In der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Nordrhein, so behaupten mehrere Kassen, sei die „alte“ Chronikerziffer 03212 EBM nicht korrekt berechnet worden, da der Ansatz dieser Leistung eine kontinuierliche Behandlung des Patienten beinhalte. Nach deren Auffassung ist diese im Paragraf 62 der Chroniker-Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) geforderte Dauerbehandlung (wenigstens ein Jahr lang, mindestens einmal pro Quartal) nicht erfüllt.
Die Kassen unterstellen, dass in drei der Abrechnung der Chronikerpauschale unmittelbar vorangehenden Quartalen Arzt-Patientenkontakte stattgefunden haben müssen. Daher wollen sie von den betroffenen Hausärzten in Nordrhein fast zwölf Millionen Euro erstattet haben. Obgleich sich diese Summe auf etwa 4.500 Hausärztinnen und -ärzte verteilt, resultieren teilweise bis zu fünfstellige Regressforderungen. Die Masche ist nicht neu: Schon 2011 versuchte die Barmer-GEK in der KV Hessen einen solchen Coup zu landen. Dort wurde der Kasse aber verdeutlicht, dass ihreInterpretation der Leistungslegende der Nr. 03212 EBM falsch ist. Es folgte ein Versuch in Sachsen-Anhalt und zuletzt auch in Sachsen, der aber auch erfolglos war.
Dort bestätigten zwar die regionalen Sozialgerichte die Interpretation der Kassen. Der Vorgang ging aber nicht in die letzte Instanz, weil die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) einknickte und im neuen EBM ab 1. Oktober 2013 weitestgehend die von den Kassen gewünschte Definition auf die neuen Chronikerziffern 03220 und 03221 EBM übertragen hat. Damit waren die Forderungen in Sachsen-Anhalt und Sachsen zwar vom Tisch, aber auch die Chance, diese Auseinandersetzung auf dem Rechtsweg zugunsten der (Haus-)Ärzte grundsätzlich zu regeln. Das scheint sich nun zu rächen.
Kommentar:
In Nordhrein wird also eine „alte Kamelle“ wieder aufgewärmt. Neu ist, dass man eine KV gefunden hat, die praktisch ohne nennenswerte Gegenwehr dieses Geld auch noch selbst eintreibt. Die Frage ist, warum passiert dies nur in Nordrhein? Die Chronikerleistungen, egal ob nach der alten Nr. 03212 EBM oder den neuen Nrn. 03220/03221 EBM, sind bekanntlich Bestandteil der morbiditätsbedingten (pauschalierten) Gesamtvergütung (MGV). Eine Rückforderung von Geldern aus diesem Bereich ist überhaupt nicht möglich. In Hessen wollte die Barmer-GEK damals aber auch gar kein Geld haben, sondern auf diesem Weg ihren Anteil an der MGV rudzieren und damit den Anteil der anderen Kassen anheben. Das fanden diese wiederum nicht unbedingt gut.
So wie es aussieht, hat die KV Nordrhein aber vor, das Geld den Kassen auszuliefern und das geht schon gar nicht. Nach den Grundsätzen der Honorarverteilung muss dieses Geld dorthin zurückfließen, wo es hergekommen ist: nämlich in den hausärztlichen Teil der Gesamtvergütung – und die betreffenden Quartale müssen neu berechnet werden. Durch das Freiwerden der zwölf Millionen Euro käme es dort zu einer Anhebung des Punktwertes außerhalb des Regelleistungsvolumens und damit allenfalls zu einer gewissen Umverteilung innerhalb der Gruppe der Hausärzte in Nordrhein. Das scheint man im Vorstand der KV Nordrhein nicht zu wissen! Es liegt deshalb die Vermutung nahe, dass gezielt diese KV ausgesucht wurde.
Das SGB V schreibt zwar vor, dass es in einer KV ein hausund ein fachärztliches Vorstandsmitglied geben muss. Der Gesetzgeber hat aber vergessen zu regeln, dass es sich beim hausärztlichen Mitglied auch um einen Hausarzt handeln muss. Im Vorstand der KV Nordrhein ist der hausärztliche Vertreter noch nicht einmal ein Arzt.