124. Deutsche ÄrztetagDigitaler Ärztetag streicht Suizidhilfe-Verbot

Der 124. Deutsche Ärztetag hat in diesem Jahr nur digital getagt, die gefassten Beschlüsse sind jedoch nicht minder wichtig. Teils reichen sie tief ins ärztliche Berufsrecht – und damit auch den Praxisalltag – hinein.

Internetkabel: Der Deutsche Ärztetag hat in diesem Frühjahr nur digital getagt.

Die Grenzen, innerhalb derer Hausärztinnen und Hausärzte Sterbenden Beistand leisten dürfen, werden neu gezogen: Der 124. Deutsche Ärztetag hat das berufsrechtliche Verbot der “Hilfe zur Selbsttötung” Anfang Mai gekippt. Mehr als 90 Prozent der Delegierten stimmten der Änderung der Muster-Berufsordnung (s. Kasten) zu. Ein Antrag, die Grenzen noch weiter zu ziehen, wurde hingegen abgelehnt:

So bleibt es Ärztinnen und Ärzten laut Paragraf 16 Satz 2 auch künftig “verboten, Patientinnen und Patienten auf deren Verlangen zu töten”. Auch eine Verpflichtung von Ärztinnen und Ärzten zur Mitwirkung beim assistierten Suizid wurde klar abgelehnt.

“Das Verbot der ärztlichen Suizidhilfe ist aus meiner Sicht berufsethisch nicht haltbar”, sagte Ulrich Weigeldt, Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbands, bereits im Vorfeld des Ärztetags (“Der Hausarzt” 8/21).

Die Muster-Berufsordnung ist Richtschnur für die Landesärztekammern; diese haben in ihren Berufsordnungen bereits heute teils auf Satz 3 verzichtet. Die anderen Kammern sind nun am Zug, ihre jeweiligen Berufsordnungen anzupassen.

(Haus-)Ärztliches Gespräch statt Hilfe zum Suizid

Der Entscheidung vorausgegangen war eine “differenzierte, offene und ehrliche Debatte auch bei divergierenden Meinungen”, lobte Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK).

Ein Grundtenor war in der rund dreistündigen Aussprache deutlich herauszuhören: Die Mitwirkung von Ärzten bei der Selbsttötung wird – bei aller Notwendigkeit einer neuen Rechtssicherheit für Kollegen, die diese leisten wollen – nicht als “ärztliche Aufgabe” verstanden.

Vielmehr sei gerade das (haus-)ärztliche Gespräch gefragt, wenn Patienten Suizidwünsche äußerten, unterstrich neben zahlreichen anderen Delegierten Dr. Martina Wenker, Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen. Gerade Hausärzte seien aufgrund ihrer langjährigen Beziehung zu ihren Patienten auch bei Todeswünschen oft erste Ansprechpartner, merkten viele an.

Treffen nur virtuell

Die emotionale Debatte zur Suizidhilfe hat – ebenso wie alle anderen Tagesordnungspunkte – jedoch nur auf den Bildschirmen der rund 300 Delegierten stattgefunden: Wie auch die Delegiertenversammlung des Deutschen Hausärzteverbands (“Der Hausarzt” 9/21) tagte der Deutsche Ärztetag aufgrund der Corona-Pandemie in diesem Jahr rein virtuell.

Auch die Beschlüsse wurden per Online-Abstimmung getroffen, was durch eine Satzungsänderung übrigens auch für künftige “Ausnahmesituationen” auf eine rechtssichere Basis gestellt wurde (www.hausarzt.link/y5eGJ).

Bundestag ist jetzt gefragt

Hintergrund des diesjährigen Schwerpunkt-Themas war das Bundesverfassungsgerichts-Urteil vom Februar 2020. Die Richter hatten damals das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe gekippt. “Durch das Urteil sind Ärztinnen und Ärzte aufgefordert, sich an der Diskussion zur Suizidhilfe zu beteiligen”, unterstrich Dr. Josef Mischo, Vorsitzender des BÄK-Ausschusses “Berufsordnung”.

Auch BÄK-Chef Reinhardt betonte, die nun gefundene ärztliche Position sei in der politischen Debatte gefragt. Dabei diskutiere man das Thema sicherlich nicht zum letzten Mal. Vielleicht sei es bei einem zweiten – außergewöhnlichen – Ärztetag im Herbst noch einmal zu besprechen, spätestens aber im kommenden Jahr, wenn sich die Delegierten in Bremen treffen. Bis dahin sei die Debatte im Deutschen Bundestag zu führen.

Auch die Weiterbildung erhält abermals ein “Update”

Nachjustiert wurde unterdessen nicht nur an der Muster-Berufsordnung, sondern auch an der – erst 2018 verabschiedeten – Muster-Weiterbildungsordnung (MWBO).

So wird eine neue Facharzt-Weiterbildung “Innere Medizin und Infektiologie” aufgenommen, wie die Delegierten mit 130 von 227 Stimmen entschieden. Die Zusatzbezeichnung Infektiologie wird weiter bestehen. Darüber hinaus wird der Weiterbildungsinhalt “Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit” aufgenommen (176 von 217 Stimmen).

Dass quasi umgehend nach der MWBO-Verabschiedung erste Änderungsanträge eingegangen seien, sei “erstaunlich” gewesen, sagte Prof. Henrik Herrmann, Vorsitzender der Ständigen Konferenz “Ärztliche Weiterbildung” in der BÄK.

30 Ideen liegen vor

Heute lägen rund 30 Anträge vor, die jedoch nicht alle in einem Rutsch zu entscheiden seien. Vielmehr habe die Kommission in drei Kategorien je nach Dringlichkeit eingeteilt: Der “Themenspeicher” reiche von den ersten, jetzt entschiedenen Anträgen bis hin zu langfristigeren Anträgen mit einem Zeithorizont von zwei bis drei Jahren.

Dabei ist die MWBO gerade einmal in 13 der 17 Landesärztekammern umgesetzt, die übrigen werden laut Herrmann noch 2021 folgen.

Bei genauem Hinsehen zeigt sich der vom Deutschen Hausärzteverband vielfach kritisierte “Flickenteppich” in der Umsetzung: So ist die Zusatzbezeichnung Homöopathie etwa nur in einigen Kammern übernommen worden; das E-Logbuch sei wahlweise Pflicht oder freiwillig anzuwenden, so Herrmann.

Kammern sind am Zug

Ein nun jährliches Nachjustieren an der MWBO dürfte die Situation noch verschärfen: Denn auch die MWBO ist nur “Richtschnur” für die Landesärztekammern. Sie müssen die Änderungen – analog zur Muster-Berufsordnung – noch in eigenes Landesrecht umsetzen. An der Umsetzung der MWBO selbst zeigt sich, dass dies mitunter zu deutlichen Unterschieden und Verzögerungen führen kann.

Die MWBO wird nur einmal im Jahr angepasst, jeweils kurz nach dem Deutschen Ärztetag zum 30. Juni. Folglich werden auch in den kommenden Jahren wohl regelhaft weitere Änderungsanträge entschieden.

 

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