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Interview“Wir sehen keine Sanktionen für Ärzte vor”

Schluss mit Pflichten, die Praxen von einem Tag auf den anderen übergestülpt werden: Mit dem E-Rezept will das Bundesgesundheitsministerium einen neuen Weg gehen. Dr. Susanne Ozegowski, Digitalisierungs-Chefin im Ministerium, spricht über Hilferufe aus Hausarztpraxen, ihren Wunsch-Zeitplan – und was passieren wird, wenn es trotzdem hakt.

Dr. Susanne Ozegowski ist seit 1. April Chefin der Abteilung 5 "Digitalisierung und Innovation" im Bundesgesundheitsministerium.

“Das E-Rezept kommt!” verkündet das Bundesgesundheitsministerium auf seiner Internetseite. Was entgegnen Sie bei all dem Optimismus Praxisinhaberinnen und -inhabern, die nach Jahren der TI-Pannen die nächste digitale Baustelle fürchten?

Ich verstehe ihre Ängste. Aber ich finde das E-Rezept nicht einfach per se gut, weil es sich um ein digitales Produkt handelt, sondern weil ich darin einen wirklichen Nutzen für die Patientenversorgung sehe.

Für Menschen wie Sie und mich, die fit sind, mag es bei einem E-Rezept um einen Komfort-Faktor gehen, für andere hingegen – Gebrechliche etwa, die sich einen Gang in die Praxis sparen können – ist es ein echter Gewinn.

Ich verstehe aber, dass es für Ärztinnen und Ärzte unerlässlich ist, dass die Technik läuft. Deswegen gehen wir nun erstmals einen sehr iterativen Weg, bei dem wir in den vergangenen Monaten allen Praxen bundesweit die Chance gegeben haben, das E-Rezept zu testen.

Wie viele Praxen haben von dieser Möglichkeit bislang Gebrauch gemacht?

Wir haben keine genauen Zahlen zu der Anzahl der Praxen, aber wir hatten bis Mitte Juli über 80.000 eingelöste eRezepte. Die Nutzung durch die Praxen ist dabei sehr unterschiedlich: Einige Praxen haben schon komplett umgestellt, andere haben es vielleicht einmal ausprobiert, nach ein oder zwei E-Rezepten dann aber aufgehört.

… und in den ersten Regionen, die im September starten? Wie viele machen dort mit?

Das wird sukzessive hochgefahren. Begonnen wird mit einer dreistelligen Anzahl, dann gibt es eine relativ deutliche Wachstumskurve mit dem Ziel, zeitnah flächendeckend alle Praxen in den beiden Regionen (siehe Abbildung 1 unten) umzustellen.

Aus den ersten Pilotregionen hagelte es Kritik: Die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) seien erst “parallel zu den Medien” informiert worden, dass das E-Rezept bei ihnen starten soll. Die Ärztinnen und Ärzte fühlten sich nicht mitgenommen. Wie muss man sich die Zusammenarbeit zwischen Ihnen, Gematik, KVen und Praxen vorstellen?

Die Kommunikation zum Start des Roll-outs Anfang Mai ist in der Tat nicht sehr glücklich gelaufen. Das konnten wir im Gespräch miteinander aber ausräumen. Ich bin mit beiden Vorsitzenden der Vorreiter-KVen – Schleswig-Holstein und Westfalen-Lippe – direkt im Kontakt, jüngst waren sie zu Besuch im Ministerium.

Wir haben verabredet, dass die KVen eng von der Gematik begleitet werden – etwa durch regelmäßige Telefonkonferenzen –, und auch wir unterstützen. Die Ärztinnen und Ärzte wiederum werden von den KVen eng begleitet und haben da einen direkten Draht. Sie wissen, an wen sie sich wenden müssen, wenn es hakt.

Für Praxen sind also die KVen erste Ansprechpartner? Oder planen Sie oder Gematik gar so etwas wie einen technischen Support?

Ansprechpartner für die Ärztinnen und Ärzte sind ihre jeweilige KV – oder direkt der PVS-Hersteller. Denn auch die Software-Häuser sammeln Probleme und stehen mit den KVen und Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) im Austausch.

Der Roll-out ist davon abhängig, dass die einzelnen Phasen reibungslos abgeschlossen werden (Abb. 1). Der flächendeckende Einsatz des E-Rezepts kann deswegen nicht auf den Tag genau vorausgesagt werden. Was wäre jedoch Ihr Wunsch-Zeitplan? Ab wann ist das E-Rezept flächendeckend verfügbar?

Ich würde gern erreichen, dass wir das E-Rezept im ersten Halbjahr 2023 flächendeckend ausgerollt haben – unter dem Vorbehalt, dass bis dahin alles gut funktioniert. Mir ist am Ende wichtiger, dass die Praxen sagen, dass das E-Rezept problemlos läuft, als zwanghaft an dieser Frist festzuhalten.

Sollte es größere “Show-Stopper” geben – wovon ich aktuell nicht ausgehe –, schieben wir lieber das Datum nach hinten. Dafür ist die Ausgabe von Rezepten viel zu wichtig im Versorgungsalltag, als dass es hier Probleme geben dürfte.

Die nächsten Schritte des Roll-outs erfolgen jeweils, wenn die Gematik-Gesellschafter den “Erfolg” der ersten Stufe besiegelt haben. Wie definieren Sie “erfolgreich”?

Die Erfolgskriterien werden die Gesellschafter der Gematik im August beschließen. Daher kann ich dazu heute noch nichts sagen (Stand 26. Juli).

Zuletzt hat die Zahl 30.000 als Qualitätskriterium Schlagzeilen gemacht: So viele E-Rezepte sind bis Mitte Juli abgerechnet worden. Wie aussagekräftig sind aber solche Kennzahlen? Immerhin sind 30.000 Rezepte in digital affinen Praxen mit jungem Patientenklientel nicht mit 30.000 Rezepten in analog aufgestellten Praxen in ländlicher Struktur gleichzusetzen…

Die 30.000 abgerechneten E-Rezepte waren zwar die prominenteste Kenngröße der Testphase, aber keinesfalls die einzige. Quantitative Ziele sind immer einfacher zu messen und zu greifen. Nichtsdestotrotz ist auch schon heute ein Strauß an Kriterien zum Tragen gekommen: die Marktabdeckung der PVS-Hersteller etwa, die E-Rezept-fähig sind, oder auch der Fakt, dass es keine Retax-Fälle geben durfte.

Auch in Zukunft gilt: Wir definieren Erfolgskriterien, aber darüber hinaus bleiben wir im Gespräch mit den KVen und nehmen die Erfahrungen, die gesammelt werden, auf.

Das heißt, Sie würden Hilferufe aus den hausärztlichen Praxen durchaus wahrnehmen?

Ja, klar! Technische Probleme nehmen wir sehr ernst. Gleichzeitig muss man aber auch sagen: Natürlich bringt Digitalisierung immer auch eine Veränderung von Prozessen mit sich. Und das ist erst einmal anstrengend und auch mal nervig!

Wenn das nicht der Fall wäre, dann würden wir nur über eine Elektrifizierung reden, nicht über eine Digitalisierung. In diesem Sinne appelliere ich an die Ärztinnen und Ärzte, diesen Schritt jetzt zu machen und die Veränderung in Kauf zu nehmen.

Ganz konkret: Inwiefern ist eine Verpflichtung für Arztpraxen vorgesehen?

Rein gesetzlich besteht diese Verpflichtung bereits seit 1. Januar 2022. Es sind aber Stand heute keine Sanktionen vorgesehen.

…auch nicht in Zukunft?

Nein. Es ist jetzt erst einmal wichtig, diesen begleiteten Prozess zu gehen und ich bin mir relativ sicher, dass wir damit zügig in eine flächendeckende Nutzung des E-Rezepts kommen.

Auf seiner Webseite zieht das Ministerium die Parallele zum Online-Banking. Kunden erkennen hier den Vorteil und steigen freiwillig um. Für die letzten wenigen, die am Schalter hängen, wird es immer unbequemer, etwa durch schlechtere Öffnungszeiten…

Ja, so in etwa erhoffen wir uns das auch beim E-Rezept. Beispielsweise wird das Muster 16 nicht mehr zur Verfügung gestellt. Ärztinnen und Ärzte müssten für ein analoges Rezept im PVS ein sogenanntes Stylesheet drucken – was den gleichen Workflow bedeutet wie das Drucken des QR-Codes fürs E-Rezept. Das sehe ich als Anreiz, dann gleich ein E-Rezept auszustellen. Ich werde mich aber auch nicht für die letzten drei Prozent verkämpfen.

Apropos Anreize: Die Gematik-Gesellschafter wollen “Unterstützungsmöglichkeiten” prüfen, um eine “schnellstmögliche Nutzung des E-Rezepts” zu erzielen.

Auch das wird aktuell noch in der Gesellschafterversammlung abgestimmt. Fest steht aber bereits: Anreize müssen nicht immer monetärer Art sein.

Sie wollen nicht zuletzt Tempo, weil mit der TI 2.0 das nächste Großprojekt am Horizont zu erkennen ist. Diese soll ohne Konnektoren auskommen. Ist das bis 2025 schaffbar oder droht möglicherweise gar ein zweiter Konnektortausch?

Ich bin mir sicher, dass wir keinen weiteren Konnektortausch mehr erleben werden. Ich weise in dem Zuge auch gern darauf hin, dass Praxen ja auch heute schon ohne Konnektor arbeiten können, Stichwort “TI as a Service”.

Dabei ist das Loswerden des Konnektors nur ein Baustein der TI 2.0. Ein anderer ganz zentraler Punkt sind die digitalen Identitäten. Erst mit ihnen kommen wir an den Punkt, dass Versicherte Tools nutzen können, ohne sich jedes Mal aufs Neue authentifizieren zu müssen.

Ist der Zeitplan bis 2025 nicht sehr sportlich?

Das ist das Datum, auf das ich hinarbeite.

Wie sehr bereitet Ihnen mit Blick auf die Zukunft Bauchschmerzen, dass Ihre Vorgänger oft Digitalisierung um der Digitalisierung Willen propagiert und den Nutzen im Praxisalltag aus dem Fokus verloren haben?

In der letzten Legislatur wurden meiner Ansicht nach viele wichtige Anstöße für die Digitalisierung des Gesundheitswesens gegeben. Beim Roll-out gehen wir aber einen anderen Weg, indem wir einen schrittweisen, regional gestaffelten Roll-out vorsehen, statt einer bundesweiten Einführung zu einem Stichtag.

Das ist aus meiner Sicht zielführender und nachhaltiger. Dabei werden wir uns eng mit den Vorreiterregionen abstimmen, hinhören, bei Problemen unterstützen und notfalls auch den Fahrplan anpassen.

Gilt das nur für das E-Rezept oder auch für andere digitale Anwendungen?

Ich würde Stand heute sagen, dass das ganz prinzipiell der richtige Weg ist. Ich kann zwar aus dem Ministerium heraus viele Dinge ins Gesetz schreiben und vorgeben, dass diese ab Stichtag x verpflichtend sind. Aber damit sind sie ja noch lange nicht im gelebten Versorgungsalltag angekommen.

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