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Praxis WissenDer “Hausarzt” für die Mannschaft

Seit 2001 betreut Prof. Tim Meyer die Spieler der Deutschen Fußballnationalmannschaft. Er hat mit ihnen vier Weltmeisterschaften und drei Europameisterschaften erlebt und ist auch bei der aktuellen EM in Frankreich dabei. Seine Patienten haben so ziemlich alles: Nervenflattern, Husten und Blasen an den Füßen.

Prof. Meyer, Sie sind Teamarzt der Deutschen Fußballnationalmannschaft. Was ist Ihre Aufgabe?

Prof. Tim Meyer: Ich bin so etwas wie der „Hausarzt“ der Spieler, soweit es nicht um Verletzungen geht. Das gilt natürlich nur so lange, wie wir beisammen sind. Und das sind während eines Turnierjahres wie 2016 durchaus einmal zehn bis zwölf Wochen im Jahr. Ansonsten haben die Spieler natürlich ihre Ärzte in den Vereinen. Aber was die Aufgaben vor Ort angeht, kann man für mich sagen – die Versorgung ist allgemeinmedizinisch-sportmedizinisch.

Wie viele Menschen betreuen Sie im Nationalteam?

Derzeit sind es 27 Spieler, und dazu kommt ein Betreuerstab von ähnlicher Größe. Gerade auf Auslandsreisen gibt es auch häufig Anfragen von begleitenden Angehörigen, technischem Personal oder Journalisten.

Was sind die häufigsten Diagnosen?

Wenn sie von der ganzen Medizin die Orthopädie abziehen, dann haben Sie mein inhaltliches Spektrum. Und das gilt nicht nur für die Spieler, sondern eben auch für den Betreuerstab. Darunter sind durchaus Personen, die über 60 sind und dementsprechend auch einmal Herzprobleme oder ähnliches haben können. Wir sprechen also von einem recht breiten medizinischen Spektrum. Im Vordergrund steht in der Tat die Infekt-Diagnostik vor allem der oberen Atemwege, außerdem hautärztliche Diagnosen etwa allergische Exanthema, ein Erysipel oder schlicht Blasen an den Füßen. Und gar nicht so selten hat man es mit stressassoziierten Problemen zu tun, beispielsweise Durchfall, der sich kurzfristig vor einem wichtigen Spiel einstellt.

Das hört sich so an, als seien Sie für die Spieler auch so etwas wie die „Mutter der Kompanie“.

Ja, das kann in Einzelfällen so sein. Was aber auch daran liegt, dass ich eine Fußball-Vergangenheit habe. Ich habe selbst ambitioniert gespielt, und dadurch hat man eben einen leichteren Bezug zu manchen Fußballer-Problemen. Erschöpfungszustände nach einem Training meine ich besser als andere Ärzte einschätzen zu können, denn ich sehe mir in der Regel jedes Training an. Ist ein Spieler aus krankhafter Ursache abgeschlagen oder einfach müde? Die Antwort fällt durch häufige Beobachtung leichter.

Worauf müssen Sie achten, um die Sportler auch für die Wettkämpfe fit zu bekommen?

Im Vordergrund für uns Ärzte stehen natürlich Gesundheit und Vorsorge. Wichtig für Wettkämpfe ist die optimale Fitness – dafür sind primär die Trainer zuständig. Wir Ärzte haben dabei höchstens eine beratende Funktion und sollten uns aus meiner Sicht auch möglichst darauf beschränken. Was die Gesundheit angeht, müssen wir mit den Beschwerden oder Erkrankungen umgehen, die bei den Spielern auftauchen. Ich bin einen Teil vom Tag sozusagen im „stand-by“-Modus, und wenn ein Spieler Beschwerden entwickelt oder Rat sucht, stehe ich zur Verfügung. Für Profifußballer können manche Beschwerden viel gravierender sein als bei Menschen, die etwa den ganzen Tag am Schreibtisch sitzen. Bei einem Infekt, mit dem ich noch ins Büro gehen würde, könnten die Fußballer nicht auf den Platz gehen. Da ist also in der Regel ein wesentlich sorgfältigeres Infektmonitoring fällig.

Beim Pokalendspiel Bayern gegen Dortmund, das in die Verlängerung ging und schließlich durch Elfmeterschießen entschieden wurde, hat man gesehen, wie platt die Spieler nach 90 Minuten waren. Riskieren sie bei längeren Spielen ihre Gesundheit?

Nein. Grundsätzlich riskiert ein gesunder Sportler nicht seine Gesundheit, wenn er sich einmal stärker anstrengt. Spieler werden für eine ganze Saison trainiert und währenddessen von Spiel zu Spiel. In der Regel werden sie in der Lage sein, 120 Minuten zu absolvieren, auch wenn in der Verlängerung schon einmal das Spieltempo leiden kann. Wir wissen, dass man für 90 Minuten maximal 1.500 Kilokalorien benötigt, die ganz vorwiegend aus Kohlenhydraten bereitgestellt werden. Da ist es natürlich von Vorteil, wenn die Glykogenspeicher zu Beginn voll aufgeladen sind. Das muss eine sportgerechte Ernährung gewährleisten. Übrigens: Was gerne einmal vernachlässigt wird, ist etwas ganz Banales: Trinken. Wer sich nicht fachgerecht mit Flüssigkeit versorgt, wird eher erschöpft sein. Deshalb legen wir viel Wert auf ausreichendes Trinken.

Die Spieler dürften mit sehr unterschiedlichem Gesundheitszustand zu Ihnen in die Nationalelf kommen…

Eher mit unterschiedlichen Gewohnheiten, was Details der medizinischen Versorgung angeht. Außerdem durchaus in unterschiedlichem Trainingszustand. Dazu tragen Verletzungen bei, unterschiedliche Einsatzzeiten in den Vereinen, aber auch die „Handschriften“ der Vereinstrainer. Auch die medizinische Betreuung ist natürlich in den Vereinen nicht völlig gleich. Der eine Kollege behandelt offensiver, ein anderer ist zurückhaltender. In manchen Vereinen wird zum Beispiel viel substituiert, wir sind da sehr zurückhaltend. Bei der Nationalmannschaft geht es also oft darum, einen Kompromiss zu finden.

Wie arbeiten Sie mit den Vereinsärzten zusammen?

Sehr eng und häufig. Die Vereinsärzte der deutschen Clubs, die Spieler für die Nationalmannschaft abstellen, kenne ich alle persönlich. Wir telefonieren regelmäßig. Und wenn etwas Gravierendes mit einem Spieler ist, erhalten sie es von mir auch noch einmal schriftlich. Umgekehrt machen sie es genauso. Schwieriger kann es bei ausländischen Clubs sein, weil die Vereine sehr unterschiedlich gemanagt werden und gelegentlich auch Sprachprobleme auftauchen können. Aber bislang ließ sich das alles lösen. Mit den konsiliarisch tätigen Fachärzten der Vereine arbeiten wir vor allem im Zusammenhang mit der jährlich stattfindenden Untersuchung auf die Sporttauglichkeit zusammen. Vor großen Turnieren wie der EM fragen wir diese Befunde regelmäßig ab. Bei uns im Institut werden derartige Untersuchungen regelmäßig durchgeführt, so dass ich auf diesem Feld große Erfahrung habe.

Vieles an der sportlichen Leistung auf dem Platz ist reine Psychologie – können Sie als Mannschaftsarzt da unterstützend wirken?

Das sehe ich nicht als meine erste Funktion, auch wenn die Unterstützung des Betreuerstabs prinzipiell natürlich für die Spieler wichtig ist. Wir haben einen Sportpsychologen im Stab, der sich unter anderem mit solchen Fragestellungen beschäftigt. Wenn ein Sportlerpatient zu mir kommt, dann gehe ich in erster Linie ärztlich mit ihm um.

Prof. Tim Meyer ist Ärztlicher Direktor des Instituts für Sport- und Präventivmedizin, Universität des Saarlands

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