Steigende Temperaturen bedeuten für Patientinnen und Patienten mitunter enorme Belastungen. So gelten gerade Menschen mit Herz-Kreislauferkrankungen oder chronischen Lungenerkrankungen, aber auch mit Diabetes als besonders gefährdet. Auch eine Medikamenteneinnahme, insbesondere von Diuretika, ACE-Hemmern oder Antidepressiva, kann ein Risikofaktor sein. Die Folge: In Zeiten großer Hitze steigt die Zahl der Inanspruchnahmen von Arztpraxen, Kliniken und Rettungsdiensten signifikant. [1]
Um Hausarztpraxen in ihrer Rolle als erste Ansprechpartner für diese Risikogruppen zu unterstützen und den Herausforderungen des Klimawandels zu begegnen, hat der Hausärztinnen- und Hausärzteverband im engen Austausch mit der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG) Konzepte entwickelt. Das Bundesgesundheitsministerium unterstützt dieses Engagement aktiv, wie Prof. Karl Lauterbach (SPD) am Freitag (28.7.) bei der Vorstellung des Hitzeschutzplans unterstrichen hat.
Eine zentrale Rolle nehmen für ihn dabei die Hausärztinnen und Hausärzte ein, die vulnerable Personen ansprechen sollen. Daneben gibt es Plakate für Pflegeeinrichtungen und Kommunen. Zudem soll vor extremer Hitze mithilfe von Wetterdienst, öffentlichem Rundfunk und Warn-App besser gewarnt werden, kündigte Lauterbach an. Ziel sei es, die Todesfälle aufgrund von Hitze von rund 8.000 vergangenes Jahr auf 4.000 in 2023 zu halbieren.
Hausärzte erreichen Risikogruppen
Dass die zunehmende Hitzebelastung eine ernstzunehmende Gesundheitsgefahr sei, vor der die Bevölkerung geschützt werden müsse, hatte er zuletzt wiederholt betont. Gerade vulnerable Gruppen gelte es zu erreichen. Das gute Hausarztnetz sei dafür ein „Goldschatz“, so der Minister.
Die mehrstufige Kampagne (s. Kasten) zur klimaresilienten Versorgung adressiert daher beide Seiten:
- Hausarztpraxen sollen durch ein Angebot an Fortbildungen unterstützt werden, klimaresiliente Versorgung im Praxisalltag leisten zu können. Dafür werden verstärkt Online-Fortbildungsmodule für Praxisteams zur Verfügung gestellt. Diese hat das Institut für hausärztliche Fortbildung (IHF) innerhalb kürzester Zeit realisiert. Darüber hinaus stellt der Hausärztinnen- und Hausärzteverband ein Manual mit umfangreichen Checklisten rund um die klimaresiliente hausärztliche Versorgung zur Verfügung (s. Kasten S. 20).
- Patientinnen und Patienten sollen gleichzeitig befähigt werden, potenzielle Gefahren für ihre Gesundheit zu erkennen und entsprechende Präventionsangebote zu nutzen. Dafür liegt dieser Ausgabe von „Der Hausarzt“ ein Praxisposter von Hausärztinnen- und Hausärzteverband, KLUG und Bundesgesundheitsministerium bei, das beispielsweise im Wartezimmer aufgehängt werden kann. Über www.hausaerzteverband.de/hitze können weitere Poster mit insgesamt vier Motiven kostenfrei bestellt werden.
„Mit unserer Kampagne wollen wir den Hausarztpraxen eine vielseitige Unterstützung bei der Versorgung ihrer Risikopatienten an die Hand geben“, erklärt Prof. Nicola Buhlinger-Göpfarth, die als Vorsitzende des Hausärzteverbandes Baden-Württemberg und erste stellvertretende Bundesvorsitzende federführend in die Erstellung des Manuals eingebunden war. „Natürlich betonen wir im Austausch mit Politik und Kostenträgern aber auch immer: Umsonst gibt es nichts! Wir müssen für diese gesellschaftlich wichtige Aufgabe auch entsprechend vergütet werden!“
HZV zeigt, wie es geht
Wie das konkret aussehen kann, zeigt bereits heute die „Innovationsschmiede“ der Hausarztzentrierten Versorgung (HZV). In Baden-Württemberg wird die Leistung zur klimaresilienten Versorgung im Vertrag mit der AOK ab Oktober mit einem Zuschlag von acht Euro pro Jahr auf die P3 vergütet. Voraussetzung ist, dass die Hausärztin oder der Hausarzt und ein Teammitglied, das mindestens 19 Stunden pro Woche in der Praxis beschäftigt ist, an einer Schulung mit dem Schwerpunkt „Klima und Gesundheit“ teilnehmen [2].
Rund 2.000 Ärztinnen, Ärzte und Teammitglieder haben sich in den ersten Wochen nach dem Start des Angebots angemeldet und 1.300 bereits in den Fortbildungen schulen lassen. Sie waren damit schon rund drei Monate vor der vorgesehenen Vergütung fachlich noch besser für die klimaresiliente Versorgung vorbereitet.
Der Hausärztinnen- und Hausärzteverband will nun mit anderen Kostenträgern in Kontakt treten, um dieses Angebot gemeinsam mit ihnen bundesweit auszubauen.
HZV als bewährtes Präventionsmittel
Zudem setzt er sich verstärkt für einen Bonus für die an der HZV teilnehmenden Versicherten ein (S. 1). Der Grundgedanke: „Das Fundament der Versorgung in den Hausarztverträgen ist Prävention“, erklärt Buhlinger-Göpfarth. Daher sei gerade die Versorgung in der HZV „wie geschaffen“ für Themen wie Hitzeschutz. Immerhin gehe es darum, Betroffene proaktiv vor Dehydrierung, Hitzeerschöpfung oder Hitzeschlag zu schützen, erinnert Buhlinger-Göpfarth, die das aus ihrer eigenen Gemeinschaftspraxis im baden-württembergischen Pforzheim kennt.
Gerade durch die Nähe zu ihren Patientinnen und Patienten könne sie als Hausärztin gezielt Risikofaktoren identifizieren. „Die HZV ist der Regelversorgung in allen vier Präventionsebenen überlegen, angefangen von der Primärprävention – also höheren Impfquoten – bis zur Quartärprävention, sprich dem Schutz vor Über-, Unter- und Fehlversorgung durch Steuerung. Die HZV-Teilnahme ist aus unserer Sicht damit die beste Prävention und ein Bonus für teilnehmende Versicherte überfällig.“
EBM-Ziffer ist folgerichtig
In vielerlei Hinsicht wurde in Baden-Württemberg in diesem Jahr folglich eine Blaupause geschaffen, wie klimaresiliente Versorgung – als Teil einer immer bedeutender werdenden Prävention – in ganz Deutschland aussehen könnte.
„Wir beweisen in unseren Praxen seit Jahren, dass wir Risikopatientinnen und -patienten erreichen und sie auch zur Hitze beraten“, unterstreicht Dr. Markus Beier, Bundesvorsitzender des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes. „Dafür eine EBM-Ziffer zu schaffen, ist nur folgerichtig.“ Ende Juli bekräftigte auch Lauterbach, er wolle sich dafür einsetzen, dass eine EBM-Ziffer zur klimaresilienten Beratung geschaffen werde.
Beratungsbedarf wird steigen
Die Klima-Beratung samt Vergütung dürfte ein entscheidender Schritt sein, die klimaresiliente Versorgung in den Praxen zu stärken. Wie wichtig das ist, zeigt ein Blick auf die Daten: So wird die Zahl der Todesfälle und der durch Hitzestress gefährdeten Menschen bei 3 Grad Celsius im Vergleich zu 1,5 Grad Celsius globaler Erwärmung um das Zwei- bis Dreifache steigen, heißt es im Manual [1].
Folglich wird der Beratungsbedarf in den Praxen zunehmen. „Nicht zuletzt“, unterstreicht Beier, „kommen wir mit dem Konzept zur klimaresilienten Versorgung und der Kooperation mit dem Bundesgesundheitsministerium unserer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe nach, den Klimawandel auch als Gesundheitsgefahr zu sehen und zu adressieren.“