Berlin. Drei Tage nach dem vorläufigen Haltesignal für den Corona-Impfstoff von Astrazeneca steht fest: Die Vakzine AZD1222 bleibt in der EU zugelassen. Das hat die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) am Donnerstagnachmittag (19. März) mitgeteilt. Der Nutzen der Impfung übersteige die Risiken, so das Fazit nach einer außerordentlichen Tagung des EMA-Pharmakovigilanzausschusses PRAC.
Darauf basierend kündigte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) an, dass die Impfungen möglichst schnell wieder aufgenommen werden sollten – allerdings mit einem neuen Warnhinweis zu möglichen Nebenwirkungen. Ziel sei, dass schon an diesem Freitag wieder begonnen werden könne, sagte Spahn am Donnerstagabend nach entsprechenden Beratungen mit den Ländern. In der Tat kündigten zahlreiche Bundesländer noch am Donnerstagabend an, unmittelbar ab dem Folgetag wieder Astrazeneca zu verimpfen. Dazu müssen zwischenzeitlich abgesagte Termine teils neu vergeben werden.
Auch andere Staaten – darunter Frankreich und Lettland – kündigten nach der EMA-Entscheidung eine solche Wiederaufnahme der Impfungen an; Spanien wolle bis kommenden Dienstag prüfen, ob bestimmte Personengruppen mit einem erhöhten Risiko ausgenommen werden sollten.
Das gilt es Patienten mitzuteilen
Für den weiteren Gebrauch in Deutschland soll das Präparat einen Warnhinweis für Frauen unter 55 Jahren erhalten zum Risiko sehr seltener Fälle einer disseminierten intravasalen Koagulopathie (DIC) oder zerebraler Sinusthrombosen (cSVT). Ein generell erhöhtes Risiko für thromboembolische Ereignisse konnte der EMA-Ausschuss allerdings nicht ausmachen.
Patientinnen und Patienten dürften sich nun verstärkt mit Fragen an ihre Hausarztpraxen wenden. Folgende Punkte sind dabei wichtig:
- Patienten sollten über mögliche Symptome von DIC und cSVT – unter anderem Petechien oder Kopfschmerzen, besonders binnen drei Tagen nach der Impfung – informiert werden und beim Auftreten rasch einen Arzt konsultieren. Laut Paul-Ehrlich-Institut (PEI) sollen sich Patienten in ärztliche Behandlung begeben, wenn sie sich mehr als vier Tage nach der Impfung unwohl fühlen sollte, etwa mit starken oder anhaltenden Kopfschmerzen oder punktförmigen Hautblutungen.
- Dies wird laut Gesundheitsminister Spahn aktuell von PEI und Ministerium auch in die Aufklärungsblätter mit aufgenommen. Bis die aktualisierte Version vorliegt, sollten impfende Hausärzte mündlich dazu aufklären und dies handschriftlich auf dem Merkblatt ergänzen.
- Schwerer zu adressieren dürfte der erlittene Vertrauensverlust in die Impfungen sein. Bereits mit der Zulassung der Astrazeneca-Vakzine waren Hausärztinnen und Hausärzte mit Zweifeln aus der Bevölkerung konfrontiert worden. Welche Auswirkungen die Diskussion über neue Risiken nun auf das Vertrauen in den Impfstoff haben wird, ist aktuell nur zu erahnen.
- Wer bereits mit Astrazeneca geimpft wurde und dies mehr als 16 Tage zurückliegt, hat laut PEI nichts mehr zu befürchten.
Zahlen aufschlüsseln
In Deutschland gibt es den aktuellsten Angaben zufolge inzwischen 13 gemeldete Fälle der Thrombosen in Hirnvenen in zeitlichem Zusammenhang zu Impfungen mit dem Präparat, drei Patienten seien gestorben. Insgesamt handele es sich um zwölf Frauen und einen Mann im Alter von 20 bis 63 Jahren. Als die Bundesregierung den Einsatz von Astrazeneca am vergangenen Montag nach einer Empfehlung des PEI stoppte, waren es sieben Fälle.
Das PRAC hat nach eigenen Angaben bei 20 Millionen Impfungen mit der Astrazeneca-Vakzine in der EU und Großbritannien bis Dienstag (16. März) Kenntnis von sieben DIC-Fällen und 18 cSVT-Fällen aus neun Staaten. Sie ereigneten sich danach bei Menschen unter 55 Jahren und in der Mehrheit bei Frauen. Thrombosen generell traten in der EU in 191 Fällen auf, was der EMA zufolge weniger ist, als zu erwarten wäre.
In den ersten zwei Märzwochen hätte rechnerisch ein DIC-Ereignis auftreten dürfen, fünf Fälle wurden jedoch binnen 14 Tagen nach der Impfung gemeldet. Bei der cSVT wären statistisch 1,35 Fälle erwartbar gewesen, jedoch traten 12 auf.
Da jedoch eine Covid-19-Erkrankung mit einem deutlich erhöhten Risiko für Thromboembolien assoziiert ist, überwiege der Nutzen der Impfung, so die EMA. “Der Impfstoff ist sicher und effektiv gegen Covid-19, und die Vorteile sind wesentlich größer als die Risiken”, sagte EMA-Chefin Emer Cooke am Donnerstag mit Bekanntgabe des Beschlusses. Es gebe keine Hinweise darauf, dass die Impfungen die Vorfälle verursacht hätten. Dennoch sei es nicht ausgeschlossen. Daher würden die Prüfungen und Studien auch fortgesetzt.
Merkel und Länderchefs beraten jetzt über Impfungen in Praxen
Spahn sagte, das vorsorgliche Aussetzen sei notwendig gewesen, um Sicherheit zu bekommen. Ärzte ohne diese Informationen weiterimpfen zu lassen, wäre schwer zu verantworten gewesen.
Vor dem Hintergrund seiner Forderung, die “verlorenen” Tage nun möglichst schnell wieder aufzuholen, wächst der Druck, Hausarztpraxen möglichst schnell flächendeckend in die Impfungen einzubeziehen. Die Gesundheitsminister von Bund und Ländern hatten diesen Übergang bisher spätestens für die Woche vom 19. April angepeilt. Der Deutsche Hausärzteverband und zahlreiche Landesverbände hatten wiederholt betont, dass Hausärztinnen und Hausärzte parat stünden.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten der Länder wollen sich an diesem Freitag (19. März) zu einem “Impfgipfel” per Telefonkonferenz zusammenschalten. Beraten werden soll dann auch über den Zeitplan für einen breiten Impfstart in Praxen. Zu klären sei dafür auch, wie verfügbarer Impfstoff zwischen Praxen und den regionalen Impfzentren aufgeteilt werden soll.
Der Impfgipfel sollte eigentlich schon am Mittwoch stattfinden, war dann aber wegen der Aussetzung des Präparats von Astrazeneca verschoben worden.
Mit Material von dpa