Hausarzt W. möchte wissen, ob es richtig ist, dass seit dem Wirksamwerden der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) am 25. Mai nun Patientendaten nach Ablauf von zehn Jahren gelöscht werden müssen. Interessant ist für ihn die Frage, ob ihn Patienten nach Ablauf dieser Zehn-Jahres-Frist auch nicht mehr aufgrund einer (angeblich) fehlerhaften Behandlung in Anspruch nehmen können. W. hat Sorge, dass er sich andernfalls nicht mehr gegen einen etwaigen Behandlungsfehlervorwurf verteidigen kann, da dann schließlich sämtliche Patienten- und Behandlungsdokumentation vernichtet worden seien.
Antwort
Die Haftungsfrage ist zunächst losgelöst von der datenschutzrechtlichen Frage zu beurteilen. Die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) legt keine starren Fristen fest, nach deren zeitlichem Ablauf Daten gelöscht werden müssen. Sie geht vielmehr davon aus, dass in datenschutzrechtlicher Hinsicht der “Verantwortliche” ein sogenanntes Löschkonzept zu entwickeln und zu dokumentieren hat.
Verantwortlich im datenschutzrechtlichen Sinne ist der oder sind die Praxisinhaber. Bereits im Ausgangspunkt zeigt sich daher, dass ein solches Löschkonzept von Praxis zu Praxis unterschiedlich sein kann, da die Erstellung praxisindividuell möglich ist.
Die Frage ist deshalb vielmehr, welche Löschfristen im Löschkonzept tatsächlich festgelegt werden sollten. Dies ergibt sich in den meisten Fallgestaltungen bereits aus dem Gesetz selbst. Beispielsweise regelt Paragraf 630f BGB in seinem Abs. 3, dass die Dauer der verpflichtenden Aufbewahrung seitens des behandelnden Arztes zehn Jahre nach Abschluss der Behandlung beträgt.
Röntgenverordnung fordert mehr
Dabei ermöglicht die Vorschrift es gerade ausdrücklich auch, dass eine längere Aufbewahrung verpflichtend notwendig ist, soweit spezialgesetzliche Regelungen dies anordnen. So enthalten beispielsweise das Gendiagnostikgesetz, die Röntgenverordnung, das Transplantationsgesetz, das Transfusionsgesetz und andere Vorschriften teilweise längere Aufbewahrungsverpflichtungen, welche vorrangig zu beachten sind. Es kann demnach bereits qua Gesetz angezeigt sein, dass der Arzt im konkreten Einzelfall verpflichtet ist, die Patienten- und Behandlungsdokumentation länger als zehn Jahre aufzubewahren.
Dass die entsprechenden gesetzlichen Aufbewahrungspflichten in jedem Falle einzuhalten sind, zeigt sich bereits an einer einfachen Überlegung: Soweit der behandelnde Arzt die Patientenakten vor Ablauf der gesetzlichen Aufbewahrungsfrist verliert, so verschlechtert sich seine “prozessuale” Verteidigungsmöglichkeit eklatant.
Anders ist auch die Situation nicht zu beurteilen, wenn die Daten gleich aus welchem Grund – “vorsätzlich” – vor Ende der Aufbewahrungsfrist vernichtet worden sind. Im Regelfall ermöglicht die Patienten- und Behandlungsdokumentation es dem behandelnden Arzt im Falle eines behaupteten Behandlungsfehlers, den Gegenbeweis durch die dokumentierten Maßnahmen zu führen. Die Beweislast des Gegenteils liegt dann beim Patienten, welcher eine Behandlungsfehlerhaftigkeit behauptet.
Daten weg? Neue Beweislast!
Der Verlust oder die Vernichtung der Dokumentation vor Ende der gesetzlichen Aufbewahrungsfrist führt jedoch dazu, dass die gesetzliche Beweislastregel gemäß Paragraf 630h Abs. 3 BGB zugunsten des Patienten eingreift. Diese ordnet an, dass die widerlegbare Vermutung besteht, dass eine dokumentationsbedürftige Maßnahme gerade nicht getroffen worden ist.
Da diese Beweislastverschiebung zu Lasten des behandelnden Arztes auch besteht, soweit nur Teile der Patienten- und Behandlungsdokumentation – trotz entgegenstehender Aufbewahrungspflicht – nicht (mehr) vorhanden sind, empfiehlt es sich, ein Behandlungsgeschehen immer als ein Ganzes zu betrachten, soweit es um Aufbewahrungsverpflichtungen geht.
Komplexe Behandlungsverläufe oder die Betreuung chronisch kranker Patienten sind in diesem Sinne stets vom Zeitpunkt der letzten erbrachten Behandlungsleistung aus zu betrachten. Dies kann gerade etwa auch im Bereich der hausärztlichen Tätigkeit angezeigt sein, soweit eine fortlaufende Behandlung durch den Hausarzt erfolgt.
Fazit: Fristen sind Mindestzeiten
Zusammenfassend kann man also sagen, dass sich die Dokumentation und anschließende Aufbewahrung von Patienten- und Behandlungsdokumentation grundsätzlich nach den gesetzlichen Vorgaben zu richten hat. Soweit der Gesetzgeber Mindestaufbewahrungsfristen festgelegt hat, sind diese verpflichtend einzuhalten. Verstöße gegen diese Verpflichtung gehen immer zulasten des dokumentationspflichtigen, behandelnden Arztes.
Existieren unterschiedlich lange Fristen, so muss im Einzelfall eine Abwägung erfolgen, ob eine teilweise Löschung von Daten angezeigt ist oder vielmehr gewartet werden sollte, bis eine Gesamtlöschung stattfinden kann. Bei den gesetzlichen Aufbewahrungsfristen handelt es sich regelmäßig um “Mindestfristen”, sodass eine längere Aufbewahrung im Einzelfall möglich und angezeigt sein kann.
Daher muss eine Aufbewahrung auch über den Zeitraum der gesetzlichen (Mindest-)Aufbewahrungsfrist hinaus zulässigerweise möglich sein.
Dies zeigt sich an einem einfachen Beispiel, ausgehend von einer Aufbewahrungsverpflichtung von zehn Jahren: Eine Patientin erlangt erst neun Jahre nach Abschluss der Behandlung Kenntnis von einer Tatsache, welche unter Umständen den Vorwurf einer Behandlungsfähigkeit begründen könnte. Die regelmäßige Verjährungsfrist zivilrechtlicher Ansprüche, in welcher ein solcher Anspruch gegenüber dem behandelnden Arzt geltend gemacht werden kann, beträgt drei Jahre.
Müsste der behandelnde, dokumentationspflichtige Arzt nun nach Ablauf von zehn Jahren grundsätzlich alle vorhandenen Patienten- und Behandlungsdokumentationen der entsprechenden Patientin löschen, so hätte er keine dokumentierten Behandlungsunterlagen mehr, welche er der Patientin mit Beweiswert in einem etwaigen gerichtlichen Verfahren entgegenhalten könnte.