Münster. Damit ihre Arbeit Ärzte nicht krank macht, sind entsprechende Rahmenbedingungen, aber auch individuelle Anstrengungen zur Eigenfürsorge nötig. Das haben der Referent Prof. Harald Gündel, Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin in Ulm, aber auch zahlreiche Redebeiträge der Delegierten auf dem Deutschen Ärztetag deutlich gemacht. „Das sind zwei Seiten einer Medaille, die zusammengehören“, betonte Gündel dazu.
Am Dienstag und Mittwoch (28. und 29. Mai) widmeten sich die rund 250 Delegierten in Münster dem diesjährigen Schwerpunktthema der Arztgesundheit, den Auftakt machten drei Input-Vorträge rund um Gündel. Eine darauffolgende Debatte mit ausgesprochen langer Rednerliste – ohne begrenzte Redezeit – zeigte dabei: Das Thema brennt Ärzten sowohl in der Niederlassung als auch in der Anstellung auf der Seele. Entsprechende mit großer Mehrheit beschiedene Anträge unterstreichen die Aktualität des Themas und fordern Selbstverwaltung und Politik zum Handeln auf.
System fordert permanente Verfügbarkeit
„Wir sind in unserem Beruf von Anfang an auf Leistung getrimmt“, erklärte ein Delegierter den Hintergrund. Zunächst die strenge Studienplatzvergabe, dann eine Darstellung als „Götter in Weiß“ in den Medien: „Wir dürfen uns zu keinem Zeitpunkt Schwäche erlauben.“ Das Motto laute „Bleib gesund oder halt‘ den Mund.“ Und: „Das System fordert von uns eine permanente Verfügbarkeit.“
Genau hier, so der Tenor, setzen Lösungsansätze an. Einerseits gehe es dabei um die Rahmenbedingungen, geschaffen durch Gesundheitspolitik, aber auch die Verfügbarkeit etwa von Arbeitsmedizin, so Referent Gündel. Für die Delegierte Christa Bartels ist sowohl für Niedergelassene als auch für Angestellte darüber hinaus wichtig, dass die finanzielle Ausstattung stimmt. Andernfalls drohe „Fließbandarbeit“, mit der niemandem geholfen sei. Plus: Von den Publikumsmedien wünsche sie sich mehr Wertschätzung statt „Ärzte-Bashing“.
Bar statt Kongress-Vorbereitung
Auf der anderen Seite sei gegen diese geforderte „permanente Verfügbarkeit“ auch der Einzelne gefragt. „Jeder von uns braucht Inseln, Dinge, die wir gern tun“, plädierte Experte Gündel. „Wir müssen unseren Alltag an entscheidenden Stellen verlangsamen.“ In der Debatte unterstrich auch Dr. Herbert Arthur, Delegierter aus Baden-Württemberg, diese Eigenverantwortlichkeit der Ärzte. So müsse Schluss sein mit dem oft beobachteten „Helfersyndrom“, forderte er. Eine Kollegin plädierte für eine Abkehr vom Perfektionismus, der vielen Ärzten Grundeigenschaft sei. Ihr Tipp: Sie habe am Vorabend der Debatte die geplante Ärztetags-Vorbereitung gegen einen entspannten Abend in der Hotelbar getauscht – und das Setzen auf mehr Freizeit nicht bereut.
Auch externe Angebote könnten hier helfen: So sei für die Erhaltung der Arztgesundheit essenziell, die eigene Arbeit gut zu organisieren, betonten zahlreiche Redner auf dem Podium. Und: Führungsqualitäten lerne man als Arzt nicht im Studium – dabei seien sie für die Arztgesundheit im Krankenhaus oder auch einer großen Praxis essenziell. Der Ärztetag fordert die Verantwortlichen für die Gestaltung der Curricula und Klinikleitungen in einem Antrag daher auf, “die Führungs- und Kommunikationsstrukturen an unseren Kliniken deutlich weiterzuentwickeln”.
Auch könnten Ärzte etwa gezielt in entsprechenden Trainings eine sogenannte Dilemmakompetenz erwerben, die sie im Zwiespalt zwischen optimaler Patientenversorgung und ökonomischen Überlegungen stärkt, stellte Gündel entsprechende Angebote vor.
Suchterkrankungen: PKV-Police prüfen
Doch was, wenn der Stress zu groß wird und Ärzte in eine Sucht fliehen? Die Prävalenz hierfür sei mit sieben bis acht Prozent im Gegensatz zur Gesamtbevölkerung leicht erhöht, skizzierte Dr. Klaus Beelmann, Geschäftsführender Arzt der Ärztekammer Hamburg. Unter Frauen und Männern bestünden dabei keine signifikanten Unterschiede. Die Suchterkrankungen schlüsseln sich laut Beelmann wie folgt auf:
- 50 Prozent Alkohol
- 30 Prozent Alkohol + Medikamente
- 6 Prozent Medikamente
- 5 Prozent Betäubungsmittel
Gerade im Bereich der Suchterkrankungen sei einerseits eine Offenheit wichtig, die eine Therapie ermögliche, ohne etwa Angst um die Approbation zu haben. Das Motto müsse “Hilfe statt Strafe” lauten, was in entsprechenden Interventionsprogrammen der Kammern bereits gelebt werde. Gleichzeitig, skizzierte Beelmann, seien organisatorische Fragen im Falle des Falles essenziell: Wie ist die Praxisvertretung geregelt? Und: Um die vergleichsweise kostenintensive stationäre Versorgung zu sichern, wäre es “wünschenswert”, wenn Privatversicherer (PKV) diese Interventionsprogramme wie die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) in den Leistungskatalog übernehmen würde.
Hierauf pochte in der anschließenden Debatte auch Dr. Josef Mischo, Chef der saarländischen Ärztekammer: “Die Versorgungswerke übernehmen bei einer Suchterkrankung die stationäre Versorgung in der Regel”, erklärte er. Jedoch seien dafür Einzelfallprüfungen und in der Regel zeitverzögernde Diskussionen mit der PKV nötig. Dies betreffe vor allem junge Kollegen, die häufig günstigere Tarife abschließen, so Mischo. Auch hier, fasste er zusammen, sei einerseits der Einzelne gefragt – konkret die jungen Ärzte, an die er appellierte, eine umfassende Police auch für Sucht- und mentale Erkrankungen abzuschließen -, andererseits aber auch das System, das solche Erkrankungen thematisieren und in die entsprechenden Leistungskataloge aufnehmen sollte.
In einem entsprechenden Beschlussantrag fordert der Deutsche Ärztetag mit großer Mehrheit, “dass die Entgiftungs- und Entwöhnungsbehandlung bei suchtkranken Ärztinnen und Ärzten Bestandteil der Versorgung durch private Krankenkassen und Rentenversicherer sein muss”.