Hausärztinnen- und Hausärzteverband Entbudgetierung – ein Weg ohne Alternative

Die Entbudgetierung hausärztlicher Leistungen ist versprochen. Der Hausärztinnen- und Hausärzteverband tritt dafür ein, dass die Politik endlich zu ihrem Wort steht. Doch noch immer kursieren falsche Argumente, die mitunter für Widerstand bei Kassen und Abgeordneten sorgen – und damit für Unsicherheiten bei Hausärztinnen und Hausärzten. Zeit, mit den 5 häufigsten Mythen aufzuräumen.

Die Entbudgetierung wurde im Koalitionsvertrag beschlossen.

An der Entbudgetierung hausärztlicher Leistungen führt kein Weg vorbei. Dieser Fakt ist nicht nur betroffenen Hausärztinnen und Hausärzten, sondern auch vielen politischen Beteiligten bekannt.

So wurde die Entbudgetierung im Koalitionsvertrag beschlossen und seither von verschiedenen Politikern der Ampel-Koalition – inklusive Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD) – mehrfach öffentlich versprochen. Zwischenzeitlich war sie in den geplanten Versorgungsgesetzen erwartet worden, doch bis Redaktionsschluss Anfang November lag dazu noch immer kein konkreter Vorschlag auf dem Tisch.

Im Gegenteil: Gerade im politischen Berlin sowie bei Kassen kursieren weiterhin falsche Argumente rund um die Entbudgetierung. Diese sorgen nicht nur für Widerstand, sondern auch für Unsicherheiten bei Hausärztinnen und Hausärzten, wie Rückfragen zeigen.

Mythos 1: Entbudgetierung ist gleich Entbudgetierung.

In der Debatte sind immer wieder verschiedene Modelle für eine Entbudgetierung durcheinandergeworfen worden. Damit für Hausärztinnen und Hausärzte kein Verlustgeschäft entsteht, braucht es notwendigerweise eine sogenannte “MGV plus”.

Was bedeutet das in der Praxis? Bei der MGV-plus-Entbudgetierung steht dem hausärztlichen Versorgungsbereich auch zukünftig ein fester Geldbetrag zur Verfügung, sprich: Die Morbiditätsbedingte Gesamtvergütung (MGV) bleibt bestehen.

Reicht diese nicht aus und müssen weitere Leistungen erbracht werden, werden sie von den Krankenkassen zusätzlich vergütet. Genau dieses Modell ist für die Kinder- und Jugendärzte auch schon gesetzgeberisch umgesetzt worden.

Mythos 2: Die Entbudgetierung ist im hausärztlichen Bereich eigentlich unnötig.

Nein! Zwar sind nicht alle Länder gleichermaßen von Budgetierungen betroffen, in einigen Regionen sind die Auswirkungen jedoch fatal. In Hamburg etwa wird regelmäßig bis zu einem Viertel des Umsatzes gekürzt.

Blick in die Praxis: Dr. Jana Husemann, Vorsitzende des Hausärzteverbandes Hamburg, rechnet am Beispiel ihrer eigenen Praxis in Hamburg vor, was die Budgetierung bedeutet. Etwa 50 Prozent der Patientinnen und Patienten sind hier in der HZV eingeschrieben.

  • Von den in Quartal 1/23 angeforderten 70.485,60 Euro in der MGV wurden
  • lediglich 52.732,25 ausbezahlt – was einer Auszahlungsquote von 74,8 Prozent entspricht.

Mit anderen Worten: Knapp 18.000 Euro wurden nicht ausbezahlt. Besonders dramatisch ist, dass dieser Abzug rein den Gewinn der Praxis betrifft – die Ausgaben reduzieren sich selbstredend nicht.

Die Folge, die sich auch aufgrund steigender Ausgaben für Praxisinhaber (“Der Hausarzt” 15/23) ergibt: In besonders betroffenen Regionen wie Hamburg oder Berlin geht es mitunter um wirtschaftliche Existenzen von Hausarztpraxen.

In der Tat ist die Situation nicht überall identisch. Aber auch Praxen in weniger betroffenen Regionen wie Bayern könnten von der Entbudgetierung aufgrund einer besseren Planbarkeit profitieren.

In jedem Fall darf die Folge nicht sein, die betroffenen Kolleginnen und Kollegen im Stich zu lassen – und sie für die Versorgung zu verlieren. Nicht zuletzt mit Blick auf eine flächendeckende hausärztliche Versorgung in Zukunft ist eine Entbudgetierung im hausärztlichen Bereich also keinesfalls überflüssig.

Mythos 3: Die Folge wäre eine massive Leistungsausweitung.

Ein Aspekt, der gerade in politischen Kreisen immer wieder in den Raum geworfen wird, ist, dass eine “massive” Leistungsausweitung drohen könnte. Während dies bei den technischen Leistungen der fachärztlichen Kolleginnen und Kollegen denkbar wäre, wissen Hausärztinnen und Hausärzte aus ihrem Praxisalltag genau, dass dies nicht der Realität der hausärztlichen Versorgung entspricht.

Blick in die Praxis: Gesprächsleistungen beispielsweise benötigen ärztliche Zeit und diese ist schon heute knapp. Allein aus diesem Grund ist es gar nicht möglich, diese “massiv” auszuweiten. Hinzu kommt, dass viele Leistungen – etwa Hausbesuche – im EBM ohnehin so schlecht bewertet sind, dass auch eine “massive Ausweitung” keinesfalls reich machen würde.

Mythos 4: Krankenkassen und Beitragszahler könnten überlastet werden.

Ein weiteres gern verwendetes Argument des politischen Gegenwindes ist, dass eine Entbudgetierung hausärztlicher Leistungen die Kassen – und damit letztlich die Versicherten – überfordern würde.

Das lässt sich jedoch leicht entkräften. Denn zunächst gilt, dass nicht alle Regionen gleichermaßen von Budgetierungen betroffen sind (Mythos 2) und folglich auch nicht gleichermaßen von einer Entbudgetierung profitieren würden. Die Kosten sind also überschaubar.

Gerade im Vergleich zu kostspieligen, unausgegorenen Konzepten wie den Gesundheitskiosken, die laut Begründung des zugrundeliegenden Gesetzes zwei Milliarden Euro in nur fünf Jahren verschlingen würden, halten sich die Kosten für die Entbudgetierung im Rahmen.

Zum anderen muss berücksichtigt werden, dass gerade ein Wegbrechen der hausärztlichen Versorgung – etwa, weil sich Kolleginnen und Kollegen in betroffenen Gebieten gegen die Niederlassung entscheiden – zu einer massiven Kostenexplosion führen würde.

Zahlreiche Evaluationen belegen, dass eine unkoordinierte Inanspruchnahme des Gesundheitssystems deutlich teurer ist als eine starke hausärztliche Versorgung (“Der Hausarzt” 14/23).

Mythos 5: Die Entbudgetierung allein kann alle Probleme lösen.

Der EBM wird noch sehr lange eine zentrale Rolle spielen, weshalb die Entbudgetierung hausärztlicher Leistungen ein wichtiger Schritt ist. Gleichwohl kann sie aber nur der erste Schritt eines ganzen Maßnahmenbündels zur Stärkung der hausärztlichen Versorgung sein.

Begleitend braucht es eine Strukturpauschale für hausärztliche Versorgerpraxen, um diejenigen, die an vorderster Front die Versorgung sicherstellen, zu entlasten. Langfristig wird kein Weg daran vorbeiführen, die Hausarztzentrierte Versorgung (HZV) zur zentralen Versorgungsform auszubauen. Die Bonifizierung teilnehmender Versicherter wäre dazu ein wichtiger Schritt.

Der Hausärztinnen- und Hausärzteverband tritt aktuell dafür ein, dass die sechs drängendsten Themen in der Gesundheitspolitik höchste Priorität eingeräumt bekommen.

Link-Tipp: Den Forderungskatalog des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes mit den sechs drängendsten Tätigkeitsfeldern finden Sie unter www.hausarzt.link/MJ5xd

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