei älteren Leuten ist eine regelmäßige Überprüfung der Herzfunktion sinnvoll. Bei suizidgefährdeten Kranken muss die Abgabemenge limitiert werden.

Bei Vergiftungen ist wegen der hohen Kardiotoxizität eine Intensivpflege indiziert.

Alternativen: Einzelne Fachleute halten Clomipramin für wirksamer als Amitriptylin. Mit Doxepin und Trimipramin sind weitere trizyklische Antidepressiva verfügbar. Diese Mittel haben dasselbe Anwendungsspektrum wie Amitriptylin. Andere Antidepressiva (besonders auch die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer) sind jedoch gesamthaft besser verträglich.

Erhältlichkeit: Tabletten zu 10 und 25 mg. Retardkapseln zu 25 und 50 mg.

Originalbeitrag: Gysling E, 100 wichtige Medikamente. Infomed Verlag, 2020.

Kommentar des Autors

von Dr. Etzel Gysling, Facharzt für Allgemeine Innere Medizin

Der Nutzen von Antidepressiva wird allgemein eher überschätzt. Es ist dennoch nicht abwegig, bei einer ausgeprägten Depression auch an ein trizyklisches Antidepressivum zu denken. Dabei ist aber in Anbetracht der zahlreichen unerwünschten Wirkungen dieser Medikamente die individuelle Situation sehr sorgfältig zu berücksichtigen.

Die sedative Wirkung ist nicht immer ein Nachteil. Die Wirksamkeit von Trizyklika bei chronischen Schmerzzuständen ist leider nach wie vor ungenügend belegt.

Das sagt der Hausarzt

von Dr. Joachim Fessler, Facharzt für Allgemeinmedizin

Ein Wirkstoff, den ich zunächst als Antidepressivum kennengelernt habe und später in deutlich geringerer Dosierung in der Schmerztherapie. Bei einigen Patienten kommt es besonders beim Einsatz als Antidepressivum zu starker Gewichtszunahme – eine Nebenwirkung, die den weiteren Einsatz in Frage stellt. Anders als früher hat man heute aber etliche medikamentöse Alternativen.

Man kann jedoch auch versuchen, mit Bewegung und Ernährungsumstellung die Gewichtszunahme zu verhindern. Dieses “kausale” Vorgehen ist allerdings bei einem Patienten mit Depression noch schwieriger als bei ausreichend motivierten Patienten. Ein Teufelskreis, der viele auch noch Jahre nach Absetzen der Medikation belastet und stigmatisiert.

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