Für Dominik Pütz ist die Sache klar. "Leider sind die Abrechnungsmöglichkeiten mit den gesetzlichen Krankenkassen derart realitätsfern, dass wir die Videosprechstunde nur Privatpatienten und Selbstzahlern anbieten können", klärt er seine Patienten bereits auf der Webseite seiner Praxis auf. Im nordrhein-westfälischen Niederkassel bietet der Allgemeinmediziner seit Sommer Videosprechstunden an. Prinzipiell ist er von deren Nutzen überzeugt: "Ich sehe hier bedeutende Chancen, meine Praxis effizienter zu organisieren – auch im Sinne meiner Patienten." So könnte seiner Meinung nach sogar jede zweite Akut-Konsultation über eine Videosprechstunde abgewickelt werden. Aber: Die Vergütung mache es unmöglich, die Online-Konsultation für gesetzlich Versicherte anzubieten, meint Pütz.
Seit April vergangenen Jahres können Ärzte bestimmter Facharztgruppen – darunter auch Hausärzte – für jede Videosprechstunde einen Technik- und Förderzuschlag von 4,21 Euro (GOP 01450) abrechnen. Dieser wird für bis zu 50 Videosprechstunden im Quartal gezahlt, auch mehrmals im Behandlungsfall. Im Quartal sind das also bis zu 210,50 Euro. Demgegenüber stehen die Kosten: Neben einer Webcam benötigen Ärzte die Zusammenarbeit mit einem zertifizierten Anbieter. Aktuell bewegen sich die Kosten für die Dienste zwischen 40 und 70 Euro pro Quartal für eine Videosprechstunden-Flatrate. Der Zuschlag soll vor allem diese Kosten für den Videodienst abdecken. Doch genau hier liegt der Knackpunkt: Denn das eigentliche Gespräch fällt unter die Grundpauschale. Aber: Eine Videosprechstunde kostet den Arzt in der aktuellen Ausgestaltung Zeit. "Der Aufwand ist bei der Videosprechstunde oft sogar höher als bei der Vorstellung in der Praxis oder auch bei einem Telefonat", meint Pütz aus eigener Erfahrung.
Sechs Anbieter sind zertifiziert
Wie viele Ärzte bereits von der Gebührenordnungsposition (GOP) Gebrauch machen, dazu kann die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) nach den ersten zehn Monaten keine Angaben machen. "Die Leistung ist noch vergleichsweise neu", erklärt Sprecher Dr. Roland Stahl auf Anfrage von "Der Hausarzt". "Zudem hat es einige Zeit gebraucht, bis es zertifizierte Anbieter auf dem Markt gegeben hat." Heute listet die KBV sechs Anbieter – doch die Videosprechstunde ist im Versorgungsalltag weiter Randphänomen, wie eine Studie der Stiftung Gesundheit belegt: Bei einer Befragung, an der im Oktober 215 Ärzte, Zahnärzte und Psychologische Psychotherapeuten teilgenommen hatten, gaben lediglich 1,8 Prozent der Niedergelassenen an, die Videosprechstunde bereits zu nutzen.
Dabei war das Angebot einst Vorzeigeprojekt. Immerhin war die Videosprechstunde eine der wenigen telemedizinischen Leistungen, die noch vor dem vorgesehenen Termin startete: Das E-Health-Gesetz hatte die finanzielle Förderung erst ab 1. Juli 2017 gefordert.
Video als "Rohrkrepierer"
Der Deutsche Hausärzteverband hatte in der Ausgestaltung des E-Health-Gesetzes immer wieder darauf hingewiesen, die praktikable Anwendung in der Praxis im Blick zu behalten. "Das Problem ist, dass die Videosprechstunde mit so vielen bürokratischen Hürden ausgestaltet wurde, dass sie in der Realität kaum praktikabel ist", betont Hausärztechef Ulrich Weigeldt. "In dieser Form ist sie leider ein Rohrkrepierer."
Trotz früh geäußerter Kritik schieben die Kassen heute den Ärzten den schwarzen Peter für die stockende Einführung zu. Kritik an der dürftigen Vergütung etwa weist Florian Lanz, Sprecher des GKV-Spitzenverbandes, zurück. "Die Höhe der Vergütung wurde im Bewertungsausschuss von KBV und GKV-Spitzenverband gemeinsam vereinbart. Wir müssen also grundsätzlich davon ausgehen, dass die Höhe der Vergütung auch den Erwartungen der Ärzteschaft entspricht." Im Januar hatte Johann-Magnus von Stackelberg, Vize-Vorstandsvorsitzender des GKV-Spitzenverbandes, in einem Medienbericht Ärzte für die stockende Einführung in die Pflicht genommen.
Nicht nur aus dem Hausärzteverband, auch von der KBV gibt es dafür deutlichen Gegenwind. "Wir würden uns im Gegenteil vom GKV-Spitzenverband mehr Mut bei der Anwendung von Online-Angeboten wünschen", sagt KBV-Sprecher Stahl. "Aus meiner Wahrnehmung heraus sind die niedergelassenen Ärzte keine Blockierer bei der sinnhaften Anwendung digitaler Möglichkeiten." Die jetzige Vergütungslösung könne dabei nur ein erster Schritt sein.
Es ist ein Eindruck, der auch bei Anbietern von Videosprechstunden vorherrscht. Patientus, einer der führenden Anbieter, beziffert die Kundenzahl aktuell auf "mehrere Hundert", Tendenz deutlich steigend. Aus Sicht von Dr. Felix Schirmann, Leiter Operatives Geschäft, liegt das zögerliche Ankommen im Alltag vor allem an der "weit verbreiteten Vorstellung, es bedürfe der Anschaffung von besonderer Technik". Mangelnde Bereitschaft hingegen will er Ärzten nicht attestieren: "Ein bedeutender Teil der Ärzte steht Innovationen sehr aufgeschlossen gegenüber."
Timo Schumacher, Hausarzt im niedersächsischen Schwanewede und aktiv in der AG Werkzeugkasten des Hausärzteverbandes, ist für den Zwiespalt zwischen Offenheit und Vergütung ebenso wie Kollege Pütz beispielhaft: Gerade als Ergänzung zur Telefonsprechstunde sei das Bild durchaus sinnvoll, findet Schumacher. "Aufgrund des Augenkontakts gewinnt die zwischenmenschliche Komponente an Gewicht. Bei akuten Sorgen kann ich Patienten besser beruhigen als nur über das Telefon." Aber: Vergütung und vergleichsweise hoher bürokratischer Aufwand machten das Angebot für ihn als Arzt wenig attraktiv.
"Massive Einbuße"
Bei einem Blick in die Zukunft wird gleichzeitig deutlich, dass das Thema verstärkt auf den Tisch kommen wird. So soll die Lockerung des Fernbehandlungsverbots ("Der Hausarzt" 01) gar mehr Spielraum für Online-Angebote schaffen. Die Vergütung wird dem aber weiter im Weg stehen, meint Hausarzt Pütz. Denn vor allem bei ausschließlicher Videokonsultation in einem Quartal – schon heute unter bestimmten Bedingungen erlaubt (S. 18) – erlebt er wirtschaftliche Einbußen: Die quartalsweise anzusetzende Ordinationsziffer darf in diesem Fall nicht genutzt werden. Im ambulanten Bereich bedeute das "eine massive Einbuße bei der Vergütung". Für Pütz ist deshalb klar: "Erst wenn die Bedingungen für die kassenärztliche Videosprechstunde realistischer sind, kann ich diese auch als Kassenleistung anbieten."
Vergütung auf einen Blick
Arztpraxen erhalten für jede Videosprechstunde einen Technik- und Förderzuschlag von 4,21 Euro (GOP 01450, 40 Punkte). Dieser wird für bis zu 50 Videosprechstunden im Quartal gezahlt, auch mehrmals im Behandlungsfall. Die Konsultation selbst ist Inhalt der Versicherten- beziehungsweise Grundpauschale und somit nicht gesondert berechnungsfähig. Für Fälle, bei denen der Patient in einem Quartal nicht die Praxis aufsucht, rechnen Ärzte die GOP 01439 (88 Punkte) ab. Diese kann einmal im Behandlungsfall angesetzt werden, wenn der Patient in den vorangegangenen zwei Quartalen mindestens einmal in der Praxis persönlich vorstellig geworden ist und die Verlaufskontrolle durch dieselbe Praxis erfolgt wie die Erstbegutachtung.
Fazit
- Seit April 2017 erhalten Ärzte bis zu 210 Euro pro Quartal als Technik- und Förderzuschlag für die Videosprechstunde. Sechs zertifizierte Anbieter listet die KBV dafür aktuell.
- In einer Umfrage der Stiftung Gesundheit gaben bei den Niedergelassenen lediglich 1,8 Prozent an, diese Option bereits zu nutzen, weitere 2,7 Prozent bereiten sie konkret vor.
- Die dürftige Vergütung ist Knackpunkt für die stockende Etablierung: Denn das eigentliche Gespräch fällt unter die Grundpauschale; der Patientenkontakt über die Videosprechstunde bedeutet für den Hausarzt in der aktuellen Ausgestaltung aber oft mehr Aufwand als Praxisbesuch oder Telefonat.
Eine Liste zertifizierter Anbieter gibt es unter hausarzt.link/Kml5l