Eigentlich sollte das eRezept bundesweit bereits zum 1. Januar eingeführt werden, dann hieß es 1. Juli. Dieses Datum ist auch wieder in Frage gestellt – nun sollen erst 30.000 eRezepte eingelöst worden sein, damit es einen Schritt weitergeht.
Eigentlich wäre das eine tolle Anwendung für die Praxis, findet Moritz Eckert. Allerdings sei die Technik furchtbar kompliziert, es hakt an vielen Stellen und es braucht im Vergleich zum Papierrezept mehr Zeit. “Vieles muss sich ein Sadist ausgedacht haben, der keine Ahnung von Praxisabläufen hat”, resümiert der technikaffine Allgemeinarzt, der am 14. Januar mit dem Testen des eRezepts in seiner Praxis begonnen hat.
Bis das digitale Rezept nach Eingabe einer PIN elektronisch unterschrieben war, dauerte es anfangs jedes Mal ungefähr 30 bis 40 Sekunden, so Eckerts Erfahrung. Weil es zu Beginn noch keine Komfortsignatur gab, musste die PIN bei jeder Rezeptausstellung eingegeben werden. Auch wenn es mittlerweile deutlich schneller geht: Im Vergleich zum Papierausdruck und der analogen Unterschrift mit einem profanen Stift dauert der digitale Weg länger.
Kaum jemand mit eRezept-App
An die hundert Rezepte gehen in Eckerts Hausarztpraxis täglich über den Tresen. Da die digitale Ausstellung länger dauert, geht viel Zeit verloren, die für die Behandlung von Patienten zur Verfügung stehen könnte. Mal davon abgesehen, dass derzeit viel Zeit dafür draufgehe, das Handling mit dem eRezept zu erklären.
A propos papierlos und ausdrucken: Ohne Papier wird es auch in Zukunft nicht gehen. “Bislang gibt es kaum Patienten, die die eRezept-App der Gematik haben”, sagt Eckert. Er selbst ist bislang an deren Freischaltung gescheitert. Der PIN für seine Versichertenkarte, der extra bei der Kasse angefordert werden muss, steht noch aus.
“Das konnte ich noch gar nicht ausprobieren…generell ist es ein riesiges Versäumnis, dass es keine Testpatienten zum Ausprobieren gibt. Man entwickelt mit seinen echten Patienten die unfertige Technik weiter.”
Und selbst wenn es mit dem eRezept irgendwann mal richtig gut funktionieren sollte: Wenn Patienten nicht die Möglichkeit haben, sich das digitale Rezept auf dem Handy zu speichern oder dieses aus der Praxis direkt an die Wunschapotheke gesendet werden kann (Makelverbot!), kommt die Praxis nicht um einen Ausdruck herum.
Papierlos? Nix da!
Das zusätzlich Irrsinnige daran: Die eRezepte können zwar auf DIN A5 Papier ausgedruckt werden. Da dieses Format nicht so gängig ist, ist es aber deutlich teurer als DIN A4 Papier. “Nachhaltig und ressourcensparend ist das nicht”, so Eckert.
Außerdem: Patienten haben auch das Recht auf einen Ausdruck. Beim Bundesgesundheitsministerium heißt es: “Patientinnen und Patienten können entscheiden, ob sie ihr eRezept per Smartphone über eine sichere eRezept-App verwalten und digital an die gewünschte Apotheke ihrer Wahl senden wollen oder ob ihnen die für die Einlösung ihres eRezepts erforderlichen Zugangsdaten als Papierausdruck in der Arztpraxis ausgehändigt werden sollen.”
“Praxistauglicher wäre es, wenn banales Vorlegen der Versichertenkarte in der Apotheke ausreichen würde”, so Eckert. Das ist aber derzeit so nicht vorgesehen. “Digitalisierung bedeutet in Deutschland, dass wir einen QR-Code auf Papier ausdrucken.”
“Mit der elektronischen Krankschreibung klappt es bei uns mittlerweile recht gut”, sagt Eckert, der auch bei der eAU an vorderster Front getestet hat. Es funktioniert aber nur, weil es mit seiner Software gut klappt. “Andere berichten über ständige Probleme”, weiß Eckert. Den Arztpraxen bringt die eAU keinerlei Entlastung, im Gegenteil: Die Praxis muss diese selber per Post versenden, wenn es elektronisch nicht funktioniert.
Allerdings: “Wenn innerhalb eines Werktages keine Fehlermeldung kommt, hat die Praxis ihre Pflichten erfüllt”, erklärt Eckert. Anfang März hat das Bundesgesundheitsministerium nun auch die Testphase der eAU verlängert.
Tägliche Abstürze
Ansonsten kennt auch er die zahlreichen Probleme, die schon im Digitalisierungsreport des iGES Instituts festgehalten wurden (“Der Hausarzt” berichtete). Eckert gehört zu den Praxen, in dem die TI täglich muckte und beim Einlesen der Karten täglich Abstürze geschahen.
Die “Erdungsversuche”, um elektromagnetisch aufgeladene Kärtchen zu entladen, halfen nur wenig. “Es waren dann noch immer 10 bis 15 Abstürze pro Tag, davor waren es über 50”, sagt Eckert. “Abhilfe brachte nur der Umstieg auf den anderen Lesegeräte-Hersteller.”
Auch seinen eigenen Heilberufeausweis freizuschalten, ist ein äußerst komplexer Vorgang, berichtet Eckert. Obwohl er “Computerfreak” ist, musste er “vier Mal den Support kontaktieren”, um eine erfolgreiche Freischaltung zu schaffen. “Zahllose komplizierte Schritte, irreführende Abfolge, welcher PIN gerade benötigt wird… immer in Sorge, die Karte zu sperren.”
“Das ist stärker abgesichert als jedes Onlinebanking und wird kaum schaffbar verkompliziert”, meint Eckert. Ist Eckert ein Masochist, dass er all die TI-Anwendungen in seiner Praxis testet? “Nein”, lacht er, “ich will gerne konstruktiv an praxistauglichen Lösungen, die die Patientenversorgung verbessern, mitarbeiten. Leider sind wir davon derzeit aber noch ziemlich weit entfernt.”
Mehrwert? Pustekuchen!
Dr. Jana Husemann weiß zur TI in den Praxen ebenfalls “bisher kaum Gutes zu berichten”. Das Ausstellen von eAU wurde in ihrer Praxis wegen der vielen Fehlermeldungen wieder eingestellt.
Die digitalen Anwendungen bieten den Praxen noch keinen Mehrwert, kritisiert die Hausärztin, im Gegenteil. Es fängt schon bei den Konnektoren an – gerade ging der Konnektor der Praxis kurz nach Ablauf der Garantie kaputt, die Praxis musste einen neuen ohne Förderung finanzieren.
Dabei wäre etwa die Kommunikation der Praxen untereinander sehr wichtig und ein Must have für jede Gesundheitsinstitution. Mit KIM etwa könnten Befunde schnell, papierlos und im Sinne der Patienten ausgetauscht werden, meint Husemann. Zwar müssen alle medizinischen Einrichtungen eine KIM-Adresse haben. Nur momentan haben noch sehr wenige eine Adresse oder nutzen sie aktiv.
“Wir Hausärzte sind pfiffig”
Dass Hausärztinnen und Hausärzte, die sowieso schon mit Bürokratie immens belastet werden, auch noch neue Anwendungen in ihren Praxen “testen” sollen, findet die Hausärztin unglaublich.
Wie kann es beispielsweise sein, fragt Husemann, dass ein Chip in eine Versichertenkarte eingebaut wird, ohne die Folgen zu kennen? Die elektrostatisch aufgeladenen Karten verursachten auch in Husemanns Praxis zehn bis 20 Abstürze pro Tag. Mittlerweile geht es etwas besser, denn die MFA “entladen” den Chip, indem sie die Karte an das Plastik des Computers “ditschen”. Die Hygienemaßnahme in der Pandemie, nämlich, dass die Patienten ihre Kärtchen selbst in das Lesegerät stecken, wurde wegen der Abstürze aufgegeben.
“Wir Hausärzte sind ja pfiffig, wenn es um das Lösen von Problemen geht”, sagt Husemann. Ärzteforen waren voll mit Ideen – von Radiergummis bis hin zu individuellen Erdungs-Vorrichtungen. Dennoch kann es nicht sein, dass die Hausärztinnen und Hausärzte, die zusätzlich mit der Pandemie belastet sind, mit solch unausgereifter Technik konfrontiert werden, findet Husemann.