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Forum PolitikUnter dem Deckmantel der Budgetierung…

Der NAV-Virchow-Bund appelliert an die Einigkeit der Ärzte, um die Budgetierung zu beenden. Er schiebt den ­Hausärzten den Schwarzen Peter zu. Versteckt wird so versucht, die Trennung von fach- und hausärztlicher Versorgung auszuhebeln: ein Kommentar des Ehrenvorsitzenden des Deutschen Hausärzteverbands Prof. Klaus-Dieter Kossow.

Vor dem Hausärztetag im September hat der NAV-Virchow-Bund den Hausärzten vorgeworfen, ausschließlich ihre Interessen im Blick zu haben und nicht das Wohl der gesamten Ärzteschaft (s. unten). Vordergründig wirbt Heinrich mit einem Appell an alle Vertragsärzte für Geschlossenheit im Kampf gegen die Budgetierung. Im Hintergrund stützt der NAV-Vorsitzende aber die Forderung des Vorstands der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), die Trennung der Versorgungsbereiche (nach Paragraf 73 SGB V) aufzuheben, indem bestimmte Facharztgruppen in die Primärversorgung eingegliedert werden.

Paragraf 73 sieht eine Gliederung in eine hausärztliche und eine fachärztliche Versorgung vor. Nur Allgemeinärzte sind danach Hausärzte per se. Internisten und Kinderärzte können wählen, ob sie als Haus- oder Fachärzte arbeiten wollen. Alle anderen Ärzte mit Spezialgebiet werden der fachärztlichen Versorgung zugeordnet.

Der KV ist vorgegeben, das Gesamthonorar obligatorisch in ein hausärztliches und ein fachärztliches Budget zu teilen, sofern nicht extrabudgetäre Leistungen vereinbart wurden. Ferner legt Paragraf 76 (3) SGB V fest, dass Versicherte einen Hausarzt wählen.

Selbst wenn man den Wünschen von Heinrich nach Abschaffung der Budgets ­folgen wollte, darf man doch auf keinen Fall die gravierenden Konsequenzen für die Qualität der ambulanten Versorgung akzeptieren, wenn man ausschließlich im Spezialgebiet weitergebildeten Fachärzten die Kompetenz für die Primärversorgung zuordnen würde.

Selektierte Fälle in der ­Weiterbildung

Klinikabteilungen, in denen Spezialisten den wesentlichen Teil ihrer Weiterbildung absolvieren, sehen von den gut 1.000 häufigeren Diagnosen in einer Allgemeinpraxis in der gesamten Weiterbildung höchstens bis zu 50 Krankheitsbilder. Diese versorgen sie mit dem methodischen Arsenal der Spezial­gebiete erfolgreich. Dabei handelt es sich aber immer um selektierte Patienten, die ­bereits die hausärztliche Primärversorgung und die ambulante Fachversorgung durchlaufen haben. Bereits in ihrer Weiterbildung sammeln Spezialisten also nur Erfahrung mit einer selektierten Auswahl an Patienten.

Die Ärztekammern betonen seit sieben Jahrzehnten, dass das Rückgrat der Qualitätssicherung die Weiterbildung im ­künftigen Fachgebiet ist. Wer sich an der Primärversorgung beteiligen will, sollte daher wenigstens zwei Jahre Erfahrung im hausärztlichen Sektor aufweisen, auch weil eine erfolgreiche Behandlung einer großen Zahl von Krankheitsbildern ausschließlich mit naturwissenschaftlichen und technischen Methoden nicht gelingen kann. Das Bio-psycho-soziale Weltbild, das vor 20 Jahren als ­Grundlage für die Primärversorgung erarbeitet wurde, gilt als unumstößliches Allgemeingut.

Dies hat auch Prof. Yuval ­Harari von der Universität zu Jerusalem belegt. Bei Erkrankungen, die mit Angst, Antriebsstörungen, Niedergeschlagenheit und anderen Gefühlen einhergehen, müsse man immer auch wissenschaftlich begründete Methoden der ­Psychologie anwenden. Diese berück-sichtigen stationäre Weiterbildungsstätten nicht hinreichend, da Patienten dort nur kurz verweilen und in ­einer Sondersituation der Abhängigkeit leben.

Lebenslage beachten

Neben naturwissenschaftlichen und psychologischen Methoden spielen die vielfältigen intersubjektiven Lebensgemeinschaften wie Ehe, Familie, Religionsgemeinschaften, Arbeitsteams, Vereine der Freizeitgestaltung ­eine wesentliche ­Rolle, um Erkrankungen zu bewäl­tigen. Ärzte müssen dem ­gerecht werden. Besonders Hausärzte können Patienten und ­ihre Familien über längere Zeit begleiten und Empfehlungen zur Prävention als auch zur Krankheitsbehandlung geben, wobei sie die sozialen Lebensumstände der Patienten berücksichtigen.

Es wäre unverantwortlich, die für die Behandlung nötige Koordination und ­damit die Verantwortung für die Patienten nicht einer dafür weitergebildeten und ­damit erfahrenen ­Arztgruppe zuzuordnen, sondern sie auf verschiedene Spezialisten und ­Gesundheitsfachberufe zu verteilen. Aus diesen Gründen ist die oben beschriebene Gliederung der Versorgung sinnvoll. Sie reicht aber nicht aus.

In Ländern mit einer ­strikten Primärversorgung wie in den Niederlanden, England, Kanada, Neuseeland und den skandinavischen Staaten ­gelingt mit weniger Mitteln ein besser koordiniertes Gesundheitswesen: Gerade weil man dort auf die doppelte Facharztschiene ambulant und stationär verzichtet und Hausärzte die Versorgung und die Überweisung in die Spezialversorgung koordinieren.

In Deutschland bietet die Hausarztzentrierte Versorgung eine solche koordinierte Versorgung, für die sich Versicherte und ­Hausärzte frei ­entscheiden können. Sie verbessert nachgewießenermaßen die Qualität der Versorgung. Ein weiterer Vorteil dieses Versorgungsmodells ist, dass die Patienten zielgenauer und zeitnäher die spezifische Versorgung der gebietsfachärztlichen Kollegen in Anspruch nehmen können. Mit der koordinierten Versorgung geh auch einher, dass die Spezialversorgung offen bleibt für Patienten, zu denen der Hausarzt einen Spezialisten hinzuziehen muss und die er ohne Zeitverzug delegieren möchte.

Wer dominiert die Weiterbildungspolitik?

Im Übrigen wünsche ich mir, dass Kollege Heinrich erkennt, dass er die Verhältnisse im ­Gesundheitswesen verzerrt sieht. Es sind nicht die ­Hausärzte, die einen ­alleinigen Versorgungsanspruch geltend machen. Vielmehr haben wir ­Jahrzehnte einer durch Mehrheiten der Spezialisten gestützte Weiterbildungspolitik hinter uns: Viele Fachgebiete haben Monopole für ihr Gebiet mit der Forderung nach einem „Facharzt-Standard“ zu begründen versucht, auch wenn dies für die Qualitätssicherung nicht ­nötig war. Man hat es Hausärzten dadurch schwer gemacht, dass man argumentativ und rechtlich ihre Kompetenzen beschnitt und bestritt. Damit hängt es zusammen, dass sich in der Vergangenheit weniger junge Ärzte für die Allgemeinmedizin entschieden haben. Dem ­steigenden Bedarf kann man ­begegnen, indem ­Fachärzte, die in ihrem Gebiet nicht mehr genug verdienen, die Weiterbildung für eine kompetente hausärztliche Tätigkeit abschließen. Der Quereinstieg geht aber nicht ohne Allgemeinmedizin!

„Die ambulante Versorgung unserer Patienten kann nur gemeinsam gelingen. Daher ist es widersinnig, wenn sich eine Arztgruppe gegenüber allen anderen als unverzichtbar erklärt und für sich reklamiert, allein qualifiziert und legitimiert zu sein, im Mittelpunkt der Versorgung zu stehen“, appellierte NAV-Vorsitzender Dr. Dirk Heinrich an die Einigkeit aller niedergelassenen Ärzte in einer Pressemitteilung. Eine flächendeckende Versorgung zu sichern, die zunehmende Ambulantisierung und Digitalisierung seien Herausforderungen, die Ärzte gemeinsam angehen müssten. Dazu forderte er von der neuen Bundesregierung, die Budgetierung abzuschaffen. „Hierzu müssen zunächst alle Leistungen der Grundversorgung entbudgetiert werden. Dies muss für Leistungen der Hausärzte wie der Fachärzte gleichermaßen gelten“, so Heinrich.

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