Berlin. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) in Deutschland macht sich für eine Einschränkung von Arztbesuchen stark. Sie bringt dafür Strafzahlungen für Patienten ins Spiel, die ihrer Ansicht nach übermäßig häufig bei Fachärzten vorstellig werden. Von den Krankenkassen erntete die sie energischen Widerspruch.
Ähnliche Anreize sieht die KBV bereits in ihrem Konzept “KBV 2020” vor, das sie 2016 vorgestellt hat. Darin schlägt sie drei Wahltarife vor: Bei den ersten beiden Varianten würden Versicherte immer zuerst den Hausarzt konsultieren – wählen können sie, ob sie sich bei einem bestimmten Hausarzt einschreiben oder nicht. Als dritte Option können Versicherte wie bisher jeden Arzt frei aufsuchen – ohne Koordinierung durch den Hausarzt. Für diesen dritten Tarif würden die Versicherten aber einen höheren Krankenkassenbeitrag zahlen.
“Flatrate” für Patienten
„Es kann dauerhaft kaum jedem Patienten sanktionsfrei gestattet bleiben, jeden Arzt jeder Fachrichtung beliebig oft aufzusuchen, und oft noch zwei oder drei Ärzte derselben Fachrichtung“, sagte der Vorstandsvorsitzende der KBV, Dr. Andreas Gassen, der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ am Samstag (7.9.). „Derzeit wird das nicht kontrolliert. Die Gesundheitskarte funktioniert wie eine Flatrate, und es gibt Patienten, die das gnadenlos ausnutzen.“
Die Vize-Vorsitzende des Bayerischen Hausärzteverbandes, Dr. Petra Reis-Berkowicz, kritisierte diese Haltung. Mit der hausarztzentrierten Versorgung (HZV) stehe bereits ein Instrument zur wirksamen Belastungssteuerung zur Verfügung. Es könne keine Lösung sein, Patienten für den dritten oder vierten Arztbesuch zu sanktionieren. “Patienten müssen effektiv gesteuert werden, so wie wir es bereits seit Jahren mit der HZV umsetzen – und das auf freiwilliger Basis“, so Reis-Berkowicz.
Hausärzteverbände setzen auf positive Anreize
Ähnlich äußerte sich auch der Vorsitzende des Hausärzteverbandes Baden-Württemberg, Dr. Berthold Dietsche. Es sei evident belegt, dass Hausärzte die Patienten wirksam steuern können und insbesondere chronisch kranke Patienten dadurch besser versorgt werden. Positiv darauf wirkten sich weitere Steuerungsinstrumente wie höhere Fallpauschalen, abgeschaffte Budgetgrenzen und verbindliche Fortbildungsstrukturen auf Seiten der Ärzte aus.
Die bessere Koordinierung mit Sanktionen zu fördern, hält auch der Deutsche Hausärzteverband nicht für den richtigen Weg. Er setzt auf die positiven Effekte des Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) um Anreize zu verstärken: So sieht das TSVG vor, dass Krankenkassen ihren Versicherten, die an der HZV teilnehmen, einen Bonus bezahlen oder zum Beispiel Rabatte auf Arzneimittelkosten gewähren.
Widerstand von den Krankenkassen
Der Sprecher des GKV-Spitzenverbands, Florian Lanz, wandte sich ebenfalls gegen den Vorstoß Gassens: „Sollen hier durch die Hintertür Strafzahlungen für kranke Menschen vorbereitet werden, die sich hilfesuchend an die vermeintlich falsche Stelle wenden?“ Dies sei „keine gute Idee“, sagte er.
Gassen schlug Wahltarife für alle Kassenpatienten vor, um eine Steuerung zu erreichen. „Wer sich verpflichtet, sich auf einen koordinierenden Arzt zu beschränken, sollte von einem günstigeren Kassentarif profitieren“, sagte er. „Wer jederzeit zu jedem Arzt gehen möchte, müsste mehr bezahlen.“ Dafür sei es höchste Zeit, und er sei sicher, es würde sehr gut angenommen.
Von Ikea in die Notaufnahme?
Zugleich beklagte Gassen eine Überlastung der Rettungsstellen von Kliniken vor allem an Wochenenden, wofür auch viele Patienten verantwortlich seien. „Dann haben sie Zeit. Und sie meinen, im Krankenhaus gibt es das Rundum-sorglos-Paket“, sagte er – und fügte hinzu: „Erst zu Ikea, dann in die Notfallambulanz. Die Anspruchshaltung ist mitunter irrsinnig.“ Das führe dazu, dass das Personal in den Rettungsstellen keine Zeit für die wirklichen Notfälle habe.
Auch damit rief Gassen Kritik hervor. „Wir müssen die Notfallversorgung patientengerecht umbauen“, sagte Kassenverbandssprecher Lanz. „Patientenbeschimpfung ist mit Sicherheit keine Lösung für aktuelle Herausforderungen“. Das Gesundheitswesen müsse sich nach den Bedürfnissen der Patienten richten und nicht umgekehrt.
Quelle: dpa