Rassismus“Bitte nicht von dem da!”

Ob das denn sein müsse, dass er von dem da behandelt werde? Der Hausarzt aus Schleswig-Holstein hat diesen Kommentar nicht vergessen, und auch nicht, dass er als "Neger" beschimpft wurde. Wie verbreitet ist Alltagsrassismus in deutschen Hausarztpraxen?

Gut 56.000 Ärztinnen und Ärzte nichtdeutscher Herkunft arbeiteten 2020 laut Bundesärztekammer in Deutschland.

Sind solche Szenen in Deutschlands Gesundheitswesen im Allgemeinen und in der Hausarztmedizin im Speziellen die Ausnahme? Angesprochen hat er den Patienten damals nicht. “Ich dachte mir, das ist ein alter Mann und er ist nicht repräsentativ”, erzählte der Allgemeinmediziner bei einer Tagung der Ärztekammer Schleswig-Holstein zum Thema Alltagsrassismus.

Gut 56.000 Ärztinnen und Ärzte nichtdeutscher Herkunft arbeiteten im Jahr 2020 laut Bundesärztekammer insgesamt in Deutschland; die größten Gruppen stammen laut dieser Erhebung aus Syrien, Rumänien und Griechenland. Wie viel Rassismus erleben sie im Alltag? Und wie häufig sind Ärzte nicht Opfer, sondern Täter?

Dazu gibt es nur wenige Erhebungen. Es mangele “insgesamt an fundierter Forschung zum Ausmaß, zu den Formen sowie den Auswirkungen von Diskriminierung im Gesundheitswesen – differenziert nach den einzelnen Versorgungsbereichen”, schlussfolgern Susanne Bartig und Kolleginnen von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes in ihrer im Juni 2021 veröffentlichten Studie “Diskriminierungsrisiken und Diskriminierungsschutz im Gesundheitswesen – Wissensstand und Forschungsbedarf für die Antidiskriminierungsforschung”.

Im Hinblick auf Rassismus mangelt es demnach sowohl an Erkenntnissen über das Ausmaß und die Erscheinungsformen von Diskriminierung als auch deren Auswirkungen auf den Zugang zum Gesundheitssystem und auf die Qualität der gesundheitlichen Versorgung. “Internationale Übersichtsbeiträge verweisen jedoch auf Vorurteile, Stereotypisierungen und rassistische Verhaltensweisen in der Gesundheitsversorgung, wobei die überwiegende Mehrheit der Forschungsergebnisse aus den USA bezogen wird”, heißt es in der Studie.

Diskriminierung ist fest im Berufsalltag verankert

Konkret werde insbesondere bei den Merkmalen ethnische Herkunft und sexuelle Identität von verbalen Übergriffen und abwertenden Bemerkungen berichtet. “Es gibt oft Situationen mit herablassenden Kommentaren oder Witzen über beispielsweise mein Herkunftsland. Einige Kollegen machen manchmal den griechischen Akzent meines Kollegen nach. Ich glaube zwar nicht, dass sie es ernst oder böse meinen, aber für mich ist das nicht witzig”, zitiert auch Alyssa Wolf in ihrer Masterarbeit “Kulturelle Diversität in Ärzteteams” eine ungarische Ärztin.

Die Absolventin des Studiengangs Internationales Management in Bochum kommt darin zu dem Schluss, dass “Stereotype, subtile und offene Vorurteile sowie diskriminierende Verhaltensweisen gegenüber Kollegen mit Migrationshintergrund fest im Berufsalltag verankert sind”. Es gebe lediglich “Insellösungen wie zum Beispiel das Vorhandensein eines Antidiskriminierungsbeauftragten”.

Wolf sieht insbesondere bei Kliniken “großen Handlungsbedarf für die Gestaltung einer reibungsloseren Zusammenarbeit in Ärzteteams”, zum Beispiel in Form von Diversity Management Strategien und Konzepten zur Förderung kultureller Vielfalt, Chancengleichheit und Inklusion.

Abwertung auch durch medizinisches Fachpersonal

Nicht immer jedoch ist das medizinische Fachpersonal Opfer. In zwei qualitativen Studien unter Federführung von Allgemeinärztin Heli Gerlach, durchgeführt an der Universität Düsseldorf, berichteten Teilnehmende explizit von Vorurteilen, Abwertungen und rassistischer Diskriminierung durch das medizinische Fachpersonal. Benachteiligungen äußerten sich zum Beispiel in kürzerer Konsultationsdauer sowie längeren Wartezeiten.

Aus einer Fokusgruppendiskussion im Jahr 2012 fasst Gerlach zusammen, dass Missverständnisse, Vorurteile und Diskriminierung aufgrund des Migrationshintergrundes alltägliche Erfahrungen seien. “Ungleichbehandlung wurde von fast allen Teilnehmern berichtet. Ein wichtiger Kritikpunkt war, dass es im Gespräch zwischen Arzt und Patient oft an Empathie fehle, woraus “mangelndes Vertrauen” in die Arzt-Patientenbeziehung, Ängste und Unsicherheiten bei den Teilnehmern, aber auch Arztwechsel resultierten. Teilnehmer wollten mit ihren Anliegen als Individuen ernst genommen sowie gleichberechtigt “wie Deutsche” behandelt werden.”

Resonanz auf Anlaufstellen für Betroffene ist gering

Anlaufstellen für Betroffene sind die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, aber auch die Ärztekammern. Als erste Landesärztekammer hat die hessische in 2020 einen Beauftragten für Rassismus ernannt; übernommen hat diese Aufgabe der langjährige Menschenrechtsbeauftragte Dr. Erwin Girth.

Der Internist soll Ansprechpartner für Beschwerden sowohl von Patienten als auch Ärzten sein, bei der Entwicklung von Gegenstrategien mitwirken und Forschungsprojekte zu Rassismus im Gesundheitswesen unterstützen. Bisher sei er aber erst vereinzelt kontaktiert worden, berichtet Girth.

Weil ihr Fälle von Alltagsrassismus bekannt geworden waren, hatte die schleswig-holsteinische Ärztekammer zum Internationalen Tag gegen Rassismus im vergangenen März eine Tagung organisiert. “Ausgangspunkt dafür war die Hypothese, dass es im Gesundheitswesen – wie in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen, in denen Menschen miteinander interagieren – zu rassistischen und diskriminierenden Situationen kommt”, berichtet PR-Referent Stephan Göhrmann. Das Treffen sei auch eine Art Bestandsaufnahme gewesen. Diese sei auf große Resonanz gestoßen.

Man habe im Nachgang darüber nachgedacht, das Thema ins Fortbildungsprogramm der Akademie der Ärztekammer für Weiterzubildende und ärztliche Führungskräfte zu integrieren, so Göhrmann. Das sei aber “auf keine mehrheitliche Befürwortung gestoßen, sodass wir von einem entsprechenden Fortbildungsangebot zum jetzigen Zeitpunkt abgesehen haben”.

Fazit

Die Ärztekammer Schleswig-Holstein hat Vorschläge erarbeitet, um Rassismus im Alltag zu unterbinden:

  1. Das eigene Verhalten hinterfragen.
  2. Insbesondere neu nach Deutschland eingewanderten Kollegen Zeit geben, sie bei der Integration unterstützen.
  3. Immer wieder für das Thema sensibilisieren.
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