Praxis WissenFlüchtlinge: Was sagt die Versorgungsforschung?

Noch gibt es nur wenige aussagekräftige Daten über die gesundheitliche Situation und Versorgung von Flüchtlingen und Asylbewerbern in Deutschland. Aufschlussreich sind jedoch die ersten Erkenntnisse des sogenannten „Bremer Modells“, wie sich die Ausgabe von Gesundheitskarten auswirkt.

Medizinische und gesundheitliche Aspekte sind von wesentlicher Bedeutung für die Versorgung von Flüchtlingen in Deutschland. Sie werden gegenwärtig im Gesundheitssystem über die bestehenden Regelungen aufgefangen. Nicht zuletzt das hohe Engagement von ehrenamtlichen Ärztinnen und Ärzte hilft. Die weitere Entwicklung hat aber das Potenzial zu einer neuen Versorgungsrealität zu führen. Problematisch ist allerdings, dass zur gesundheitlichen Lage der Zuwanderer kaum belastbare Aussagen möglich sind.

Schon Erkenntnisse zur gesundheitlichen Lage von Migranten generell sind – so jüngst auch das Robert Koch-Institut – lückenhaft. Zwar unterscheiden sich demnach diese nur wenig in ihrer körperlichen Gesundheit von der restlichen Bevölkerung, allerdings gibt es spezifische Risiken bei der psychischen Gesundheit sowie bei chronischen Erkrankungen. Auch nutzen Migranten viele Gesundheitsleistungen seltener als Menschen ohne Migrationshintergrund.

Ein Beispiel: Zwar hat sich die Zahngesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland in den letzten Jahrzehnten stark verbessert – insbesondere Kinder aus sozial schwachen Familien und Migranten profitieren von dieser positiven Entwicklung jedoch nur unterproportional. So werden zahnärztliche Kontrolluntersuchungen von Kindern aus diesen Bevölkerungsgruppen seltener wahrgenommen, zugleich sind bei ihnen bestimmte Erkrankungen der Zahn- und Mundgesundheit häufiger vorhanden. Ähnliche Ergebnisse gibt es bei Menschen mit Migrationshintergrund auch für andere präventive Gesundheitsleistungen bzw. Erkrankungen, denen durch Prävention vorgebeugt werden könnte.

Bedauerlicherweise hält die Versorgungsforschung noch wenige Aussagen und Daten zur gesundheitlichen Situation und Versorgung von Flüchtlingen und Asylbewerbern in Deutschland bereit. Zum Krankheitsspektrum von Asylsuchenden konkurrieren grundsätzlich – zugespitzt formuliert – zwei Thesen: Flüchtlinge würden im Vergleich zur einheimischen Bevölkerung aufgrund der Flucht und der Gesundheitssysteme der Herkunftsländer eine schlechtere Morbidität und Mortalität aufweisen. Andererseits könnte es einen „healthy migrants effect“ geben: Demnach seien fast nur Gesunde in der Lage, die Schwierigkeiten der Flucht erfolgreich zu meistern. Wie die gesundheitliche Situation von Menschen, die in der aktuellen Fluchtbewegung nach Deutschland kommen, aussieht, lässt sich bisher nicht abschließend beurteilen.

Erste Ergebnisse des „Bremer Modells“

Aufschlussreich sind aber Erkenntnisse und mögliche Effekte des sog. „Bremer Modells“, also der Ausgabe von Gesundheitskarten an Asylbewerber. Das Gesundheitsamt Bremen wertete die Daten für die Jahre 2001 bis 2008 aus: Erleichterter Zugang zum Gesundheitssystem durch die Gesundheitskarte der AOK und verminderte Wartezeiten korrelierten mit einer steigenden Anzahl der Untersuchungen pro Patient. Dabei hätten Frauen die Möglichkeit des erleichterten Zugangs zum Arzt häufiger als Männer genutzt (zwischen 3,6 bis zu 11 mal pro Jahr, die Zahl der Besuche bei Männern betrug 2,6 bis 6,1 mal pro Jahr).

Das Bremer Gesundheitsamt führte diese erhöhten Werte bei Frauen unter anderem auf Schwangerschaften, aber auch auf diffuse Krankheitsbilder, wie Kopfschmerzen und eindeutig somatoforme Störungen, zurück. Mögliche Gründe: Eine Mehrbelastung der Frauen in Asylsituationen und ihre spezifische Rolle in patriarchal geprägten Herkunftskulturen sowie die Belastungs situation in Flüchtlingsunterkünften. Am häufigsten waren unspezifische Symptome und Befunde, hier vor allem verschiedene Formen der Schmerzsymptomatik. Dies wird zum Teil auf körperliche Ursachen, aber auch auf psychische Belastungen zurückgeführt. Die zweithäufigsten Befunde sind Krankheiten des Atmungssystems, die dritthäufigste Gruppe bilden die Befunde Z00-Z99. Diese umfassen ein weit gefächertes Spektrum unterschiedlicher ärztlicher Leistungen ohne Vorliegen akuter Krankheitssymptome, wozu auch Erstuntersuchungen zählen. Relativ selten seien hingegen infektiöse und parasitäre Erkrankungen sowie psychische Krankheitsbilder.

Das Gesundheitsamt konstatierte in seiner Untersuchung, dass sich das „Bremer Modell“ für die Versorgung körperlicher Erkrankungen gut eigne; Lücken würden jedoch in der Versorgung psychischer Leiden bestehen, was auf den Leistungskatalog für Asylbewerber und Flüchtlinge zurückzuführen sei. Neue Zahlen aus den Niederlanden von irakischen Asylbewerbern zeigen, dass vor allem die Unsicherheit über den rechtlichen Status zu einem deutlich schlechterem psychischen Gesundheitszustand führt.

Behörden in Bremen und Hamburg, wo das Modell ebenfalls implementiert wurde, sprechen von erheblichen Einsparungen, da dadurch die Verwaltung entlastet werde und die KVen die Abrechnungen prüften. Eine aktuelle Studie der Universitätskliniken Heidelberg und Bielefeld konstatiert ebenfalls, dass die Ausgabe der Gesundheitskarte und ein regulärer Zugang zum GKV-System wirtschaftlicher sei: Die Kosten für Asylsuchende mit eingeschränktem Zugang zum Gesundheitssystem lagen demnach in den Jahren 1994 bis 2013 um durchschnittlich 376 Euro/Jahr höher als bei Flüchtlingen, die bereits Anspruch auf Leistungen der GKV hatten.

Manche Innenpolitiker befürchten wiederum neue Anreize für Wirtschaftsflüchtlinge, andere wiederum Leistungsausweitungen (trotz feststehenden Leistungsanspruchs nach AsylbLG). In Bremen und Hamburg ließ sich das bisher nicht feststellen. Dies dürfte nicht zuletzt von der Ausgestaltung in den einzelnen Ländern abhängen. Bislang blieb die konkrete Ausgestaltung in den Ländern noch offen.

Fazit

Generell muss die Ver sorgungsforschung im Bereich der gesundheitlichen Versorgung von Migranten sowie auch der Asylbewerber und Flüchtlinge verstärkt werden. Beide Gruppen sind von ihrem rechtlichen Status klar abzugrenzen, was zu unterschiedlicher Gesundheitsversorgung führt. Aufgrund des kulturellen Kontextes (z. B. Ernährungsgewohnheiten) und der Herkunft von Migranten, Asylbewerbern und Flüchtlingen, können bestimmte erhöhte Risiken für manche Erkrankungen bestehen.

Auffällig ist die für diese Bevölkerungsgruppen oftmals nur geringfügig greifende Wahrnehmung von Präventionsleistungen. Diese steht bei Migranten häufig vor allem in einem sozio-kulturellen Kontext bzw. hängt oft mit der Zugehörigkeit zu einem bestimmten sozialen Status zusammen. Bei Asylbewerbern und Flüchtlingen könnte dies auch auf Restriktionen des Asylbewerberleistungsgesetzes zurückgeführt werden.

Eine angemessene Gesundheitsversorgung wird insgesamt einen entscheidenden Beitrag zur Integration von Flüchtlingen leisten. Das wiederum hätte positive Auswirkungen auf das gesamte soziale Gefüge der Bundesrepublik Deutschland.

Literatur bei den Verfassern. Der Beitrag gibt die Meinung der Autoren wieder.

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