Bremen. Nachdem der Tiger der digitalen Transformation in den letzten Jahren laut gebrüllt hat und weit gesprungen ist, ist er mittlerweile als Bettvorleger gelandet, erklärte Dr. Peter Bobbert in seinem Vortrag zur Digitalisierung schon beim 124. Deutschen Ärztetag.
Bobbert erinnerte am Freitag (27.5) in Bremen an den Ärztetag in Freiburg, bei der die Digitalisierung bereits ein prioritäres Thema gewesen sei. Das Thema habe aber von der Ärzteschaft immer unter der Prämisse gestanden: Digitale Anwendungen müssten Patienten und Ärzten Nutzen stiften. Davon könne heute keine Rede sein.
Allerdings, so Bobbert, helfe das Jammern nichts. Den Zug Digitalisierung könne man nicht mehr stoppen. Vielmehr sei es nun wichtig, dass die Ärzteschaft ganz vorne im Führerhaus sitze und den Prozess gestalten müsse. „Wir müssen aktiv werden, wir müssen der kreative Part sein“, lautete Bobberts Plädoyer.
Tausch der Konnektoren nicht abwendbar
Auch Erik Bodendieck, Vorsitzender des Ausschusses: „Digitalisierung im Gesundheitswesen“ der Bundesärztekammer appellierte an die Ärzteschaft: „Wir werden daran gemessen, was wir geschafft haben und nicht an dem, was wir verhindert haben. Wir müssen klar definieren, was wir wollen.”
Hoffnungen, man könne den Tausch der Konnektoren doch noch abwenden, machte Bodendieck zunichte. Es sei in der Vergangenheit nicht getestet worden, was passieren würde, wenn die Sicherheitszertifikate einfach verlängert würden. In der Vergangenheit sei vergessen worden, die Hersteller in die Pflicht zu nehmen. Grundsätzlich sei die Gematik verantwortlich für das Desaster um den Konnektor.
Zukünftig müssten „Quality gates“ festgelegt werden. Erst, wenn diese Quality Gates oder Ziele erreicht seien, dürfte das Ganze in die Betriebsreife gehen. Auch müssten Anwendungen so ausgerollt werden, dass die Praxen und Kliniken damit nicht überfordert werden.
ePA wäre ja schön, wenn….
Bezüglich der ePA warben Bobbert und Bodendieck für eine Opt-out-Lösung. Bisher habe man hier auf Freiwilligkeit nichts erreichen können. Patienten hätten bereits seit anderthalb Jahren ein Anrecht auf eine ePA. Allerdings seien ePA bisher äußert rar gesät. Und wenn es welche gebe, dann seien diese lückenhaft, nicht brauchbar und die wenigen, die eine Akte hätten, seien Gesunde und nicht chronisch Kranke.
Die Ärztinnen und Ärzte sind sich in Bremen weitgehend einig: Eine ePA, in der die Ärzteschaft Zugriff auf die wichtigen Gesundheitsdaten und Befunde sowie alle Medikamente hat, wäre ein Segen. Allerdings darf es nicht so wie jetzt, eine Ansammlung von PDF-Dateien sein, die mühsam angeklickt werden müssen. Wenn Digitalisierung, dann richtig.
Bei der Opt-out-Lösung warnten viele Ärztinnen und Ärzte in ihren Redebeiträgen davor, dass die Daten der Patienten gefährdet sein könnten. Hier gelte es auch, weiter zu denken. Eine Ärztin machte beispielsweise auf die Datenverwendung im EU-Raum aufmerksam.
In Polen etwa sei ein Schwangerschaftsabbruch unter Strafe gestellt (außer Vergewaltigung). Viele der Frauen kämen deshalb nach Deutschland. Würde jeder Zugriff auf Daten der persönlichen ePA haben, müssten diese Frauen in ihrem Land Strafverfolgung fürchten. Patienten müssten dringend das Recht haben, ihre Daten ausblenden zu können, hieß es von Delegierten.
Rechtlich überprüfen: Opt-out-Verfahren zulässig?
Trotz der hohen Bedenken, erhielt der Antrag „Elektronische Patientenakte – Opt-out-Verfahren“ eine kleine Mehrheit. Für die ePA heißt es im Antrag:
Ein Opt-out-Verfahren ist prinzipiell mehrstufig für mehrere Aspekte einer Patientenakte denkbar:
- statt expliziter Beantragung: jeder Patient erhält initial eine Akte, es sei denn, er widerspricht der Anlage,
- statt expliziter Datenfreigabe für jeden Arzt: alle Ärztinnen und Ärzte erhalten zunächst vollen Zugriff, es sei denn, der Patient schränkt die Zugriffsrechte explizit ein,
- statt expliziter Weitergabe von Daten aus der ePA für Forschungszwecke: alle Daten eines Patienten stehen für Forschungszwecke zur Verfügung, es sei denn, der Patient beschränkt eine Datenweitergabe.
Gleichzeitig stimmten die Ärztinnen und Ärzte mehrheitlich einem Antrag zu, nach dem die Zulässigkeit des Opt-out-Verfahrens bei der ePA einer rechtlichen Überprüfung unterzogen wird.
Bei der Nutzung von Gesundheitsdaten in der Versorgung und Forschung müssten außedem klare Regeln her, fordert die Ärzteschaft im Zusammenhang mit Gesundheitsdaten. Die Delegierten in Bremen dafür, dass in einem Gesundheitsdatennutzungsgesetz die rechtlichen, organisatorischen und infrastrukturellen Rahmenbedingungen eindeutig festgelegt werden. Die Bundesregierung müsse das im Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP angekündigte Gesetz zügig entwickeln und die Ärzteschaft aktiv in den Prozess einbeziehen.