Fehlerbericht #807
Die rüstige 73jährige Patientin ist zugezogen und hat sich unsere Praxis als neue Hausarztpraxis „ausgesucht“. Ein Termin zum Labor und Check-up wird vereinbart, bis dahin verabreden wir, dass ich die alten Unterlagen durchschaue, um ihre Krankheitsgeschichte besser kennenzulernen. Nach dem Labortermin erzählt mir unsere Azubi-MFA stolz, dass sie bei der neuen Patientin direkt die Leber- und Nierenwerte „geIGeLt“ hätte.
Was war das Ergebnis?
Beim Check-up beschwert sich die Patientin darüber, dass sie für Laborwerte eine Rechnung bekommen hätte, das sei ihr noch nie passiert. Auch ihre Krankenkasse habe ihr telefonisch versichert, dass bei ihren Vorerkrankungen die Laborkontrollen hausärztlich durchgeführt werden müssten ohne Zuzahlung. Mittlerweile hatte ich die Unterlagen durchgelesen: chronische Leberwerterhöhung a.e. bei Steatosis hepatis, außerdem diabetische Nephropathie.
Mögliche Gründe, die zu dem Ereignis geführt haben können?
Eigentlich sind bei uns nur wenige Laborwerte Eigenleistungen (z. B. Vitamin D), gerade bei Erstuntersuchungen sind wir großzügig. Diesbezüglich war eine gründliche Unterweisung der Auszubildenden offensichtlich nicht erfolgt, sonst hätte sie sicherlich noch einmal nachgefragt. Welche Maßnahmen wurden aufgrund dieses Ereignisses getroffen oder planen Sie zu ergreifen? Die Rechnung wurde von der Praxis übernommen. In einem ausführlichen Gespräch mit der Patientin wurde das gerade begonnene Vertrauensverhältnis wieder gekittet. Im Team wird besprochen, dass gerade bei Erstuntersuchungen nur nach Rücksprache mit dem Arzt Rechnungen gestellt werden, und das Prozedere für Selbstzahlungen wird nochmal diskutiert (Aufklärung, Bedenkzeit, Einverständnis etc.).
Welche Faktoren trugen Ihrer Meinung nach zum Fehler bei?
Kommunikation, Patient, Organisation.
Das Prozedere für Eigenleistungen bei Laborwerten ist nicht dem ganzen Praxisteam bekannt; in der Folge beschwert sich eine neue Patientin über die ihr zugestellte Rechnung. Glücklicherweise ist kein medizinischer Schaden entstanden, aber das „gerade begonnene Vertrauensverhältnis“ wurde beeinträchtigt (siehe Kasten). Dies ist sicherlich eine Situation, die immer wieder in Praxen auftritt: Kommunikations- oder Organisationsfehler, die zu Unmut auf Seiten des Patienten führen. Der Hausarzt wird hierzulande im Vergleich selten Gegenstand einer offiziellen Patientenklage (1). Dies ist sicherlich unter anderem auf das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient zurückzuführen, auf das der Patient im Laufe der Behandlungsjahre zunehmend angewiesen ist.
Überwindet sich ein Patient trotzdem, sich zu beschweren oder Bedenken zu äußern, sollte die Praxis dies als weiteren Vertrauensbeweis honorieren und entsprechend wertschätzend damit umgehen. Mit einer offenen statt abwehrenden Haltung und einer aufrichtigen Entschuldigung lassen sich die meisten Patientenbeschwerden in der (hausärztlichen) Praxis lösen, wie es auch in diesem Fall geschehen ist. Kommt es tatsächlich zu einem medizinischen Schaden, sind folgende Aspekte, unabhängig ob im stationären oder ambulanten Sektor, von Bedeutung:
- Transparenz durch frühzeitige Berichterstattung,
- offene kollegiale Diskussion und
- empathische Kommunikation dem Patienten gegenüber
Aus Patientensicht ist zudem sehr wichtig, dass der Hausarzt und sein Team alles tun, um eine Wiederholung dieses Ereignisses (für sich und/oder andere Patienten) zu vermeiden (2).
Bislang ist der Umgang mit Patientenbeschwerden häufig von monetären Beweggründen geprägt: Haftungsansprüche sollen minimiert, der Imageschaden möglichst klein gehalten werden. Wenige Organisationen des Gesundheitswesens haben ein genormtes Konzept im Umgang mit Patientenbeschwerden, dabei steckt in ihnen großes Potenzial für positive Anregungen und strukturelle Verbesserungsvorschläge (3). Insbesondere an Schnittstellen wie den Übergängen zwischen Krankenhaus, Hausarztpraxis und Pflegeheim sind die kritischen Beobachtungen von Patienten und Familienangehörigen immens wichtig, um Fehlerquellen aufzudecken (4).
Gemeinsam mit unseren Patienten, gerade wenn wir sie ermutigen ihre Beobachtungen und Kritikpunkte mit uns zu teilen, können wir Fallstricke in unserer Praxis aufdecken, die uns sonst verborgen blieben. Wie gehen Sie mit Patientenbeschwerden in Ihrer Praxis um? Haben Sie einen Beschwerdekasten eingerichtet, führen Sie Patientenumfragen durch oder sprechen Sie Patienten konkret an? Berichten Sie gerne auf www.jeder-fehler-zaehlt.de über Ihre Erfahrungen und wie man es besser machen kann!
Literatur
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- Bundesärztekammer. Statistische Erhebung der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen für das Statistikjahr 2014. Berlin: Bundesärztekammer; 2015.
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- Mazor KM, Greene SM, Roblin D, Lemay CA, Firneno CL, Calvi J et al. More than words: patients‘ views on apology and disclosure when things go wrong in cancer care. Patient education and counseling 2013; 90(3):341-6.
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- Gallagher TH, Mazor KM. Taking complaints seriously: using the patient safety lens. BMJ quality & safety 2015; 24(6):352-5.
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- Iedema RA, Angell B. What are patients‘ care experience priorities? BMJ quality & safety 2015; 24(6):356-9.