122. Deutscher ÄrztetagKlare Kante zur Eröffnung

Es war eine mit Spannung erwartete Begegnung: Zum Start des Ärztetags in Münster sind Gesundheitsminister und scheidender BÄK-Chef "in den Ring" gestiegen. Dabei hat Jens Spahn (CDU) ein wichtiges Zugeständnis an Ärzte gemacht.

Im Rampenlicht: Jens Spahn bei der Eröffnung des 122. Deutschen Ärztetags in Münster.

Münster. Die temporeiche Gesetzgebung Jens Spahns mit seinen deutlichen Eingriffen in den Praxisalltag stößt Ärzten bitter auf – dabei können sie jedoch klar trennen und in den Plänen des CDU-Gesundheitsministers auch gute Punkte erkennen. Dies haben vereinzelte Buhrufe und offene Kritik einerseits sowie teils deutlicher Applaus andererseits in einer „Abstimmung mit den Händen“ gezeigt, als Spahn am Dienstag (28. Mai) gemeinsam mit dem scheidenden Bundesärztekammer-Präsidenten Prof. Frank Ulrich Montgomery den 122. Deutschen Ärztetag in Münster eröffnete.

Dabei sorgten vor allem zwei – teils ineinander übergehende – Themenbereiche für scharfe Argumente: die Digitalisierung, ganz konkret die Anbindung an die Telematikinfrastruktur (TI), sowie Spahns Eingriffe in die Selbstverwaltung am jüngsten Beispiel der Gematik als Betreibergesellschaft eben dieser TI. Der von vielen erwartete und sowohl von Montgomery als auch KBV-Chef Dr. Andreas Gassen zwischen den Zeilen angekündigte Schlagabtausch mit dem Gesundheitsminister – zu dem am Dienstagvormittag passend die Lippstädter Trommler der „Fascinating Drums“ einheizten – blieb während der feierlichen Eröffnung jedoch aus.

“War die Sprechstundenerhöhung wirklich nötig?”

Diesen deutlichen Zwiespalt zwischen inhaltlich guten Punkten in Spahns Gesetzgebung und Übergriffen in Selbstverwaltung und Praxisalltag machte Montgomery gleich zu Beginn seiner Rede deutlich. So nannte er das Transplantationsgesetz, das bereits zum 1. April in Kraft getreten ist und das Kliniken mehr Zeit und Geld für Organtransplantationen an die Hand geben soll, gleich zur Eröffnung „stark“. „Aber war die Sprechstundenerhöhung im Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) wirklich nötig?“

Deutlich kritisierte Montgomery außerdem die „enteignungsgleichen Eingriffe“ in die Gematik, mit der sich Gesundheitsminister Spahn mehr Tempo für die Digitalisierung erhofft. Jetzt sei das Bundesgesundheitsministerium als Mehrheitseigner in der Pflicht, so Montgomery – und bei Nichterreichen der Ziele könnte man ja auch hier eine Abschlagszahlung analog zur Honorarkürzung für nicht an die TI angebundene Arztpraxen anvisieren, regte Montgomery mit spitzer Zunge an.

Kernproblem: Andere Auffassungen von Selbstverwaltung

Das Kernproblem in den Augen des BÄK-Chefs: Spahn hat in seinen jüngsten Gesetzesplänen die Selbstverwaltung zwar bedacht, jedoch in so engen Grenzen, dass es sich eher um eine “Auftrags- als um eine Selbstverwaltung” handele. Aber: Wenn man sich etwa das Aufgabenheft der Gematik anschaue, entspreche dies der „Quadratur des Kreises“, so Montgomery. „Das scheinbare Nichtliefern der Selbstverwaltung liegt nicht an der Selbstverwaltung, sondern an den politischen Vorgaben.“

„Wir brauchen keine Drohkulisse und keine Bestrafungen“, brachte es auch Westfalen-Lippes Ärztekammerpräsident Dr. Theodor Windhorst als Gastgeber in Münster auf den Punkt. Er plädierte für das Einbeziehen der Ärzte in Fragen der künftigen Patientenversorgung statt einen “Top-down-Ansatz” der Politik. „Wir wollen nicht als Bauern auf einem Schachbrett hin und her geschoben werden.“

“Ich weiß, dass die Telematikinfrastruktur unbeliebt ist”

Spahn hingegen zeigte seinerseits auf, dass die veränderten Strukturen für die Gematik nötig seien, um bei der Digitalisierung voranzukommen. „Meine Geschwindigkeit liegt nicht daran, dass ich morgens ungeduldig wach werde, sondern daran, dass sich zu lange nichts getan hat.“ „Enteignung“ sei für ihn ein großes Wort, wies er zurück. Aber: Wenn er zur Bilanz 2021 ohnehin die „Torte im Gesicht“ habe, dann wolle er wenigstens eigens dafür in der Verantwortung stehen.

„Ich weiß, dass die TI unbeliebt ist und es gar Verschwörungstheorien gibt, dass ich damit nur Praxen ausspähen möchte“, schoss Spahn scharf zurück. „Aber wir brauchen die Infrastruktur für die geplanten Anwendungen“ wie die elektronische Patientenakte. Deswegen würden das Politik und Ärzte “Schritt für Schritt gemeinsam umsetzen“, betonte er – vor dem Hintergrund der jüngst veröffentlichten Anhebung der Strafzahlungen für TI-Verweigerer ab März 2020 eine klar zu verstehende Ankündigung. Und: In zwei, vier, sechs Jahren werde sich beim Thema Online-Sprechstunde einiges getan haben, stellte er den bislang nur “müde lächelnden” Ärzten in Aussicht – “auch, weil die Versicherten es einfordern werden”.

Einigkeit bei Masern-Impfung und Organspende

Trotz des offensichtlichen Tempomachens präsentierte sich Spahn in Münster einmal mehr an der Seite der Ärzte. “Beim Thema Therapiefreiheit haben Sie mich immer an Ihrer Seite”, sicherte er zu. Die Ärzte würden keine Gesetze von ihm finden, in denen das infrage gestellt werde. „Auch angestellte Ärzte in Kliniken sind Freiberufler“, betonte der Minister unter großem Beifall. Auch sei er für konstruktive Gespräche immer zu haben, erneuerte er seine Ankündigung aus dem letzten Jahr.

So zeigte sich auch im Zwiegespräch von Montgomery und Spahn am Dienstag eine Reihe von Themen mit hoher inhaltlicher Übereinstimmung. Bei der Notwendigkeit der Masern-Impfung zur Ausrottung der Krankheit etwa ziehe man an einem Strang, betonte Montgomery. Aber: “Impfen gehört in ärztliche Hand!” Der Minister sparte diesen heißen Punkt jedoch in seiner Rede aus. Auch dürften bei der von Spahn geplanten Impfpflicht Impflücken bei Erwachsenen nicht aus den Augen verloren werden, erinnerte Montgomery. Noch deutlicher zeigte sich eine Einigkeit bei der Organspende: So befürwortete Montgomery ausdrücklich den von Spahn vorgelegten Vorstoß in Richtung Widerspruchslösung. Die Debatte ehrlich und gut zu führen, sei man den 10.000 Patienten, die in Deutschland auf ein Spenderorgan warten, schuldig, so Spahn. Montgomery plädierte darüber hinaus dafür, das Thema brauche ethisch-moralische Grundsatzüberlegungen statt “parteipolitischem Gezank”.

“Nicht immer gleich meckern”

Beim Thema Leichenschau in der GOÄ habe er darüber hinaus explizit einen Vorschlag der Ärztekammer Baden-Württemberg aufgegriffen, betonte Spahn zum Unterstreichen der Gemeinsamkeiten. Ende April hatte er einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorgelegt, nach dem Ärzte für die „vorläufige Leichenschau“ künftig rund 110 Euro, für die „eingehende Untersuchung“ rund 166 Euro abrechnen könnten. „Vielleicht kann man sich da auch einmal freuen, anstatt immer gleich zu meckern.“

Die Delegierten des Deutschen Ärztetags stellen der Debatte in ersten Reaktionen ein gemischtes Zeugnis aus: In den ersten Redebeiträgen am Dienstagnachmittag wurden einerseits die klaren Worte von Montgomery und Windhorst gelobt, andererseits davor gewarnt, Spahns “Freundschaftsangebot” zu ernst zu nehmen, während die Taten eine andere Sprache sprechen. Vor allem bei seiner Zusage zur Freiberuflichkeit sollte man Spahn zunächst beim Wort nehmen, so der weitestgehende Tenor.

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