Neben vielen Themen wurden auch die 1.000 Gesundheitskioske, die die Bundesregierung in strukturschwachen Regionen in Deutschland etablieren möchte, von den Delegierten beim 43. Deutschen Hausärztetag Mitte September in Berlin unter die Lupe genommen und das Für und Wider diskutiert.
Statt sich auf die Stärkung der hausärztlichen Versorgung zu konzentrieren, versucht die Politik immer wieder die Versorgung über Umwege und mittels Krücken zu stärken, hatte bereits Ulrich Weigeldt, ehemaliger Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes (siehe Artikel “Standing Ovations zum Abschied“), in seinem letzten Bericht zur Lage die Gesundheitskioske kommentiert.
Die niedrigschwellige Beratung sei sicher ein positiver Ansatz. Fraglich sei hier aber beispielsweise, wie man die Finanzierung stemmen wolle. Ganz zu schweigen von dem allerorten knappen Gesundheitspersonal. Allem voran seien Parallelstrukturen mit Sicherheit nicht sinnvoll, betonte Weigeldt.
Keine Parallelstrukturen
In einem Antrag zu den geplanten Gesundheitskiosken machten die Delegierten klar, dass die Versorgung der Patienten so zerfasert werden könnte. Die medizinische Versorgung und Koordination sei in jedem Fall eine hausärztliche Aufgabe.
Der Bundesvorstand des Hausärzteverbandes müsse gegen Modelle, die den Fachkräftemangel verschärften und keine strukturelle Verbesserung der medizinischen Versorgung herbeiführen könnten, intervenieren. Statt in solche Parallelstrukturen zu investieren, müsste Geld in die Delegationsleistungen von Assistenzberufen wie insbesondere die VERAH® fließen, forderten die Hausärztinnen und Hausärzte.
Einige Delegierte betonten die positiven Seiten, die mit den Kiosken einhergingen. Sie könnten Vorteile bieten, warf beispielsweise Lars Rettstadt, Hausarzt aus Dortmund, vor der Versammlung ein. Denn viele Aufgaben, die in diesen Kiosken erledigt werden könnten, würden jetzt bereits in Hausarztpraxen stattfinden.
“Ich arbeite in einem sozialschwachen Gebiet”, so Rettstadt, ” viele Menschen wissen nicht, wie sie in diesem System klar kommen sollen.” So habe er beispielsweise auch einen Sozialarbeiter für seine Substitutionspatienten angestellt. Rettstadts Appell: Die Gesundheitskioske sollten als Chance gesehen werden.
In einem weiteren Antrag befürworteten die Delegierten ein anderes Modell. Hierin fordern sie, dass die Politik einen Pool an Sozialarbeitern zur Beratung der Patienten für die Praxen zur Verfügung stellen soll. Dies würde besonders Praxen in sozialen Brennpunkten entlasten. Das Angebot könnte staatlich finanziert werden und sollen Hausärzte nach Bedarf abrufen können.
Sozialarbeiter für Praxen
Im Gegensatz zu Konstrukten wie den Gesundheitskiosken ginge durch die enge Abstimmung mit den behandelnden Hausärztinnen und Hausärzten und dem kurzen direkten Weg keine Informationen verloren. Die Hausarztpraxis bliebe so die koordinierende Einheit, die Teampraxis, in der die Fäden zusammenlaufen, begründen die Antragsteller ihren Vorschlag.
Auch investorenbetriebene MVZ waren nach der Frühjahrstagung erneut ein Thema, vor dem Delegierte warnten. Konkret wurden Beispiele aus Rheinland-Pfalz und Hamburg genannt, in denen offensichtlich renditegesteuerte Interessen im Vordergrund stünden. Im großen Stil würden hier Arztsitze aufgekauft.
Die Politik, so ein Antrag dazu, müsse dafür sorgen, dass die hausärztliche Versorgung von Patientinnen und Patienten durch die – mittelbare – Teilnahme von privaten Finanzinvestoren an der Versorgung, nicht gefährdet werde. Es müsse zwingend vermieden werden, dass darüber Hausärztinnen und Hausärzte, insbesondere der hausärztliche Nachwuchs, der Versorgung entzogen würden. Die Zulassung und der Betrieb von MVZ dürfe etwa nur in unmittelbarer räumlicher Nähe zum Krankenhaus – als Träger dieser MVZ – erlaubt werden, hieß es in dem Antrag.
Zu den unleidlichen Erfahrungen mit der Telematikinfrastruktur und nicht funktionierenden Anwendungen fassten die Delegierten ebenfalls mehrere Beschlüsse.
So berichtete Dr. Susann Hennesthal aus Coswig, sie habe ihre übernommene, veraltet ausgestattete Praxis auch bezüglich der TI aufwendig auf Vordermann gebracht. Sie sei davon ausgegangen, “fünf Jahre Ruhe” zu haben. Nun sei sie damit konfrontiert worden, dass der Konnektor ausgetauscht werden muss. Das deshalb, weil der in ihrer Praxis verbaute Konnektor zuvor zwei Jahre im Regal des IT-Unternehmens gelegen habe und deshalb bereits nach drei Jahren Betrieb in ihrer Praxis ausgetauscht werden muss.
“Höchst unseriöses” Gebaren
Das Geschäftsgebaren mancher IT-Unternehmen sei “höchst unseriös”, befand Dr. Markus Beier, neuer Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes. Dr. Matthias Berndt, Chef des Hausärzteverbandes Niedersachsen, wies in diesem Zusammenhang auf ein juristisches Gutachten hin. Demnach hätten viele IT-Dienstleister mit Unterfirmen Verträge erstellt. Dies sei für Ärztinnen und Ärzte alles undurchsichtig. Hier müsste von ärztlicher Seiten der Widerstand gebündelt und organisiert werden.
Mehrheitlich stimmten die Delegierten dem Antrag zu: Der Gesetzgeber, die Partner der gemeinsamen Selbstverwaltung sowie die Gematik müssen sicherstellen, dass IT-Komponenten (Hardware oder Software) der PVS-Systemanbieter zum Zeitpunkt der Installation noch ihre volle (sicherheitstechnische) Laufzeit aufweisen. Sollte dies nicht der Fall sein, müsse sie kostenlos ersetzt werden.
Wie soll der Verband heißen?
Vergleichsweise viel Diskussionsbedarf nahm ein Antrag zur Namensänderung des Deutschen Hausärzteverbandes ein (S. 27). Für eine moderne, zeitgemäße Außendarstellung müsse die Bezeichnung des Berufsverbandes (Deutscher Hausärzteverband) im Sinne der Hausärztinnen und Hausärzte angepasst werden.
“Sprachliche Sichtbarkeit von Frauen und Männern ist wichtig und gerecht”, heißt es im Antrag, in dem es zunächst nur darum geht, eine Namensänderung durch den Vorstand des Deutschen Hausärzteverbandes vorzubereiten und Vorschläge für die neue Namensgebung zu sammeln. Dennoch fürchteten manche Delegierte eine Verunglimpfung der Sprache durch Gendern mit Doppelpunkt oder eine Folgediskussion, da Diversität nicht im Namen berücksichtigt sei.
Manche bezweifelten die Notwendigkeit. In der Gender-Debatte hatte Beier bereits bei seiner Vorstellungsrede seine Position dazu verdeutlicht. An die männlichen Delegierten gerichtet, hatte Beier gesagt: “Wenn wir um eine Christiane werben wollen, dann gehen wir am besten nicht her und sprechen sie mit ̒Hallo Christian̓ an. Das kommt nicht gut an.”