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ErfahrungsberichtDas myofasziale Organ

Wie entstehen myofasziale Störungen? Und mit welchen Symptomen gehen sie typischerweise einher? Dr. Rolf Eichinger berichtet über Erfahrungen aus seiner Praxis.

Myofasziale Störungen sind sehr häufig.

Wenn ich mich an meinen anatomischen Präparierkurs erinnere, fällt mir immer wieder folgende Szene ein: Ein Kommilitone mit einer Pinzette voller Bindegewebe fragte den Tutor, was er damit machen sollte. Dieser antwortete ihm, es handle sich um wertloses Material, welches er in den blauen Sack entsorgen könne. Mich erstaunte es, dass eine Struktur, die etwa 60 Prozent der Körpermasse ausmacht, als “wertlos” abgetan wurde.

Mittlerweile begreife ich das myofasziale Organ mit seinen verschiedenen Kollagenfasern, den Fibroblasten, den glatten Muskelzellen und der extrazellulären Matrix aus Flüssigkeit als großes, geschlossenes Synzytium, in das alle Organe, Knochen und auch Muskeln eingebettet sind.

Diese Vorstellung lässt uns verstehen, warum myofasziale Affektionen am Kopf zu Gonalgien oder Arthralgien im Sprunggelenk führen können: In dieser Matrix unseres Körpers ist mechanisch alles miteinander verbunden. Dabei treten Myogelosen oder Blockaden gehäuft in spezifischen Arealen auf, die ich als myofasziale Knoten bezeichne (siehe Abbildung oben).

Meiner Meinung nach sind diese auch neurologisch von besonderer Bedeutung, weil sie Orte dichter Afferenzen darstellen, hier also viel Information verrechnet und verschaltet wird. Periphere Knoten spielen in der Physiotherapie eine wichtige Rolle.

Neurologische Funktion entscheidend

Die mechanische Integration unseres Körpers durch das myofasziale Synzytium ist nur gesteuert möglich. Faszien und fasziale Strukturen sind sensorisch innerviert. Neben zahlreichen Rezeptoren für verschiede Reize liegen hier auch Muskel-und Sehnenspindeln.

Wir können das myofasziale Organ somit auch als Organ der Körperperzeption begreifen, das mechanische Informationen, wie Position, Bewegung und Spannung unseres Körpers misst und ans ZNS vermittelt. Aufgrund dieser neurologischen Funktion ist jede manipulative Therapie neurogen über Reflexbögen wirksam: Manipulation setzt Dehnungs- oder Traktionsreize auf myofasziale Sensoren, die dann reaktiv zur Spannungsnormalisierung des myofaszialen Organs führen (siehe folgende Abbildung).

Störungen meist funktionell bedingt

Myofasziale Störungen haben meist keinen somatischen Ursprung, sondern sind rein funktioneller, neuronaler Natur: Bei den meisten meiner betroffenen Patienten finde ich keinen somatischen lokalen Befund.

Zudem zeigte eine Studie von Torsten Pippig, der 488 Wirbelsäulen-MRT beschwerdefreier junger Männer untersuchte, dass nahezu jeder somatische Pathologien aufwies. Deshalb sind bildgebende Verfahren im Rahmen myofaszialer Störungen meist unsinnig.

Meiner Meinung nach sind myofasziale Störungen neurologisch affizierende Erkrankungen, die meist in den Knotenarealen liegen. Durch eine Compliance-Änderung von Strukturen im Knoten kommt es zu einer neurogenen Störung der myofaszialen Afferenzen zum ZNS, was reaktiv zu Verspannungen des myofaszialen Organs führt.

Compliance bedeutet hier die Möglichkeit einer Struktur oder eines Organs, der Bewegung zu folgen. Zentral im Geschehen sind also veränderte Organe in Knoten, die den allgemeinen Körperbewegungen nicht mehr dynamisch folgen können. Klassisches Beispiel ist eine restriktive Lungenerkrankung, die zu einer Fibrose der Lunge führt. Gleiches gilt für eine zirrhotische Leber, einen chronisch geblähten Darm, eine dilatative Kardiomyopathie oder Ödeme bei Zahnherden.

Fehlender “Lotdurchgang”

Zur Beschreibung der Fehlfunktion des myofaszialen Organs bei einer Blockade nutze ich den Begriff “Lotdurchgang”. In jeder Bewegung müssen Phasen der partiellen Entspannung des myofaszialen Organs integriert sein, damit dessen Funktion selbst bei langer Belastung intakt bleibt.

Ein geübter Tennisspieler positioniert den Arm aktiv und trifft den anfliegenden Ball in der schwunghaften Auflösung seiner Ausgangspositionierung. Während des Schwungs im Schlag befindet sich der Arm kurz im Lotdurchgang und ist entspannt. Ein ungeübter Tennisspieler hingegen verkrampft auch im Schwung des Schlags und entwickelt so einen Tennisellenbogen.

Der Mechanismus hinter einer Tendovaginitis nach längeren Malerarbeiten ist ähnlich: Auch hier fehlt es dem Ungeübten an Lotdurchgängen. Es kommt zu Myogelosen und reaktiv zu trophischen Störungen der Sehnenscheide. Ruhigstellung ist dann kontraproduktiv: Die Störung ist keiner “Überlastung” geschuldet, sondern der fehlerhaften Dynamik im Ablauf repetitiver Bewegung ohne Lotdurchgang.

Und genau hier muss manuelle Therapie ansetzen: Das myofasziale Organ wird deblockiert, sodass Lotdurchgänge wieder möglich werden. Dies kann chirotherapeutisch oder durch andere manuelle Therapieformen der Physiotherapie erfolgen.

Auch permanenter, invariabler neurologischer Input führt zu Myogelosen. Diesen Pathomechanismus beobachten wir etwa, wenn Patienten einen “Zug” – also einen permanenten, taktilen Reiz durch Luft –bekommen haben.

Ursachen finden

Viele myofasziale Beschwerden sind durch einmalige Manipulationen heilbar – etwa Spannungskopfschmerzen nach einer langen Sitzung oder Rückenschmerzen nach einer langen Autofahrt. Rezidivieren Störungen jedoch immer wieder, müssen wir die auslösende Ursache finden und behandeln.

Diese liegt meist in den Knotenarealen. Bei meinen Patienten beobachte ich oft psychische Ursachen, skelettäre Auslöser haben eine geringere Bedeutung. Darmstörungen im Sinne von Nahrungsmittelintoleranzen mit Meteorismus und Obstipation sind bei Frauen häufiger. Die Ursache ist hier oft die hormonelle Umstellung nach einer Schwangerschaft oder im Klimakterium.

Ein überblähter, gefüllter Darm ist in der Bewegung nicht mehr so compliant und affiziert so das myofasziale Organ. Bei den neuropathischen Störungen nehmen bei meinen Patienten Neuroborreliosen, Nervenläsionen nach Trauma und diabetogene Neuropathien eine Schlüsselstellung ein. Wichtig sind zudem Zahnerkrankungen, vor allem bei Kindern.

Dies liegt meist an kieferorthopädischen Behandlungen: Werden Zahnpositionen korrigiert, ist das immer mit aseptischen Resorptions-Kieferostitiden und Spannungen im Kalotten- und Pharyngealknoten verbunden. Ich sehe oft junge Patienten, die am Tag nach der Spangeneinstellung einen Migräneanfall haben.

Es gibt physiotherapeutische Tests, die die affizierten Knoten ermitteln sollen. Viele Symptome sind jedoch “knotenspezifisch” (siehe Kasten oben) und geben so einen Hinweis, auf welches Areal wir die Diagnostik konzentrieren sollten. Die Ursachenfindung in den einzelnen Knoten können Algorithmen erleichtern, siehe Abbildung 3:

Fazit

Myofasziale Störungen sind sehr häufig. Bei der Ursachenfindung und Behandlung ist eine enge Kooperation mit Physiotherapeuten und Ärzten anderer Fachrichtungen wichtig.

So kann den Patienten schnell und nachhaltig geholfen werden, was angesichts begrenzter Ressourcen auch große ökonomische Vorteile bringt.

Literatur beim Verfasser

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert

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