Mit Blick auf die Corona-Impfung kommt auf Hausärztinnen und Hausärzte – einmal mehr – neuer Beratungsbedarf zu. Denn in ihren Praxen soll die Impfung mit der Vakzine des Herstellers Astrazeneca, die regelhaft nur noch bei Menschen über 60 Jahren zum Einsatz kommt, „grundsätzlich“ auch für unter 60-Jährige möglich sein. Zudem könne auch die Zweitimpfung für “U60”, die regelhaft mit einem mRNA-Impfstoff stattfinden sollte, „in Einzelfällen“ mit Astrazeneca erfolgen.
Das geht aus einem einstimmig beschiedenen Beschluss der Gesundheitsministerkonferenz (GMK) vom späten Dienstagabend (13. April) hervor, der der Redaktion von „Der Hausarzt“ vorliegt.
Szenario 1: Erstimpfung mit Astrazeneca
Aber: Personen der Priorisierungsgruppen 1 und 2 – also etwa medizinisches Personal in Text- oder Impfzentren – unter 60 können sich laut GMK-Beschluss „gemeinsam mit dem impfenden Arzt nach ärztlichem Ermessen und bei individueller Risikoanalyse“ für Astrazeneca entscheiden. „Dies soll grundsätzlich in den Praxen der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte erfolgen.“
Szenario 2: Zweitimpfung nach Astrazeneca-Dosis
Hier orientieren sich die Gesundheitsminister der Länder hauptsächlich an der jüngsten STIKO-Empfehlung (s. unten). Zwölf Wochen nach der Erstimpfung erfolgt die Zweitimpfung mit einem mRNA-Impfstoff (Biontech oder Moderna). „Bereits vereinbarte Termine zur Zweitimpfung können übergangsweise auch ab der neunten Woche nach der Erstimpfung stattfinden“, heißt es.
Aber: Im „Einzelfall“ könne unter den gleichen Bedingungen wie die Erstimpfung, also nach ärztlicher Abwägung und individueller Risikoanalyse, auch hier von Hausärztinnen und Hausärzten Astrazeneca verimpft werden.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat bisher noch keine Empfehlung für sogenannte Kreuzimpfungen gegen das Coronavirus ausgesprochen. Es lägen noch keine ausreichenden Daten für mögliche Risiken einer ersten Impfdosis mit Astrazeneca und einem anderen Mittel als Zweitimpfung vor, hatte WHO-Sprecherin Dr. Margaret Harris am vergangenen Freitag (9. April) erklärt.
Bestellung: Das müssen Praxen jetzt wissen
Kommende Woche (19. April) erhalten Hausarztpraxen zur Corona-Impfung in etwa hälftig Vakzinen von Biontech/Pfizer und Astrazeneca. Dabei besteht Stand heute keine Möglichkeit für Hausarztpraxen, auf Astrazeneca-Lieferungen zu verzichten.
Auch nicht, wenn in der Woche ab dem 26. April erstmals impfstoffspezifisch bestellt wird. Um möglichst viele Patienten impfen zu können, empfiehlt die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) dringend, beide Impfstoffe zu ordern. Den STIKO-Empfehlungen entsprechend, insbesondere zum Patientenalter, sollen weiterhin beide Impfstoffe verimpft werden.
Wichtig: Bereits mit der nächsten Bestellung (bis 20. April 12 Uhr) geben Arztpraxen auf dem Arzneimittelrezept den Impfstoffnamen und die jeweilige Anzahl der Dosen an. Die Bestellmenge pro Arzt ist laut KBV für die Woche vom 26. April bis 2. Mai auf 18 bis maximal 30 Dosen Comirnaty (Biontech/Pfizer) und 10 bis maximal 50 Dosen Vaxzevria (Astrazeneca) begrenzt. Dabei solle sichergestellt sein, dass jeder Arzt mindestens drei Vials Biontech/Pfizer mit jeweils sechs Dosen und/oder voraussichtlich mindestens ein Vial von Astrazeneca mit zehn Dosen erhalte.
Unklar ist bislang, wie Praxen verfahren sollen, wenn sie aufgrund der oben geschilderten Empfehlungen und Patientenbefürchtungen ein Zuviel an Astrazeneca-Dosen verbuchen.
Hausärzte kritisieren Haftungsfrage
Der Saarländische Hausärzteverband stellte anknüpfend an den GMK-Beschluss in einer Mitteilung am Mittwoch (14. April) die für Praxen relevante Haftungsfrage, “ob die staatliche Haftung bei Impfschäden noch greift, die ja auf durch die STIKO empfohlene Impfungen sich bezieht”.
„Aus haftungsrechtlichen Erwägungen können wir aufklären, aber keine Empfehlung aussprechen, da die Vorgaben von RKI und STIKO nicht eindeutig zu interpretieren sind”, erklärte Vorsitzender Dr. Michael Kulas. “Es fehlt zum wiederholten Male eine für alle – auch für die Patienten – klare und verständliche Handlungsempfehlung.“
Die Verlagerung der Aufklärung der unter 60-Jährigen über die Zweitimpfung allein bei den Hausärzten abzugeben und sie damit in ein ungeklärtes Haftungsrisiko zu bringen, sei inakzeptabel.
Nachfrage dürfte gering sein
Zwar dürfte die Nachfrage aufgrund des angeschlagenen Vertrauens in die Astrazeneca-Vakzine gering sein. Dänemark etwa gab just am Mittwoch bekannt, nun dauerhaft auf die Impfstoffe von Astrazeneca zu verzichten.
Doch gerade für Menschen unter 60 Jahren, die die Erstimpfung mit Astrazeneca erhielten, ergeben sich neue Fragen. Laut Gesundheitsministerium sind davon 2,2 Millionen Menschen betroffen. Sie wenden sich mit dem neuen Beratungsbedarf nun in erster Linie an die Hausarztpraxen, wie “Der Hausarzt” aus zahlreichen Bundesländern erfährt.
Gleichwohl könnte der Druck steigen, sich – wann immer möglich – mit Astrazeneca impfen zu lassen. Erste Bundesländer haben Ältere dazu bereits in ihren Impfkampagnen gezielt aufgerufen. Die Notwendigkeit wird wichtig mit einem Blick auf die Zahlen: Von Astrazeneca werden im gesamten Jahr 56 Millionen Dosen erwartet. Laut Statistischem Bundesamt gibt es in Deutschland rund 28,5 Millionen Menschen über 60.
Impfstofflieferungen entzünden Streit
Unterdessen ist am Mittwoch (14. April) ein Streit um die Impfstoffliefermengen entbrannt. Von den Kassenärzten kam Kritik an der Verteilung der Impfstoffe zwischen Impfzentren und Arztpraxen: Den Praxen würden in den kommenden Wochen viel weniger Biontech-Dosen zugewiesen als versprochen, weil der Impfstoff offensichtlich vorrangig an die Impfzentren gehe, sagte der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. Andreas Gassen.
Die von ihm scharf kritisierte “halbierte” Lieferung hat das Bundesgesundheitsministerium jedoch zurückgewiesen. “Anders als von manchem behauptet, werden die Impfstoff-Lieferungen an die Arztpraxen nicht halbiert”, teilte ein Sprecher mit. Die Impfstoffmenge steigere sich vielmehr stetig. “Außerdem war immer klar, dass nach zwei Wochen die Praxen Impfstoffe unterschiedlicher Hersteller bekommen.”
EMA will Gutachten zu Johnson&Johnson vorlegen
Mit Blick auf die “steigenden Liefermengen” ist dabei auch der verzögerte Impfstart der Vakzine von Johnson&Johnson wichtig. Johnson & Johnson hatte am Dienstag (13. April) wegen Berichten über Hirnvenenthrombosen nach der Impfung – also analog zu den Astrazeneca-Risiken – den Marktstart seines Präparats in Europa aufgeschoben. Die Behörden in den USA hatten zuvor ein vorübergehendes Aussetzen der Impfungen empfohlen, nachdem im Land sechs Fälle erfasst worden waren. In der EU ist der Impfstoff von Johnson&Johnson am 11. März zugelassen worden.
Die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) will nächste Woche ein Gutachten dazu abgeben. Die Prüfung werde beschleunigt, teilte die Behörde am Mittwoch (14. April) in Amsterdam mit.
Deutschland erwartet nach den bisherigen Lieferzusagen für das zweite Quartal rund 10 Millionen Dosen des Präparats – im gesamten Jahr knapp 37 Millionen Dosen.