Berlin. Für Ärztinnen und Ärzte bleibt die assistierte Suizidhilfe weiter eine rechtliche Grauzone: Eine gesetzliche Regelung ist vorerst gescheitert, nachdem am Donnerstagvormittag (6. Juli) zwei diskutierte Entwürfe (s. unten) im Deutschen Bundestag jeweils keine Mehrheit fanden.
Hingegen wurde ein gemeinsam vorgelegter Antrag zum Ausbau der Suizidprävention mit 688 von 693 abgegebenen Stimmen beschlossen. Dieser fordert angesichts von rund 9000 Suiziden im Jahr einen Ausbau von Vorbeugungsangeboten. Unter anderem solle ein bundesweiter Präventionsdienst etabliert werden, der Menschen mit Suizidgedanken und Angehörigen rund um die Uhr online und mit einer einheitlichen Telefonnummer Kontakt zu geschulten Ansprechpartnern ermöglicht.
Für ein solches Suizidpräventionsgesetz liegen bereits seit Juni 2022 Empfehlungen zahlreicher Fachgesellschaften vor.
Wegweisendes Urteil für Ärztinnen und Ärzte
Hintergrund der geplanten Reform der Suizidhilfe ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2020, das ein seit 2015 bestehendes Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe gekippt hatte – dabei bezieht sich „geschäftsmäßig“ nicht auf einen finanziellen Aspekt, sondern bedeutet „auf Wiederholung angelegt“. Das Verfassungsgericht verwarf das Gesetz mit der Begründung, dass dadurch das Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben verletzt werde. Es stellte klar, dass jeder – unabhängig von Alter und möglichen Erkrankungen – das Recht habe, beim Sterben die Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen.
Ärztinnen und Ärzte dürfen Patienten in ihrem Wunsch nach einem selbstbestimmten Sterben seither wieder unterstützen, ohne eine Strafverfolgung befürchten zu müssen. Doch: Das ärztliche Berufsrecht steht dem in einigen Regionen noch immer entgegen. Der Deutsche Ärztetag hatte 2021 den entsprechenden Passus in der Muster-Berufsordnung nachjustiert, gleichzeitig aber deutlich gemacht, dass eine breite gesetzliche Neuregelung durch den Deutschen Bundestag gefragt ist.
Dass dieser ein solch sensibles Thema nun in 180 Minuten – zwischenzeitlich war ein noch kürzerer Tagesordnungspunkt vorgesehen – in der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause beschließen wollte, hatte bei verschiedenen medizinischen Fachgesellschaften und Kammern sowie der Bundesärztekammer (BÄK) für Kritik gesorgt.
Hausarzt berichtet von Brisanz in Pflegeheimen
Die Bundesverfassungsrichter hatten ausdrücklich Möglichkeiten zur staatlichen Regulierung der Suizidhilfe vorgesehen. Diese Möglichkeit nutzte der Bundestag nun vorerst nicht. Vielmehr ist nun ein Suizidpräventionsgesetz als nächster gesetzgeberischer Schritt vorgesehen.
Unterdessen hatten Ärztinnen und Ärzte in der Debatte vor den Abgeordneten unterstrichen, dass bereits heute Konsequenzen im Versorgungsalltag zu beobachten seien. Dr. Stephan Pilsinger (CSU), der als Hausarzt neben seiner Tätigkeit als Abgeordneter auch regelmäßig Altersheime betreue, berichtete von dortigen aktiven Ansprachen durch Sterbehilfevereine. “Wir müssen die Menschen vor diesem erzeugten Druck schützen”, plädierte er. Pflegekräfte würden ihn mitunter “fassungslos” ansprechen.
Auch Kirsten Kappert-Gonther, Grünen-Abgeordnete und Fachärztin für Psychotherapie, berichtete, dass Suizidassistenzen „immer öfter auch in Pflegeheimen“ stattfinden würden, “momentan ohne gesetzliche Regelungen”. Gerade für vulnerable Gruppen seien Schutzkonzepte nötig.
Gerade in Zeiten, in denen die Wartezeit auf einen Therapieplatz bei drei Monaten liege, sei wichtig, entsprechende Hürden und Wartezeiten für eine Suizidhilfe vorzusehen. Mindestens 90 Prozent derjenigen, die an Suizid versterben, hätten laut Deutscher Stiftung Depressionshilfe eine psychiatrische Erkrankung, erinnerte Pilsinger als Unterstützer des Vorstoßes von Lars Castelucci (SPD). Dies sei zwingend zu prüfen, durch entsprechende psychiatrische Gespräche sowie entsprechende Zeit, die Dauerhaftigkeit des Sterbewunsches sicherzustellen.
Unterschiedliche Ansätze, gleiche Ergebnisse
Zwei statt zuletzt noch drei Gesetzentwürfe lagen – aufgrund einer Zusammenführung – am Donnerstag zur Abstimmung vor:
- Eine Parlamentariergruppe um Renate Künast (Grüne) und Katrin Helling-Plahr (FDP) setzte sich im weiter reichenden Entwurf dafür ein, dass Ärztinnen und Ärzte Volljährigen Arzneimittel zur Selbsttötung verschreiben dürfen, die ihr Leben „aus autonom gebildetem, freiem Willen“ beenden möchten. Der Vorstoß erhielt 287 Ja-Stimmen, 375 Nein-Stimmen und 20 Enthaltungen.
- Eine 85-köpfige Gruppe um Lars Castellucci (SPD) hingegen zielte darauf, die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung grundsätzlich unter Strafe zu stellen. Dabei sollte es aber eine Ausnahme für Volljährige geben: Um deren freie Entscheidung zum Suizid ohne Druck festzustellen, sollen zwei Untersuchungen durch einen Facharzt oder eine Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und eine umfassende Beratung vorgegeben werden. Von 690 abgegebenen Stimmen waren 304 dafür, 363 dagegen und 23 Enthaltungen.