In der grünen Wildnis zwischen Bremen und Osnabrück haben sich besonders viele Allgemeinärzte in Einzelpraxis niedergelassen. Die Orte sind klein. Die Gegend ist relativ dünn besiedelt, weil es dort noch ausgedehnte Moorflächen gibt. Dies hat zur Folge, dass der einzige Arzt am Ort mit allen Problemen seiner Patienten buchstäblich von der Wiege bis zur Bahre befasst wird. Dazu gehört besonders die oft teure Arzneimittelversorgung, wie sie in den Facharztbriefen aus entfernten Städten (wie Bremen und Osnabrück) empfohlen wird.
Sowohl die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen als auch alle Krankenkassen im Land kennen diese Problematik. Dies hindert sie aber nicht, allein versorgenden Hausärzten unendliche Schwierigkeiten mit der Bürokratie der vertragsärztlichen Wirtschaftlichkeitskontrolle zu bereiten. Besonders die Heil- und Hilfsmittelverordnung bei Langzeitpatienten ist davon immer noch betroffen, obwohl der Bundestag durch eine Änderung des SGB V das Instrument der Dauerverordnung bei Heilmitteln geschaffen hat.
Über dieses Regressunwesen berichtete nun ausführlich die Neue Osnabrücker Zeitung am 30. November 2015 in einem Artikel von Jürgen Ackmann (http://bit. ly/1Q y0IiB; Auszug siehe links).
"Existenzvernichtung“: Ärzte im Nordkreis wehren sich gegen Regresse
Altkreis Bersenbrück. Es war ruhiger geworden an der Ärzte-Regressfront. Doch das hat sich in diesem Jahr wieder geändert. Fast 500 Vertragsarztpraxen in Niedersachsen haben von der Prüfstelle in Hannover Post bekommen, weil sie für das Jahr 2013 laut Richtgrößenprüfung 200 Millionen Euro zu viel an Medikamenten und Heilmitteln – Krankengymnastik, Ergotherapie, Logopädie – verschrieben haben sollen. Betroffen sind auch Ärzte aus dem Nordkreis. Die wehren sich und verweisen auf Praxisbesonderheiten speziell auf dem Lande. Besonders in der Zeit von 2004 und 2006 hatte es viel Ärger wegen der Regresse gegeben. Für die Jahre 2007 und 2011 einigten sich die Krankenkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen dann auf sogenannte Regionalpakete, um vor Ort die Ausgaben zu steuern und zu kontrollieren. Diese Regionalpakete ersetzten die Richtgrößenprüfungen und Regresse. Die Ärzte konnten damit leben. Der Regressdruck sei so reduziert worden, hieß es. Das ist nach dem Eintrudeln der Bescheide für das Jahr 2013 nun wieder anders. So spricht die Kassenärztliche Vereinigung in Niedersachsen von „wirtschaftlicher Bedrohung der Praxen“ und von „Existenzvernichtung“.
Konzentration der Morbidität
Das Thema Regresse wird zunehmend interessant für die Publikumspresse. Denn zwischen den Regressdrohungen und den Interessen der Langzeitpatienten besteht eine zunehmend engere Verbindung.
Das besondere Regressrisiko der Landärzte resultiert daraus, dass diese nicht – wie in der Stadt – das Verordnungsvolumen für einen Langzeitpatienten mit den parallel behandelnden Fachärzten teilen können. Schließlich können und wollen gerade Langzeitpatienten nicht wegen jedes Rezepts bis zu 70 Kilometer zum nächsten Facharzt in die Stadt fahren, nur um ein Rezept verordnen zu lassen. Oft sind solche Patienten behindert, können nicht Auto fahren und das Eisenbahnnetz wird ständig verdünnt. Da bleibt eben nur die Verordnung durch den Hausarzt auf der Grundlage des Arztbriefes eines Fachkollegen aus der Stadt.
Aber Hausärzte lassen sich auf dem Land nicht gerne nieder und ein Grund dafür ist die Regressdrohung. Im Ergebnis konzentriert sich die Versorgung auf weniger Praxen. Dort steigen dann die Fallzahlen bei immobilen und multimorbiden Patienten. Die jüngeren und motorisierten Patienten wandern schon einmal aus den überfüllten Hausarztpraxen auf Einzelarztsitzen ab. Es konzentriert sich in den verbleibenden Praxen also die Morbidität und das Regressrisiko nimmt zu – bis endlich eine Praxisbesonderheit anerkannt ist. Dies kann aber mehr als zehn Jahre dauern, wenn die Anerkennung erst durch ein Obergericht erfolgt.
Eine Verminderung des Regressrisikos ist für 2017 durch Änderung des Sozialrechtes in Aussicht gestellt (Versorgungsstärkungsgesetz). Dann soll in den Prüfvereinbarungen auf Landesebene das Nähere zur Wirtschaftlichkeitskontrolle vereinbart werden. Eine sofortige und tiefgreifende Erleichterung ist davon aber nicht zu erwarten. Denn Niedersachsen ist schließlich heute schon ein Flächenland. Die Prüfstelle kennt die Verhältnisse genau und schafft in Bezug auf die Regresse dennoch keine Abhilfe. Folglich geht der Ärztenachwuchs in die Stadt, auf den Dörfern werden Hausärzte knapp – und das interessiert die Lokaljournalisten und deren Leser.
In kommenden Ausgaben von "Der Hausarzt" wird in der Regress-Serie behandelt, was bei der Verordnung von Heilmitteln zu beachten ist.