KHK ist eine chronisch-fortschreitende Erkrankung und beginnt mit einer Endothelschädigung, die von Cholesterinablagerungen, Kalzifizierungen und entzündlichen Veränderungen in der Arterienwand begleitet wird. Diese Prozesse münden in der Ausbildung atherosklerotischer Plaques, die sowohl akut durch Plaque-Ruptur mit Thrombenbildung zum Herzinfarkt als auch chronisch in Form einer ischämischen Kardiomyopathie zur Herzinsuffizienz führen können [1].
Neben klassischen kardiovaskulären Risikofaktoren wie arterielle Hypertonie, Nikotinkonsum, Diabetes mellitus und Dyslipidämie kommt genetischen Faktoren eine erhebliche Bedeutung bei der Entstehung der Atherosklerose zu. Zwar ist seit langem bekannt, dass bei früher klinischer Manifestation der koronaren Herzkrankheit die genetische Komponente stärker ausgeprägt ist [2], allerdings waren bis auf Mutationen im LDL-Rezeptorgen die Ursachen hierfür bis vor kurzer Zeit unklar.
Hunderte Genvarianten haben Einfluss
Während traditionell eine Vererbung in Form einer positiven Familienanamnese wahrgenommen wird, haben neuere genomische Untersuchungen gezeigt, dass eine Vielzahl von Genvarianten Einfluss auf die Entstehung der Atherosklerose nehmen. Hunderte Gene sind von diesen Varianten betroffen und auch die Risikoallele, also die Gen-Varianten, die das Risiko für eine koronare Herzerkrankung erhöhen, sind häufig.
So ist die Vererbung des Herzinfarktes im Gegensatz zu monogenen Erkrankungen (z.B. Hämophilie, Marfan Syndrom etc.), bei denen nur eine einzelne Veränderung (Variante) in der menschlichen Erbinformation (DNA) ursächlich für die Krankheitsentstehung sein kann, ganz wesentlich durch hunderte genetische Varianten bedingt. Übrigens gilt dies auch für viele andere häufige Erkrankungen wie Vorhofflimmern, Brust- oder Prostatakrebs.
Für die koronare Herzerkrankung konnten mittlerweile in sogenannten genomweiten Assoziationsstudien (GWAS) an 321 Orten im Genom (sog. Gen-Loci) verschiedene Risikovarianten mit genomweiter Signifikanz (P<5 x 10 -⁸) identifiziert werden [3]. So trägt jeder Deutsche weit über 200 Risikovarianten in sich, was auch der wesentliche Grund für das häufige Vorkommen der koronaren Herzkrankheit als solches darstellen dürfte.
Für sich genommen sind einzelne dieser Gen-Varianten nur mit einem sehr geringen Risiko assoziiert; das gemeinsame Vorliegen vieler erhöht jedoch exponentiell die Wahrscheinlichkeit, dass eine koronare Herzerkrankung auftritt. Aufgrund der Häufigkeit der Risikovarianten und der damit verbundenen Normalverteilung in der Bevölkerung ergibt sich so die Konstellation, dass die überwiegende Mehrheit aller Menschen mit westeuropäischer Abstammung einem moderaten und nur ein kleiner Teil einem sehr hohen bzw. sehr niedrigem genetischen Risiko ausgesetzt ist [4].
Mithilfe von polygenen Risikoscores können in Zukunft die Individuen mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko idealerweise schon Jahrzehnte vor der Manifestation der koronaren Herzkrankheit identifiziert werden. Zusätzlich ergibt sich daraus möglicherweise eine therapeutische Konsequenz.
So konnte schon in mehreren Arbeiten gezeigt werden, dass gerade die Patienten mit KHK und einem ungünstigen genetischen Risikoprofil weitaus mehr von einer therapeutischen Intervention profitieren als diejenigen mit einer günstigen genetischen Ausstattung [4].
Allerdings steht die breite klinische Anwendung dieser polygenen Risikoscores noch vor einigen Hürden, zumal die Aussagekraft der Risikomodelle in unterschiedlichen Populationen verschieden sein können. Darüber hinaus sind Gen-Gen- bzw. Gen-Umwelt-Interaktionen, die das kardiovaskuläre Risiko über das erwartbare Maß hinaus beeinflussen, aktuell noch Gegenstand intensiver Forschung [5], [6].
Neben der reinen Risikoabschätzung kann die funktionelle Charakterisierung der Risikovarianten weitere Erkenntnisse der Pathophysiologie der koronaren Herzkrankheit liefern und damit wesentliche Grundlagen einer präzisen und personalisierten Medizin schaffen.
Ein wegweisendes Beispiel in dieser Hinsicht stellt die Einordnung der löslichen Guanylatzyklase dar, ein Enzym, das neben vasodilatatorischen Funktionen auch die Interaktion der Gefäßwände mit Thrombozyten beeinflusst. Schwerwiegende Mutationen in diesem Gen führen zu einer familiären Form der koronaren Herzerkrankung und eine häufige Variante – mit geringen Effekten auf die Genexpression – ist genomweit signifikant mit der KHK assoziiert [7], [8].
In post-hoc-Analysen zweier randomisierter und Placebo-kontrollierter Studien konnte dazu gezeigt werden, dass homozygote Träger einer bestimmten Risikovariante in dem Gen des Enzyms im Gegensatz zur restlichen Allgemeinbevölkerung von einer primärprophylaktischen Aspirin-Therapie profitieren könnten [9].