Mehr Solidarität spielt in den Wahlprogrammen von Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke eine zentrale Rolle. Die Grünen wollen schrittweise eine Bürgerversicherung in Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung etablieren. Bei der Krankenversicherung wollen die Grünen alle Bürger einbeziehen, auch Beamte, Selbstständige und Gutverdiener – wie genau der Weg dahin aussieht, ist noch offen, aktuell kursieren drei Ansätze. Kinder bleiben beitragsfrei. Zudem wollen sie zur paritätischen Bezahlung der Beiträge von Arbeitnehmern und -gebern zurückkehren und den Zusatzbeitrag abschaffen. Zwar soll jede (auch private) Krankenkasse die Bürgerversicherung anbieten, sie sollen die Höhe der Beiträge aber wieder selbst festlegen. Die Partei erhofft sich davon einen Wettbewerb über den Beitrag, den Service, zusätzliche Leistungen und Qualität.
Alle Einkommen einbeziehen
Beiträge sollen Versicherte nicht nur auf Löhne und Gehälter entrichten, sondern auch auf Kapitaleinkünfte (wie Erträge aus Mieten oder Zinsen) und Aktiengewinne. Die Grenze, bis zu der Einkommen in die Berechnung einbezogen werden, soll auf das Niveau der Rentenversicherung steigen: Das wären derzeit 6.350 Euro (West) oder 5.700 Euro (Ost) monatlich und damit bis zu 2.000 Euro mehr als heute. Nach den gleichen Prinzipien soll die Pflege-Bürgerversicherung etabliert werden.
Neben den Kindern sollen hier auch Menschen, die Kinder erziehen oder andere pflegen, keine Beiträge zahlen. Für Ärzte würde die Bürgerversicherung wohl mit einer Angleichung der Gebührenordnungen einhergehen, zumindest heißt es im Wahl- Programm „es gibt keine Unterschiede mehr bei den Arzthonoraren“. Damit wollen die Grünen die aus ihrer Sicht bestehende Zwei-Klassen-Medizin beenden. Als Beispiele nennen sie verschiedene Wartezeiten auf Facharzttermine sowie eine Verteilung der Ärzte zugunsten von Regionen mit vielen Privatversicherten. Darüber hinaus wollen sie die Patienten stärken, indem sie eine Patientenstiftung aufbauen und die unabhängige Patientenberatung fördern. Die Digitalisierung sehen die Grünen besonders für chronisch Kranke als nützlich an. Sie fordern aber einen „selbstbestimmten Zugang zu ihren Daten“ für Patienten. Insbesondere in dünn besiedelten Gebieten sollen Kommunen und Regionen die gesundheitliche Versorgung mehr beeinflussen können. Konkreter werden die Grünen hier nur bei der Pflege: Kommunen sollen künftig den Aufbau von lokalen Hilfenetzen anregen können.
In den Krankenhäusern soll der Personalmangel beseitigt und die Arbeitsbedingungen verbessert werden. Für Pflegekräfte fordern die Grünen zudem eine bessere Bezahlung. Generell wollen sie den Pflegeberuf mit einer gestuften Ausbildung aufwerten. So sei es leichter, von einem Pflegeberufszweig in einen anderen zu wechseln. Zudem wollen sie ein neues unabhängiges Institut für Qualität in der Pflege schaffen. Die professionelle Pflege soll besser mit Nachbarschaftshilfe kombiniert werden (Quartierskonzept).
Auch sollen pflegende Angehörige mehr Unterstützung erhalten. Die Grünen schlagen eine PflegeZeit Plus vor: Nach Vorbild der Elternzeit würden pflegende Angehörige drei Monate von der Arbeit freigestellt und ihr Lohn ersetzt. Zusätzlich sollen sie sich zehn Tage pro Jahr für akute Notsituationen freinehmen können.
Radikalumbruchn mit den Linken?
Umfassender wollen die Linken das Gesundheitswesen umkrempeln. Es soll öffentlich organisiert und Privatisierung rückgängig gemacht werden. So sollen öffentliche Träger private Kliniken und Pflegeheime „zurückkaufen“. Werden Überschüsse erwirtschaftet, sollen diese ins System zurückfließen.
Um den Investitionsstau abzubauen, führen die Linken die Vermögenssteuer wieder ein, die Einnahmen fließen dann an die Länder. Die Fallpauschalen würden abgeschafft. Zudem schlägt die Linke eine „solidarische Gesundheitsund Pflegeversicherung“ vor. Mit den Grünen gemein ist ihnen, dass sie die paritätische Finanzierung wiederherstellen und Kapitaleinkommen sowie Gewinne einbeziehen wollen. Ebenso sollen alle Bürger einzahlen, anders als die Grünen will die Linke aber die PKV abschaffen. Diese soll nur noch Zusatzleistungen anbieten dürfen, wodurch wohl viele Stellen abgebaut würden. Die Beschäftigten soll die GKV übernehmen. Zusätzlich entfiele die Beitragsbemessungsgrenze, insbesondere Gutverdiener müssten also deutlich tiefer in die Tasche greifen, weil das komplette Einkommen einbezogen wird. Den Beitragssatz wollen die Linken dafür auf unter zwölf Prozent senken.
Auf der Leistungsseite soll dafür alles (auch in der Pflege) ohne Zuzahlung gewährt werden (generelles Sachleistungsprinzip). Die höhere Vergütung für die Behandlung von Privatversicherten will die Linke abschaffen. In der ambulanten Versorgung will sie Arztsitze gleichmäßiger verteilen, indem Überversorgung abgebaut wird. Die Kommunen sollen mehr Rechte bekommen: Sie sollen mehr Geld erhalten, um interdisziplinäre Versorgungszentren planen und betreiben zu können, genauso wie Patientenbusse, Teilzeitpraxen oder MVZ. Ebenso soll sie Patienten kostenlos beraten. Insgesamt soll das Gesundheitswesen barrierefrei werden – auch Untersuchungs- und Behandlungsmethoden würden adaptiert.
Die Pflegeversicherung würde zu einer Vollversicherung weiterentwickelt. Für die Leistungserbringung würden Qualitätsstandards vorgeschrieben. Pflegekräfte sollen mindestens 3.000 Euro monatlich verdienen, ihr Mindestlohn auf 14,50 Euro steigen. In Heimen sollen verpflichtend mindestens zur Hälfte Fachkräfte arbeiten. Dies soll bezahlt werden, indem der Pflegevorsorgefonds in einen Pflegepersonalfonds umgewandelt wird. Die Ausbildung würde in eine zweijährige gemeinsame und ein Jahr spezialisierte Ausbildung geteilt. Generell soll die Ausbildung für Pflegende und andere Gesundheits-/ Heilberufe gebührenfrei sein. Radikale Einschnitte wollen die Linken bei Arzneimitteln. Die Preise sollen schon ab der Zulassung gedeckelt und eine Positivliste aufgestellt werden. Alle Medikamente mit nachgewiesenem Nutzen müssen dann die Kassen bezahlen, Schein-Innovationen wären nicht Teil des Leistungskatalogs. Generell soll für jede Behandlungsmethode Nutzen und Schaden wissenschaftlich belegt werden. Werbung der Hersteller und Zuwendungen an Ärzte, Wissenschaft und Patientenorganisationen will die Linke bekämpfen, etwa indem Zahlungen an Mediziner und Heilberufler transparent gemacht werden. Die Pharmaindustrie soll „unter demokratische Kontrolle“ kommen. So soll man alle Arzneistudien in einem öffentlichen Register einsehen können und die Forschung öffentliche Aufgabe werden. Patente würden abgeschafft. Auch würden die Linken Rabattverträge, Kassen- Ausschreibungen und viele Selektivverträge beenden.
Zudem sollen Patienten mehr Macht bekommen: Ihre Vertreter – wie die der Pflege – sollen in der Selbstverwaltung stimmberechtigt werden. Zudem sollen Patientenvertreter die Mehrheit der unparteiischen Mitglieder benennen. Die Selbsthilfe will man finanziell mehr unterstützen.
Interessenkonflikte: Die Autorin gehört keiner Partei an.