Paragraf 11 der Bundesvereinbarung zum Inhalt und zur Durchführung der Abrechnungsprüfungen regelt, dass eine Abrechnungshäufigkeit zu vermuten ist, wenn bei versorgungsbereichsidentischen Praxen mindestens 20 Prozent der Patienten identisch sind. Bei versorgungsbereichsübergreifenden Praxen liegt dieser Grenzwert bei 30 Prozent.
Diese Prüfung auffälliger Quoten identischer Patienten bei Abrechnungen von Praxisgemeinschaften und vergleichbaren ärztlichen Kooperationen war Anlass zu einer Diskussion in der jüngsten Sitzung der Vertreterversammlung (VV) der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL). Eine Gruppierung von Ärzten, die sich als Reaktion auf die Plausibilitätsprüfungen zur Patientenidentität gegründet hat und unter dem Namen „Pro Arzt“ firmiert, fühlt sich von ihrer Standesvertretung hintergangen.
Die KV reagierte – wie immer in solchen Fällen – mit dem Hinweis auf gesetzliche und aufsichtsrechtliche Zwänge, wonach man zu prüfen habe, ob die KV-Abrechnungen sachlich und rechnerisch richtig sind. Dazu gehört nach deren Auffassung auch die Prüfung auf Plausibilität.
Kommentar
Das Thema ist nicht neu, aber auch nicht mehr unverändert aktuell. Entscheidend ist dabei die ursprüngliche Zielrichtung. Es gab eine Zeit, da haben sich Gemeinschaftspraxen (BAG) ziemlich eindeutig mit dem Ziel in Praxisgemeinschaften umgewandelt, bei der Zuteilung der Honorarpauschalen einen finanziellen Vorteil zu erzielen. Das war nachvollziehbar, denn die „Hebelwirkung“ war und ist insbesondere im hausärztlichen Bereich enorm. Eine BAG bekommt nur einen Zuschlag von zehn Prozent auf das Pauschalhonorar pro Patient, bei einer Praxisgemeinschaft sind es 100 Prozent, wenn der gleiche Patient in beiden Praxen behandelt wird. Eine solche Gestaltung ist manipulativ und deshalb zu Recht Anlass von Plausibilitätsmaßnahmen, wie sie jetzt in der KV Westfalen-Lippe wohl besonders intensiv betrieben werden.
Die Frage ist nur, ob ein völlig undifferenziertes Vorgehen in Zeiten, in denen Ärztekooperationen sogar gefördert werden, noch zeitgemäß ist? Immerhin beinhaltet sogar ein ganzer EBMAbschnitt mittlerweile regelrecht die Aufforderung zu einer im Grunde genommen an anderer Stelle implausiblen Abrechnung. Kapitel IV.37 (Kooperations-und Koordinationsleistungen in Pflegeheimen gemäß Anlage 27 zum Bundesmantelvertrag-Ärzte) ist hier ein Paradebeispiel.
Der Abschnitt beinhaltet Ziffern, die Ärzte bei Patienten berechnen können, wenn mit einem Pflegeheim ein Kooperationsvertrag nach Paragraf 119b SGB V abgeschlossen wurde, der die Anforderungen der Anlage 27 zum BMV-Ä erfüllt (s. „Der Hausarzt“ Nr. 13/2016). Hausärzte (und Fachärzte) können die Nr. 37100 EBM als „Zuschlag zur Versichertenpauschale für die Betreuung von Patienten gemäß Präambel 37.1 Nr. 3 und gemäß Anlage 27 zum BMV-Ä“ abrechnen. Ein in einem solchen Verbund tätiger koordinierender Arzt kann zusätzlich zur Versichertenpauschale die Nr. 37105 EBM berechnen.
Da in einem solchen, im Vertrag mit dem Heim geforderten Ärzteverbund zwangsläufig alle Patienten in einem Pflegeheim, die von den Kooperationsärzten betreut werden, gemeinsam behandelt werden, passiert hier genau das, was die KVen an anderer Stelle als Implausibilität verfolgen – die Mehrfachabrechnung der Honorarpauschalen. Bemerkenswert dabei ist, dass durch die Gestaltung des Legendentextes der Nr. 37100 EBM (Zuschlag zur Versichertenpauschale) der jeweilige Kooperationsarzt sogar „gezwungen“ wird, die Versichertenpauschale abzurechnen.
Warum so eine Handlung dann in einem Ärztenetz oder in einem Praxisverbund, der sich im Zeichen des Hausärztemangels an anderer Stelle zu einer kooperativen Versorgung von Patienten vereint hat, zu Honorarregressen oder sogar einem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren führt, wissen wohl nur diejenigen in den KV-Etagen, die ja eigentlich unsere Interessen vertreten sollen?