© 4x6 - stock.adobe.com Hinter den "Rauchenden Köpfen" stecken vier Praxiserfahrene, die sich dafür einsetzen, die Bürokratie im Praxisalltag zu minimieren: Dr. Sabine Frohnes, Dr. Christoph Claus, Timo Schumacher und Moritz Eckert.
Die Hilfsmittel-Verordnung mutet mitunter wie ein Buch mit sieben Siegeln an, vor allem wenn es um Produkte geht, mit denen Ärztinnen und Ärzte sich nicht im Detail auskennen, wie etwa Prothesen (siehe Artikel “Das Rezept mit der 7: Ein Buch mit sieben Siegeln? “).
Einfacher hingegen ist es bei Hilfsmitteln, von denen auch Ärztinnen und Ärzte ein gutes Vorstellungsvermögen haben: zum Beispiel Rollatoren, Rollstühle, Duschstühle, Toilettensitzerhöhung etc.
Aber auch hier ist zu empfehlen, nur als Ausnahme ein bestimmtes Produkt auf das Rezept zu schreiben. Suchen Sie lieber die entsprechende Produktart (“Siebensteller”) aus dem Hilfsmittelverzeichnis der Kassen (online zu finden unter https://hilfsmittel.gkv-spitzenverband.de/ ).
Tipp: Hinterlegen Sie sich am besten die folgenden häufigen Beispiele als Textbaustein in Ihrer Praxissoftware, um Zeit zu sparen.
Rollatoren rezeptieren
Otto Wackelig geht seit Jahren mit Gehstock, der aber schon mehrfach mit ihm gemeinsam gefallen ist. Endlich können Sie ihn davon überzeugen, dass ein Rollator hilfreicher ist. Mit Korb kann er sogar kleine Einkäufe weiter selbst erledigen!
Im Online-Hilfsmittelverzeichnis finden Sie über die Suchfunktion zu “Rollator” verschiedene Unterpunkte. Das Schöne ist: Man kann sich jeweils sowohl eine Beschreibung als auch die Indikation anzeigen lassen.
In der Regel wird hier wohl die “Produktart 10.50.04.1 – vierrädrige Gehhilfen (Rollatoren)” passend sein. Als Indikation wird “Beeinträchtigung der Mobilität bei Schädigungen der Bewegung/des Gleichgewichts bei ausreichend erhaltener Gehfähigkeit/Koordination, wenn die Nutzung anderer Gehhilfen nicht ausreichend ist” genannt.
Auf dem Rezept für Otto Wackelig würde also stehen: “Rollator, vierrädrig, erforderlich bei eingeschränkter Mobilität im Alter”. Alternativ könnte man “Produktart 10.50.04.1, Diagnose R26.2G” schreiben. Dies hat aber den Nachteil, dass man es selbst nicht mehr versteht, wenn man es wiedersieht.
Kombinationen und Varianten dieser Texte sind natürlich möglich.
Duschstuhl, -liege oder -hocker
Lieschen Müller stürzt immer wieder, möchte aber gern noch in ihrer Wohnung bleiben. Die Tochter hilft beim Duschen, auch hierbei ist jedoch das längere Stehen schwierig. Sie schauen also nach einem Duschstuhl.
Im Hilfsmittelverzeichnis finden Sie unter dem Absatz 04 (Bade- und Duschhilfen) im Abschnitt 40 (häuslicher Bereich) die Unterabteilung 03 (Duschhilfen) und dort die Möglichkeiten:
0 Duschsitze, an der Wand montiert
1 Duschhocker
2 Duschstühle
3 Duschliegen
4 fahrbare Duschliegen
5 Duschstühle für Kinder/Jugendliche
Im Verzeichnis ist direkt die Beschreibung nachzulesen. Ein Duschstuhl beispielsweise wird wie folgt charakterisiert: “Duschstühle verfügen über eine Sitzfläche auf vier rutschfesten Standfüßen, Armlehnen und über eine Rückenlehne. Die Sitzfläche kann aus starrem Material bestehen und/oder eine Polsterauflage haben. Die Sitzfläche ist so beschaffen, dass das Wasser zügig ablaufen und dieses sich somit nicht ansammeln kann. Diese Produkte sind für einen leihweisen Einsatz geeignet.”
Ein Duschstuhl für Patientin Müller hätte also die Nummer 04.40.03.2 und ist damit siebenstellig angegeben – außer einer begründenden Diagnose benötigt das Rezept nur noch das Kreuz bei der 7 und Ihre Unterschrift. Oma Müller bekommt also ihr Rezept mit “ein Duschstuhl, erforderlich bei Sturzgefahr”.
Pauschalen und “Premium”-Listen
Für manche Hilfsmittel gibt es Versorgungspauschalen. So werden etwa Rollatoren vom Leistungserbringer (z. B. Sanitätshaus) mit der Kasse abgerechnet. Diese zahlt 80-90 Euro für die Versorgung über vier Jahre. Es handelt sich um ein geliehenes Gerät, das weiter dem Leistungserbringer gehört.
Nach den vier Jahren kann dieser es zurückfordern oder eine erneute Versorgungspauschale abrechnen. Eigentlich wäre hierfür eine erneute Verordnung nötig – das haben wir in der Praxis aber noch nicht erlebt.
Übrigens: Sollten Patienten nach beispielsweise einem Jahr sterben oder den Rollator aus anderen Gründen nicht mehr brauchen, muss der Leistungserbringer trotzdem nichts zurückerstatten.
Ein Ärgernis bei solchen einfachen Hilfsmitteln ist, dass manche Versorger Patientinnen und Patienten zu “Premium-Modellen” überreden. Die Differenz zum Standardpreis müssen diese dann selbst zahlen.
Interessant zu wissen: Die Kassen werten aus, welche Versorger wie viele “Mehrkosten” erheben. Wer besonders auffällt, darf der Kasse gegenüber begründen, warum er meint, mit der Basisversorgung regelmäßig nicht klar zu kommen.
Kompressionsstrümpfe und Co
Ebenfalls häufig kommen Hilfsmittel bei der Kompressionstherapie zum Einsatz (weitere Tipps zur Verordnung: www.hausarzt.link/1dJVM ). Gerade weil Sie es so oft brauchen, sollten Sie sich hier das Leben so einfach wie möglich machen.
Die “Rauchenden Köpfe” verordnen wie folgt: Nennung der Länge der Versorgung (von Unterschenkelstrumpf bis Strumpfhose), der Kompressionsklasse sowie der Diagnose.
Wir schreiben regelmäßig “Haftrand und Spitze nach Patientenbedarf”, da dies in der Regel keine medizinische Entscheidung ist. Außerdem notieren wir “falls erforderlich, nach Maß”, damit müssen Sanitätshaus oder Apotheke prüfen, ob entsprechend der Maße eine Serienfertigung passt. Falls nicht, dürfen sie einen Maßstrumpf beauftragen, ohne dass Sie das Rezept ändern müssen.
Nur in speziellen Fällen ergänzen wir “flachgestrickt”, da dies nur selten nötig ist. Flachgestrickte Strümpfe sind viel aufwändiger in der Herstellung als rundgestrickte und damit deutlich teurer.
So kostet eine Kompressionsstrumpfhose rundgestrickt in Serienfertigung ab ca. 80 Euro. Flachgestrickt fallen 460 Euro als Arbeitszeit-Vergütung für den Versorger an, hinzu kommt der Produktpreis, zusammen kann das ca. 1.600 Euro für eine flachgestrickte Strumpfhose betragen.
Sie eignen sich für besondere anatomische Verhältnisse wie schwere Lymphödeme, bei denen ein gleichmäßiger Druck auch an schwierig zu erreichenden Stellen gewährleistet werden soll.
Falls auf dem Rezept nichts dabei steht, ist automatisch rundgestrickt als “Standard” gemeint. Wenn Sie möchten, können Sie das aber natürlich auch dazu schreiben.
Tipp : Es hat sich bewährt, hier einen Textbaustein in der Praxissoftware zu hinterlegen, der die genannten Möglichkeiten zum Auswählen hintereinander anbietet, zum Beispiel (s. Kasten unten: Textbaustein aus der Software T2Med; funktioniert analog in anderen Programmen):
1 Paar ~{Kompressionskniestrümpfe A-D |Halbschenkelkompressionsstrümpfe AF |Oberschenkelkompressionsstrümpfe A-G |Kompressionsstrumpfhose}, falls erforderlich nach Maß,
Spitze und Haftrand nach Patientenbedarf, KKL ~2,
erforderlich bei ~{chronisch venöser Insuffizienz |postthrombotischem Syndrom |Beinvenenthrombose |Lymphödem}
Denken Sie hier auch an die Abrechnung der 02313 EBM (Kompressionstherapie, je Bein – also zweimal, 5,75 Euro), sofern der Leistungsinhalt erbracht wurde (Messen der Beinumfänge an drei Stellen pro Bein innerhalb der letzten vier Wochen, Kompressionstherapie) und eine der zulässigen Diagnosen vorliegt (s. Kasten unten).
Diagnosen für 02313 – mit ICD:
chronisch venöse Insuffizienz
postthrombotisches Syndrom
oberflächliche und tiefe Beinvenenthrombose
Lymphödem
Inkontinenzmaterial leicht verordnen
Wie verordnen Sie Inkontinenzmaterial? Sie können es sich denken: Die “Rauchenden Köpfe” machen es sich einfach! Mit Inkontinenzmaterial sind hier aufsaugendes Material wie Vorlagen, Windeln etc. gemeint, Blasenkatheter und Ähnliches fallen unter “ableitendes Inkontinenzmaterial” und sind ein eigenes Thema.
Auf das Hilfsmittel-Rezept schreiben wir “Inkontinenzmaterial, saugend, erforderlich bei Harninkontinenz” – oder natürlich Stuhlinkontinenz, je nachdem. Merke: Sie müssen nämlich weder definieren, wie viele Vorlagen Frau Bettlägrig braucht, noch welche Art der Versorgung (Vorlagen, Windeln, was auch immer es gibt) notwendig ist oder gar welche Größe ihr passt.
Die Verträge zwischen den Krankenkassen und den Versorgern beinhalten, dass diese für eine kassenspezifische Pauschale von rund 25 Euro pro Monat die Patientinnen und Patienten bedarfsgerecht versorgen müssen. Benötigt Herr Tropfnass mehr Vorlagen als Frau Bettlägrig, dann ist das eben so.
Für die Versorger ergibt sich eine Mischkalkulation, der Verdienst kommt für sie aus der Belieferung vieler Menschen. In vielen Verträgen sind die sogenannten Premium-Produkte, zum Beispiel sogenannte Höschenwindeln (“Pants”) nicht enthalten, diese können nur mit besonderer Begründung verordnet werden, beispielsweise bei aggressiver Demenz oder Einarmigkeit.
Übrigens : Wenn Sie auf das Rezept keinen Zeitraum schreiben, gilt die Verordnung von Inkontinenzmaterial für ein Jahr. Sie können auch “Dauerverordnung” darauf schreiben, müssen Sie aber nicht. Der Versorger kann das eingereichte Rezept 12 Mal als Kopie zur Abrechnung verwenden. Nach einem Jahr ist eine neue Verordnung nötig.
Mit dem ersten Rezept wendet sich die Patientin am besten an ihre Krankenkasse, diese hat meist Verträge mit bestimmten Versorgern abgeschlossen und kann nun der Patientin erklären, wie der Ablauf weiter geht. In der Regel werden die Rezepte jährlich an den Versorger geschickt, diese beliefern dann monatsweise die Versicherten.
Andere Abläufe im Heim
Ist ja ganz einfach? Tja, jetzt kommt der Haken: Im Pflegeheim ist manches anders. Hier kauft das Heim das Inkontinenzmaterial ein, hierfür wird von der Krankenkasse nach Vorlage des Rezepts eine monatliche Pauschale an das Heim gezahlt.
Falls es sich um rein pflegeerleichternde Maßnahmen handelt, etwa bei immobilen Menschen, wird keine Verordnung ausgestellt und das Heim muss die Versorgung aus den Beiträgen der Pflegeversicherung bezahlen. Auch hier muss das Heim laut den Verträgen bedarfsgerecht (medizinisch notwendig, WANZ-Kriterien nach SGB V) versorgen!