Wer ist kompetent alte Patienten zu versorgen? Nach welchen Kriterien erfolgt eine angemessene Behandlung? Wie kann eine qualitativ gute und flächendeckende Versorgung etabliert und Fehlsteuerung verhindert werden? Über diese Fragen streiten derzeit Geriater und Allgemeinmediziner. Ausgelöst haben den Disput die neuen EBM-Ziffern zur spezialisierten geriatrischen Diagnostik. Diese gelten seit 1. Juli, deren Abrechnung setzt aber einen Qualifikationsnachweis voraus (s. Der Hausarzt 10).
Spezialisten propagieren nun, es sei richtig, sich von der ursprünglichen hausärztlichen Versorgung geriatrischer Patienten zu distanzieren und Patienten in Richtung hochspezialisierte Medizin zu steuern. Dabei missachten sie aber eine patientenzentrierte ärztliche Behandlung und befördern die Fehlsteuerung. Hausärzte betrachten die Debatte daher mit Sorge und Verwunderung – was auch ein wichtiger Beschluss des 119. Deutschen Ärztetags unterstreicht: Mit großer Mehrheit haben die Delegierten abgelehnt, einen Facharzt für Geriatrie zu etablieren.
Aus mehreren Gründen ist der Hausarzt als zentraler Ansprechpartner geriatrischer Patienten wichtig. So belegen aktuelle Studien, dass alternde Menschen insbesondere das Schwinden der kognitiven Reserven, körperlichen Kraft und sozialen Teilhabe belastet. Dabei ist meist der Hausarzt der erste und letzte Ansprechpartner und nur selten ein Spezialist, sei es auch ein Geriater. Warum ist dies so?
Verläuft der Alterungsprozess normal?
Wichtigste Aufgabe in der Geriatrie ist es, zu erkennen, ob das Altern normal, optimal oder krankhaft verläuft. Sowohl die medizinischen als auch die psychosozialen Aspekte dieses Prozesses lassen sich am besten in der Hausarztpraxis beurteilen: Denn hierfür spielt die langjährige Kenntnis der familiären Verhältnisse, Ressourcen, Therapieadhärenz und individuellen Patientenziele eine entscheidende Rolle. Zudem können Hausärzte das präventive Potenzial eines älteren Menschen entdecken, quantifizieren und zielgerichtet beeinflussen. Primäre und sekundäre Prävention im Sinne der Förderung gesundheitsbewusster Verhaltensweisen und Früherkennung der Progredienz von Krankheiten sind per Definition und fast ausschließlich in der Hausarztpraxis praktikabel. Fachärzte und hochspezialisierte Medizin werden hingegen erst bei der tertiären Prävention wichtiger, wobei sie aber auf Interdisziplinarität angewiesen sind.
Laut einer Patientenbefragung der KV Baden-Württemberg von 2011 suchen 94 Prozent aller geriatrischen Patienten zuerst ihren Hausarzt auf. 91 Prozent der Patienten bezeichnen das Vertrauensverhältnis zum Hausarzt als sehr gut oder gut. Nach einer Statistik der KV BW erbrachten Hausärzte im Jahr 2010 drei Millionen Hausbesuche und circa zwei Millionen Besuche im Pflegeheim. Es sind also Hausärzte, die die wohnortnahe Versorgung geriatrischer Patienten sichern – besonders auch derjenigen, die etwa wegen fehlender Transportmöglichkeiten oder sozialer Isolation nicht in einer spezialisierten geriatrischen Institution betreut werden können. In der akademischen Debatte werden diese sozialpsychologischen und räumlichen Hindernisse der Patienten systematisch unterschätzt – oder sogar ignoriert.
Hausärzte sind schon Spezialisten!
In der Diskussion warnen Spezialisten derzeit davor, Hausärzte im Schnelldurchlauf zu Spezialisten für Altersmedizin auszubilden. Dies werde die Versorgung nicht verbessern. Die Wahrheit ist: Wir Hausärzte verfügen bereits über Kompetenz in der Geriatrie, wir sind der fundamentale Baustein! Geriatrische Module sind schon in die Ausbildung zum Facharzt integriert und die Allgemeinmedizin ist ganzheitlich orientiert.
Im Gegensatz zu anderen Disziplinen verfügen Hausärzte über unverzichtbare Erfahrung in der ambulanten Betreuung. Schon zum Abschluss der Facharztausbildung sind folglich solide geriatrische Kenntnisse gesichert. Wir Hausärzte garantieren wie keine andere Disziplin die wohnortnahe Behandlungskontinuität – angefangen von der geriatrischen bis hin zur kurativen und palliativen Prävention, aber auch der geriatrischen Traumatologie und Rehabilitation.
Im Gegensatz dazu orientiert sich eine hoch spezialisierte geriatrische, fachärztliche Behandlung oft je nach Krankheitsbild an den entsprechenden Leitlinien, ohne diskordante Komorbiditäten zu berücksichtigen. Dies führt zu einer fragmentierten, vertikal orientierten Versorgung und häufig zu Kommunikationsdefiziten zwischen den verschiedenen Behandlern.
Fazit
Nach heutigem Trend behandeln vor allem hoch spezialisierte Einrichtungen multimorbide geriatrische Patienten. Dies verbessert aber bei wesentlich weniger Patienten als angenommen tatsächlich die Versorgungsqualität. Die Zahl der Arztkontakte und Klinikaufenthalte steigt und damit auch exponentiell die Kosten für die Versorgung (vgl. Tab 1, S. 19).
Der Ansatz greift also zu kurz und sollte zugunsten einer patientenzentrierten Versorgung durch den Hausarzt ersetzt werden. Denn eine langanhaltende wohnortnahe geriatrische Versorgung ist zentral, um die ambulante und stationäre Versorgung zu koordinieren und Interdisziplinärität und Kooperation auf einem für Betroffene tolerablen Niveau zu etablieren. Und dies kann nur der Hausarzt leisten!
Lesen Sie dazu auch den Artikel "Wider den Spezialisierungswahn" von Dipl. Soc. Robert Festersen sowie den Kommentar "Wir müssen regionale Strukturen fördern" von Monika Buchalik!