Berlin. Hausärztinnen und Hausärzte sehen sich im Praxisalltag zunehmend einer „Kontrolettimentalität“ ausgesetzt. Das machte Ulrich Weigeldt, Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbands, in seinem Bericht zur Lage am Donnerstag (17. September) deutlich. Als Verband müsse man dabei auch in den Körperschaften, vornehmlich Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) sowie der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), darauf hinarbeiten, sich „nicht zu ergeben, sondern die ärztliche Position zu verteidigen“.
„Gerade in der Hausarztzentrierten Versorgung (HZV) haben wir eine Vertragspartnerschaft und kein Angestelltenverhältnis, was wir anscheinend immer wieder gegenüber einigen Kassen klarstellen müssen.“ Unterdessen werde in der Kassenlandschaft daran gewerkelt, im Windschatten der Pandemie „amerikanische Verhältnisse“ mit Blick auf Patientendaten sowie den „Steuerknüppel für die Versorgung“ zu bekommen.
Mit seinem Bericht zur Lage eröffnet Weigeldt traditionell den Deutschen Hausärztetag, der aktuell in Berlin sowie online zusammengekommen ist. Dort ging es zum Auftakt einerseits um ein Stimmungsbild der Hausärztinnen und Hausärzte in der Corona-Pandemie. Diese habe vortrefflich gezeigt, wie wichtig und anpassungsfähig die hausärztlichen Praxen seien, bilanzierte Weigeldt. Trotz immenser Herausforderungen – etwa der lang anhaltende Mangel an Schutzmaterial – „wurden Maßnahmen getroffen, ältere und gefährdetere Kolleginnen und Kollegen zu schützen, wohlgemerkt, ohne dass es Vorschriften oder gar Gesetze dazu bedurft hätte!“
“Digitalisierungswahn” nicht einfach hingeben
Eine Rückbesinnung auf die Freiberuflichkeit fordert Weigeldt auch mit Blick auf den „allgemeinen Digitalisierungswahn, der an vielen Stellen nichts mehr mit einer sinnvollen und nachhaltigen Digitalisierung zu tun hat“. Diesem dürften sich Hausärztinnen und Hausärzte nicht einfach „hingeben“, so Weigeldt. „Nach wie vor sind die Patientinnen und Patienten, wie wir Hausärztinnen und Hausärzte, komplett analog! Wir behandeln keine Datensätze, sondern individuelle Menschen – das ist personalisierte Medizin von Anfang an!”
Jedoch skizzierte Weigeldt für verschiedene digitale Anwendungen konkrete Problemfelder. Für alle kritisiert der Deutsche Hausärzteverband deutlich die gesetzlich vorgesehenen Sanktionen. “Es ist schon dreist, wenn, angesichts der vielen Pannen und Ungereimtheiten, im Gesetz allein klar formuliert wird, was wir zu erwarten haben, wenn wir nicht sofort zu 100 Prozent alle technischen Anforderungen erfüllen können und wollen.”
Ob die aktuellen Versuche der KBV, die IT-Sicherheitsrichtlinie “auf ein vernünftiges Maß zu begrenzen”, Früchte tragen wird, werde sich erst in den kommenden Wochen zeigen. Die KBV-Vertreterversammlung hatte dazu jüngst noch keinen Beschluss gefasst.
Konkrete Problemfelder: Eine Übersicht
Elektronische Patientenakte:
- Eine “Patientenakte” müsste eigentlich für alle gesetzlich wie privat Versicherte (und auch nicht Versicherte) gelten.
- Sollte die Akte von Hausärzten befüllt werden, muss das ohne zusätzliche Aufwände in der Praxis geschehen können. Sollten Aufwände entstehen, müssen sie marktgerecht vergütet werden und nicht mit Punkten oder EBM-Ziffern.
- Für die Information der Praxis sind die ePA-Daten nur mäßig interessant. Dabei ist nicht die Löschung von Daten durch die Patienten das Problem, schließlich können sie auch ohne Akte etwas verschweigen, sondern, dass es sich um unstrukturierte PDF-files handelt. Dadurch ist es nicht möglich, beispielsweise einen Laborwert, der in verschiedenen Praxen und Kliniken über die Zeit erhoben wurde, auf einen Blick zu erfassen, sondern dieser muss weiterhin aus den verschiedenen Dokumenten händisch herausgesucht werden.
- Bilder sind durch die Telematikinfrastruktur (TI) in überschaubarer Zeit nicht in angemessener Größe zu übertragen.
Versichertenstammdatenmanagement (VSDM)
- Defekte Lesegeräte müssen auf eigene Kosten ersetzt werden.
- Hauptnutznießer sind die Kassen, die interne Bürokratie sparen, die in die Praxis verlegt wird.
- Die Krankenkassen selbst lehnen aus Kostengründen die Einrichtung sogenannter Patientenkioske ab, die einen Zugriff der Patientinnen und Patienten auf die Daten der eGK und auch der ePA ermöglichen würde.
Gleiches gelte, verschärft mit einem Verantwortungsübergang, für die elektronische AU-Bescheinigung.
Weigeldt erinnerte dabei an die elektronische Arztvernetzung in Baden-Württemberg, die ohne jegliche Sanktionsandrohungen funktioniert. Neu sei dabei eine App, die jüngst ersten Kollegen zur Verfügung gestellt worden sei und die die Kommunikation zwischen Patient und Praxis auf einem sicheren Weg ermögliche. “Dies bieten wir über unsere Wirtschaftsgesellschaft selbst an, um Fremdeinflüsse auszuschließen, die dann vor allem ihren Profit im Auge haben, wie bei vielen sogenannten Service-Angeboten für die Praxen.”