Berlin. Zum 1. Januar ist in einigen Praxisverwaltungssystemen (PVS) die neue Kodierunterstützung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) gestartet. Diese soll es Praxen erleichtern, den richtigen Kode für den Beratungsanlass zu dokumentieren.
In einzelnen Praxen regt sich allerdings eher Unmut, da besonders die neuen Funktionen bei den Dauerdiagnosen sich als Zeitfresser zu entpuppen scheinen. Davor hat der Deutsche Hausärzteverband schon früh gewarnt. Der Verband betont, eine Kodierhilfe muss die Praxisteams entlasten und darf den bürokratischen Aufwand im Alltag nicht weiter erhöhen.
Neue PVS-Funktion, keine neuen Kodierregeln
Zur Klarstellung vorweg: Die Kodierunterstützung im PVS sind lediglich neue Softwarefunktionen. Es handelt sich dabei nicht um eine Kodier-Richtlinie, neue verpflichtende Regeln oder Vorgaben.
Für Vertragsärztinnen und -ärzte gelten auch weiterhin beim Kodieren die Regeln des ICD-10, wie seit zwanzig Jahren. Neu ist allerdings, dass die Regeln nicht nur im Kollektivvertrag gelten, sondern auch in den Selektivverträgen und bei ambulanten Behandlungen im Krankenhaus.
Das Ziel ist eine bessere Vergleichbarkeit der dann einheitlich verschlüsselten Diagnosen. Zudem sollen Praxisteams die bereits bestehenden Regeln der Kodierung mit möglichst wenig Aufwand einhalten können, so die KBV.
Übergangsfrist für manche bis 30. Juni
Allerdings bieten noch nicht alle Softwarehersteller die Kodierunterstützung an. Es gibt daher eine Übergangsregelung: Praxen, deren Software die technischen Voraussetzungen bietet, starten sofort. Praxen, deren Software noch nicht dafür von der KBV zertifiziert ist, können die Kodierhilfe spätestens ab 30. Juni 2022 anwenden. Solange nutzen sie ihre Software in der aktuellen Fassung.
Die KBV hat eine Übersicht zusammengestellt, welche Softwarehäuser die Kodierunterstützung bereits im Programm haben.
Was beinhaltet die Kodierunterstützung?
Insgesamt kann man den Inhalt der Unterstützungssoftware in die folgenden Bereiche einteilen:
- Kodesuche (freiwillige Nutzung)
- Benutzungshinweise, z.B. zu Meldepflichten oder Hinweisen nach dem IfSG (Software zeigt Hinweise wie bisher an)
- NEU: Hinweise aus der vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) herausgegebenen Verschlüsselungsanleitung (freiwillige Nutzung)
- NEU: Kodiercheck, eine Überprüfung der eingegebenen ICD-Kodes auf Plausibilität, um so mögliche Fehlkodierungen zu vermeiden (freiwillige Nutzung)
- NEU: Weitere Funktionen bei der Dauerdiagnosenverwaltung: Prüfung eines Kodes auf Eignung als Dauerdiagnose und quartalsübergreifender Dauerdiagnosen-Check (freiwillige Nutzung)
Der Kodiercheck
Bei der Überprüfung der ICD-Kodes, dem sogenannten Kodiercheck, wird ein eingegebener Kode mit dem gesamten Datensatz des Patienten abgeglichen, ob er dazu passt. Wenn dies nicht der Fall ist, beispielsweise wegen Implausibilität mit anderen eingegebenen Kodes, oder auch wenn ein spezifischerer Kode vorhanden ist, erhalten Arzt oder Praxisteam einen entsprechenden Hinweis von der Software.
Bei Implausibilität eines Kodes macht die Software unter anderem Alternativvorschläge. Diesen Hinweisen können Ärzte folgen, aber es ist ihre Entscheidung, ob sie dies dann auch tatsächlich tun. Bei Vorschlag zum Beispiel eines fünfstelligen Kodes können sie folgenlos darauf verzichten.
Auch bei progressiven Krankheitsverläufen kann es zu Hinweisen zu zusätzlichen Kodierungen kommen. Wird bei einem Diabetiker erstmalig eine Überweisung zum Neurologen ausgestellt, kommt die Meldung, dass eventuell zusätzlich der Kode G63.2 (diabetische Polyneuropathie) möglich ist.
Zunächst gibt es diesen Kodiercheck nur für vier Krankheitsbilder:
- Herzinfarkt
- Schlaganfall
- Diabetes mellitus und
- Bluthochdruckfolgen.
Dieser Kodiercheck läuft permanent im Hintergrund mit und kann auch nicht abgeschaltet werden. Allerdings können Ärzte ihre Software so einstellen, dass der Check nicht direkt beim Kodieren, sondern erst zur Testabrechnung aktiv wird. Zudem soll es laut KBV möglich sein, in der Software einzustellen, dass derselbe Hinweis beim selben Patienten in einem Quartal nicht nochmal angezeigt wird.
Die Dauerdiagnosenverwaltung
Im Bereich der Dauerdiagnosenverwaltung gibt es neu eine ergänzende Funktion zur Kennzeichnung von anamnestischen Diagnosen (wie etwa Z.n. Strumektomie). Diese Unterscheidung ist allerdings freiwillig, scheibt die KBV. Während Dauerdiagnosen von der Software bereits vorausgewählt werden, müssen anamnestische Diagnosen vom Arzt aktiv angewählt werden, um sie zu übernehmen.
Neu hinzu kommt zudem eine Prüfung auf Tauglichkeit eines Kodes als Dauerdiagnose. So würde ein Kode J02.8 (Akute Pharyngitis) als Dauerdiagnose abgelehnt.
Ebenfalls neu ist eine quartalsübergreifende Überprüfung von Diagnosen auf deren Tauglichkeit als Dauerdiagnose implementiert. Dabei werden zunächst für die Diagnosegruppen Herzinfarkt und Schlaganfall Diagnosen quartalsübergreifend geprüft, ob als Akutdiagnosen abgerechnete Kodes auch weiterhin als Dauerdiagnosen abgerechnet werden können. Zurückliegende Diagnosen werden dabei laut KBV nicht angepasst, sondern nur die des aktuellen Quartals.
Software gibt nur Hinweise
Wichtig für die Nutzung im Alltag wird sein, dass es sich bei diesen Kodierunterstützungen lediglich um Hinweise handelt, die eine korrektere Kodierung ermöglichen sollen. So werden beispielswiese zunächst implausibel erscheinende Konstellationen nachgefragt, wenn bei einem Patienten beispielsweise gleichzeitig ein Diabetes mellitus Typ 1 und Typ 2 verschlüsselt wird.
Ein weiteres Beispiel ist die nicht nachvollziehbare Übernahme einer Akutdiagnose als Dauerdiagnose, da in der weiteren Behandlung dann andere Kodes zutreffen. Als Beispiel seien unterschiedliche Kodes für den akuten und den durchgemachten Herzinfarkt aufgezeigt:
- -G Akuter Myokardinfarkt (bis zu 28 Tage)
- 2G Alter Myokardinfarkt (ab dem 29. Tag nach Infarkt)
Wichtig: Beide Kodes werden mit dem Zusatzkennzeichen „G“ verschlüsselt; eine Kodierung I21.-Z sollte möglichst vermieden werden.
Um es noch einmal deutlich zu sagen: Es sind lediglich Hinweise, bei deren Nichtbeachtung durch den Arzt oder die Ärztin keine Abrechnung gestoppt oder verhindert wird.
Praktische Umsetzung
Alle in den Praxen gespeicherten individuellen Diagnosefavoriten mit den entsprechenden ICD-Kodes, alle selbst erstellten Listen und auch alle vom individuellen PVS zur Verfügung gestellten Thesauri bleiben erhalten, heißt es seitens der KBV.
Neu hinzu kommen vom Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) ausgearbeitete Thesauri für Haus- und Fachärzte, die in die Kodierunterstützung integriert sind.
Quellen:
https://www.kbv.de/html/1150_55971.php
https://www.kbv.de/media/sp/PraxisWissen_Kodierunterstuetzung.pdf
https://www.dimdi.de/static/de/klassifikationen/icd/icd-10-gm/kode-suche/htmlgm2022/