Berlin. Der Orientierungswert als Basis für die Preise ärztlicher und psychotherapeutischer Leistungen steigt für 2020 um 1,52 Prozent. Ab dem kommenden Jahr beträgt er damit 10,9871 Cent (aktuell: 10,8226 Cent). Das haben Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und GKV-Spitzenverband zum Abschluss der Honorarverhandlungen für 2020 am Freitag (23. August) mitgeteilt. Die Anhebung entspricht einer Honorarsteigerung von rund 565 Millionen Euro.
Der Einigung waren schwierige Verhandlungen vorausgegangen. Umso erleichterter zeigten sich mit dem Abschluss sowohl Ärzte als auch Kassen, dass sie den Erweiterten Bewertungsausschuss doch nicht anrufen müssen. Doch Grund zu jubeln gibt es bei einem Blick auf die Inflationsrate tatsächlich nur bedingt: Diese betrug im Juni diesen Jahres laut Statistischem Bundesamt 1,6 Prozent – der neue Orientierungswert bewegt sich damit also nur im Rahmen der Inflation.
Auch vor diesem Hintergrund bezeichnet der Deutsche Hausärzteverband die Einigung als “Tropfen auf den heißen Stein”. “Ein Honorarplus von einer halben Milliarde Euro mag zwar auf den ersten Blick viel erscheinen, aber steigende Praxiskosten oder die Inflation fressen dieses komplett wieder auf”, erklärt Bundesvorsitzender Ulrich Weigeldt. “Für die Ärzte ist das faktisch mehr oder weniger eine Nullrunde.”
Hausbesuchs-Förderung steht noch aus
Darüber hinaus müssen Hausärzte auf eine wichtige Honorarfrage wohl weiter warten: Denn zur Förderung der Hausbesuche enthält die Mitteilung zum Abschluss der Verhandlungen kein Wort, ebenso zur Frage der Chronikerpauschalen. Erst vergangene Woche hatte sich die KBV „enttäuscht“ darüber gezeigt, dass im Zuge der zähen Verhandlungen noch immer kein Durchbruch zur Förderung der Hausbesuche erzielt werden konnte. Die Kassen “haben es einmal mehr nicht geschafft, ein Angebot zur Verbesserung der Vergütung vorzulegen”, sagte die KBV auf erneute Nachfrage von “Der Hausarzt”.
Bereits seit über einem Jahr diskutieren die Parteien über die Vergütung von Hausbesuchen. Der Deutsche Hausärzteverband hatte immer wieder die Notwendigkeit betont, solche hausärztlichen Leistungen aufzuwerten. Hausbesuche seien jahrzehntelang massiv unterbewertet worden. „Daher braucht es jetzt ebenso massive Investitionen“, sagte Bundesvorsitzender Ulrich Weigeldt bereits zum Start der letzten Honorarverhandlungen in 2018. Doch: Der GKV-Spitzenverband habe offensichtlich andere Vorstellungen davon, welche Versorgungsangebote die Versicherten benötigten, kritisierte KBV-Chef Dr. Andreas Gassen jüngst. Zuletzt stellte die KBV in Aussicht, dass die Hausbesuche im Zuge der EBM-Reform besser vergütet werden sollen. Diese wird für Januar 2020 anvisiert.
Noch stiller ist es um die Chronikerpauschalen geworden. Hierzu hatte die KBV nach Abschluss der Honorarrunde Ende August 2018 angekündigt, mit den Kassen weiter über Änderungen der Abrechnungsvorschriften verhandeln zu wollen. Die Ärzte wünschen sich, dass die „Vier-Quartals-Vorgabe“ entfällt und die Abrechnung der Chronikerpauschalen nur noch an die Behandlung bestimmter Krankheiten gekoppelt ist. Doch dem erteilten die Krankenkassen im September 2018 eine Abfuhr. Auch hier müssen Hausärzte wahrscheinlich auf die EBM-Novelle hoffen, für die Hausärzte-Chef Weigeldt zur Stärkung der hausärztlichen Versorgung noch “deutlichen Nachholbedarf” attestiert.
Auf Nachfrage, ob Hausbesuche wie Chronikerpauschalen bei der EBM-Reform berücksichtigt werden, äußerte sich die KBV nur zu den Hausbesuchen. Diese werde sie weiter in die Verhandlungen einbringen. “Eine Aufwertung ist zwingend erforderlich. Wenn der Besuch nicht besser vergütet wird, wird die Zahl abnehmen”, hieß es dazu gegenüber “Der Hausarzt”.
Bis zu 500 Euro für Videosprechstunde
Die Videosprechstunde hingegen, die in der Praxis – auch aufgrund der schwachen Honorierung – bislang eher die Ausnahme ist, soll künftig finanziell gefördert werden. Ab 1. Oktober 2019 zahlen die gesetzlichen Krankenkassen eine Anschubfinanzierung für Ärzte, die Videosprechstunden durchführen. Diese kann laut gemeinsamer Mitteilung von KBV und GKV-Spitzenverband bis zu 500 Euro pro Arzt und Quartal betragen. Die Fördermöglichkeit gilt für zwei Jahre und erfolgt als Zuschlag über die Gebührenordnungsposition (GOP) 01451 (Bewertung: 92 Punkte / 9,95 Euro). Weitere Anpassungen zur Förderung der Videosprechstunde will der Bewertungsausschuss laut KBV bis Ende September vereinbaren.
Seit April 2017 können Ärzte bestimmter Facharztgruppen – darunter auch Hausärzte – für jede Videosprechstunde einen Technik- und Förderzuschlag von 4,21 Euro (GOP 01450) abrechnen. Dieser wird für bis zu 50 Videosprechstunden im Quartal gezahlt, auch mehrmals im Behandlungsfall. Im Quartal sind das bislang also bis zu 210,50 Euro. Ein Knackpunkt: Das eigentliche Gespräch fällt unter die Grundpauschale; der Patientenkontakt über die Videosprechstunde bedeutet für den Hausarzt in der aktuellen Ausgestaltung aber oft mehr Aufwand als Praxisbesuch oder Telefonat.
Verbesserungen für Patienten mit seltenen Erkrankungen
Im Bereich Humangenetik werden die ärztlichen Beurteilungs- und Beratungsleistungen (GOP 01841, 11230, 11233 bis 11236) ab dem kommenden Jahr aus der morbiditätsbedingen Gesamtvergütung (MGV) genommen und extrabudgetär vergütet – zunächst für drei Jahre. Hintergrund ist die Mengenausweitung in diesem Bereich. GKV-Spitzenverband und KBV verständigten sich außerdem darauf, die bereits bestehende extrabudgetäre Vergütung von Leistungen der In-vitro-Diagnostik tumorgenetischer Veränderungen (EBM-Abschnitt 19.4.2) außerhalb der MGV zu vergüten, um drei Jahre bis zum 1. Juli 2023 zu verlängern. „Davon profitieren insbesondere Patienten mit seltenen Erkrankungen und Krebserkrankungen in der Familie“, kommentierte Gassen das Ergebnis explizit als „ersten Schritt“.
“Mit Anreizen für humangenetische Leistungen oder Videosprechstunden ist Hausärztinnen und Hausärzten nur wenig geholfen”, meint hingegen Hausärzte-Chef Weigeldt. “Seltene Krankheiten heißen nicht umsonst seltene Krankheiten – im hausärztlichen Alltag sind diese einfach nicht der Regelfall.”
Am 14. August wurden bereits die regionalen Veränderungsraten der Morbidität und Demografie beschlossen. Sie bilden die Grundlage für die regionalen Vergütungsverhandlungen, die im Herbst beginnen.