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124. Deutscher ÄrztetagÄrztetag streicht Suizidhilfe-Verbot

Wie Hausärzte Sterbenden Beistand leisten dürfen, erhält neue Grenzen: Der Ärztetag hat den kontrovers diskutierten Suizidhilfe-Satz aus der Muster-Berufsordnung gestrichen. Nichtsdestotrotz: Zwar sei die Begleitung am Lebensende urärztliche Aufgabe - nicht jedoch die Hilfe beim letzten Schritt.

Gespräch am Sterbebett: Die Begleitung von Patienten bis an ihr Lebensende ist für Hausärztinnen und Hausärzte gang und gäbe.

Der 124. Deutsche Ärztetag hat nachjustiert, inwiefern Ärztinnen und Ärzte Sterbenden Beistand leisten dürfen. Der Satz „Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten“, der bislang in der Muster-Berufsordnung zu finden war, wird gestrichen. Das haben die Delegierten am Mittwoch (5. Mai) mit großer Mehrheit beschlossen.

Ein Antrag, die Grenzen weiter zu stecken, wurde hingegen abgelehnt: So bleibt es Ärztinnen und Ärzten laut Muster-Berufsordnung auch künftig „verboten, Patientinnen und Patienten auf deren Verlangen zu töten” (Original-Wortlaut s. Kasten unten).

Die Muster-Berufsordnung ist Richtschnur für die Landesärztekammern; diese haben in ihren eigenen Berufsordnungen bereits heute teils auf die Einschränkung verzichtet. Jene Kammern, die bislang alle drei Sätze des Paragrafen 16 (Begleitung von Sterbenden) übernommen hatten, sind nun am Zug, ihre jeweiligen Berufsordnungen an die Muster-Berufsordnung anzupassen.

“Das Verbot der ärztlichen Suizidhilfe in der Musterberufsordnung ist aus meiner Sicht berufsethisch nicht haltbar”, sagte Ulrich Weigeldt, Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes, bereits im Vorfeld der Debatte gegenüber “Der Hausarzt”.

Stimmungsbild für die politische Debatte

Darüber hinaus war es vor allem Ziel des Ärzteparlaments, sich im Vorfeld der geplanten gesetzgeberischen Neuregelung zur assistierten Selbsttötung zu positionieren. Dr. Klaus Reinhardt, Chef der Bundesärztekammer (BÄK), lobte, dass es gelungen sei, “kluge und gute Abstimmungsergebnisse“ zu treffen. Diese “sehr ärztlich getönte” Positionierung werde sicher zeitnah von der Politik erfragt, wenn sich diese weiter mit den vorliegenden Gesetzentwürfen befassen wird.

Bereits zu Beginn der Diskussion betonte Reinhardt, dass es nicht um Sterbe-, sondern Suizidhilfe gehe. „Politiker verstehen unter dem Thema mitunter etwas gänzlich anderes als wir Ärzte. Wir sehen den Mensch als Ganzes und somit auch etwaige Sterbewünsche vielumfänglicher.“

Wiederholt betonte Reinhardt am Mittwoch aber, dass man das Thema nicht zum letzten Mal diskutiere. Vielleicht sei es bei einem zweiten Ärztetag im Herbst noch einmal zu besprechen, spätestens aber im kommenden Jahr. Bis dahin sei die Debatte auch an anderen Stellen, vornehmlich im Deutschen Bundestag, zu führen, was die Delegierten in einem eigenständigen Antrag unterstrichen.

Dass neuer, vielfältiger Regelungsbedarf entstehen wird, zeigte sich auch in der Debatte. Hier wurde unter anderem an Folgen für den Ärztlichen Bereitschaftsdienst (ÄBD) bzw. Notarztindikationskatalog erinnert, in dem bislang immer grundsätzlich von einem Lebenswunsch des Patienten ausgegangen werde.

Dreistündige, differenzierte Debatte

Der Entscheidung vorausgegangen war eine “differenzierte, offene und ehrliche Debatte auch bei divergierenden Meinungen”, so Reinhardt. Ein Grundtenor war in der rund dreistündigen Aussprache aber deutlich herauszuhören: Die Mitwirkung von Ärztinnen und Ärzten bei der Selbsttötung ist im Grunde keine ärztliche Aufgabe.

Das unterstrichen die Delegierten mit knapp 200 von 220 abgegebenen Stimmen auch in einem entsprechenden Beschluss. Darin lehnt der 124. Deutsche Ärztetag zudem eine Verpflichtung von Ärztinnen und Ärzten zur Mitwirkung beim assistierten Suizid klar ab.

Nichtsdestotrotz: Als einziger Delegierter bekannte sich Dr. Constantin Janzen (Niedersachsen) dazu, sich vorstellen zu können, “unter klar definierten Voraussetzungen und im engen rechtlichen Rahmen” beim Suizid zu assistieren. “Ich bitte Sie eindringlich, Ärzte wie mich nicht zu verurteilen”, appellierte er für mehr Rechtssicherheit für jene Kolleginnen und Kollegen, die ihre Patienten auch bei diesem letzten Schritt unterstützen würden.

Den Grundtenor der Debatte teilte auch Reinhardt, sowohl im Vorfeld des Ärztetags als auch in der Debatte selbst. Zwar schließe er nicht automatisch aus, zum Beispiel sterbenden Menschen mit starken Schmerzen in der letzten Lebensphase beizustehen und ihnen wenn nötig, in Ausnahmefällen, beim Sterbewunsch entgegenzukommen – grundsätzlich sehe er Suizidbeihilfe jedoch nicht als ärztliche Aufgabe. Diese Position vertrete das BÄK-Präsidium geschlossen, wie Vizepräsidentin Dr. Ellen Lundershausen auch im Namen ihrer Mitte März verstorbenen Kollegin Dr. Heidrun Gitter unterstrich.

„Wir müssen den Patienten bis zuletzt beraten, egal aus welchem Ansinnen er zu uns kommt“, betonte Lundershausen und erinnerte: “Hierfür brauchen wir aber Zeit.”

Kernstück: das (haus)ärztliche Gespräch

Diese ärztliche Beratung war Kernstück zahlreicher Beiträge. Vor allem bei Suizidwünschen von Patienten sei das ärztliche Gespräch gefragt, betonte Dr. Martina Wenker, Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen.

Gerade Hausärzte seien dabei oft erste Ansprechpartner, pflichteten mehrere Delegierte bei. Aufgrund ihrer langjährigen Beziehung zu ihren Patienten seien sie auch bei Todeswünschen die ersten Ansprechpartner. Wichtig sei dabei, “individuelle Bedürfnisse wahr- und vor allem ernstzunehmen”, so Hausärzte-Chef Weigeldt.

Die Konsequenzen für das Arzt-Patienten-Gespräch jedoch wurden ambivalent interpretiert: Während Reinhardt und andere appellierten, dass die Arzt-Patienten-Beziehung nicht unter Zweifeln leiden dürfte, ob Ärzte „immer und primär dem Leben verpflichtet sind“, sehen andere gerade in der beschiedenen Löschung des Satzes aus der Berufsordnung eine Stärkung der Beziehung. „Wir müssen als Partner präsent bleiben, damit sich Menschen nicht an andere Stellen wenden“, gab Johannes Neimann (Niedersachsen) zu bedenken.

Ärztliches Attest darf nicht nötig werden

Nichtsdestotrotz erkannten die Delegierten – auch jene, die sich klar gegen die Suizidhilfe aussprachen – das Urteil des Bundesverfassungsgerichts an. Zur Erinnerung: Es hatte im Februar 2020 das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe gekippt. Nun ist die Politik am Zuge, neue Regelungen zu formulieren.

“Durch das Urteil sind Ärztinnen und Ärzte aufgefordert, sich an der Diskussion zur Suizidhilfe zu beteiligen und die Berufsordnung auf den Prüfstand zu stellen”, erläuterte Dr. Josef Mischo, Vorsitzender des BÄK-Ausschusses “Berufsordnung”. Prof. Bernd Habitz (Niedersachsen) warnte die Debattierenden vor einer “billigen Richter-Schelte“.

Dem Deutschen Ärztetag ist dabei wichtig, dass am Ende eines gesetzlich vorgeschriebenen Beratungsprozesses, bevor den Sterbewilligen die notwendigen Medikamente verordnet werden dürfen, keine ärztliche Bescheinigung notwendig sein darf. Das hielten die Delegierten in einem weiteren Antrag zum umfangreichen Tagesordnungspunkt fest.

Denn: Die Richter hatten das Recht auf Selbsttötung explizit nicht an eine Krankheit geknüpft. “Deshalb können Ärztinnen und Ärzte im Beratungsprozess nicht entscheidende Ansprechpartner sein, da eine Vielzahl von Gründen, die einem Sterbewunsch zugrunde liegen können, jenseits einer Erkrankungssituation und so auch jenseits des ärztlichen Aufgabenfeldes liegt. Jede Beratung von Sterbewilligen, ohne dass Krankheit die Grundlage des Sterbewillens darstellte, würde so außerhalb eines Arzt-Patienten-Verhältnisses stattfinden”, befinden die Antragsteller rund um Julian Veelken (Berlin).

Suizidprävention fördern!

Zwei weitere Anträge unterstreichen darüber hinaus die Notwendigkeit, die Suizidprävention in Deutschland zu stärken. Das befürwortet auch Hausärzteverbands-Vorsitzender Ulrich Weigeldt explizit.

Ute Taube (Sachsen) betonte in der Debatte, dass es mehr präventive Konzepte für Menschen mit Suizidwünschen geben müsse.

Kein Beispiel hingegen dürfe man sich an Ländern mit liberaleren Regelungen nehmen, waren sich die Delegierten einig. Als Negativ-Beispiele fielen immer wieder die Niederlande und Kanada, beide dürften nicht als Vorbild gelten, sondern müssten – etwa aufgrund steigender Suizidzahlen in Kanada – als mahnendes Beispiel gelten.

(Mitarbeit ry)

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