Erfurt. Die Ärzte wollen die Behandlung von psychisch Kranken besser verzahnen. Es gibt zwar viele ambulante und stationäre Versorgungsangebote für diese Patienten. Aber bei der Vernetzung und Kommunikation zwischen den verschiedenen Behandlern hakt es offenbar im Alltag noch. Das machte die Diskussion am Mittwoch (9. Mai) beim Deutschen Ärztetag deutlich. Die Ärzte wollen daher die Zusammenarbeit verbessern.
Denn die zergliederten Strukturen mit vielen Schnittstellen führen öfter dazu, dass Patienten die Behandlung abbrechen, wie es im Antrag vom Vorstand der Bundesärztekammer (BÄK) heißt. Mit Blick auf die Psychotherapeutenreform weisen sie darauf hin, dass der Gesetzgeber die Versorgung nicht in somatische und psychische Störungen spalten soll. Und: Die Psychotherapie gehöre in ärztliche Hand. „Psychotherapie ist wie die Behandlung mit Arzneimitteln sehr wirksam, bringt aber genauso Nebenwirkungen mit sich”, erklärte dies eine Delegierte.
Sprechende Medizin stärken
Darüber hinaus fordert der Ärztetag die sprechende Medizin besser zu honorieren, damit Ärzte sich ausreichend Zeit für diagnostische und therapeutische Gespräche, medizinische Interventionen und die Koordination der Patienten und Angehörigen nehmen können. Dieses Honorar muss dabei nicht nur bei Psychotherapeuten ankommen, sondern auch bei Hausärzten, wird deutlich. Die Delegierten betonen explizit die zentrale Rolle der Hausärzte, deren „zuverlässige und kontinuierliche Versorgung” gestärkt werden müsse.
Dies haben sich auch Union und SPD vorgenommen: Im Koalitionsvertrag haben sie festgeschrieben, die sprechende Medizin und die hausärztliche Versorgung fördern zu wollen. Eine Aufwertung der sprechenden Medizin müsse daher von weiteren Maßnahmen für Hausärzte begleitet werden, wie unter anderem einer Unterstützung der hausärztlichen Versorgung in unterversorgten Gebieten, darauf weist der Deutsche Hausärzteverband hin.
Arbeitsminderung statt lange Krankschreibung
Zudem fordert der Ärztetag die Politiker auf, psychisch Kranken eine vorübergehende Teilzeitarbeit zu ermöglichen. So wären keine langen Krankschreibungen nötig, die sich oft negativ auf die Behandlung der Betroffenen auswirke, heißt es im Antrag. Speziell bei Depressionen sei eine lange Arbeitsunfähigkeit eher kontraproduktiv für die Heilung, weil sie die Symptome der Erkrankung verschärfe. Bei vorübergehender Teilzeitarbeit fehlten die Erkrankten nicht am Arbeitsplatz, zudem blieben Tagesstruktur und soziale Kontakte erhalten. Der Ärztetag forderte den Gesetzgeber auf, die Möglichkeit für eine solche Arbeitsminderung zu schaffen.
Inzwischen leidet jeder Dritte an psychischen Erkrankungen, wurde in der Diskussion am Mittwochvormittag deutlich. 2016 machten sie rund 30,5 Millionen Krankschreibungen aus. Pro Jahr verursachen sie 44 Milliarden Euro Kosten und sie sind die häufigste Ursache für Erwerbsminderungsrenten. Zudem sinkt die Lebenserwartung der Betroffenen durch psychische Erkrankungen um zehn Jahre. Betreut werden Patienten von circa 55.000 Hausärzten, 13.600 Fachärzten mit Zusatzbezeichnung Psychotherapie sowie 4.100 Spezialisten für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, erläuterte Prof. Stephan Zipfel, Direktor der psychiatrischen Abteilung des Uniklinikums Tübingen.
Hausärzte betreuen knapp jeden Zweiten (61 Prozent), Spezialisten jeden Zehnten und beide gemeinsam etwa 20 Prozent der Patienten, stellte Allgemeinmediziner Prof. Jochen Gensichen von der LMU München Daten von 2011 vor. Fast ein Drittel der Patienten mit schwerer Depression werde ausschließlich hausärztlich versorgt, gleichzeitig 20 Prozent mit „leichter oder unspezifischer” Depression nur psychiatrisch oder psychotherapeutisch. Das unterstreiche einerseits die Bedeutung der Hausärzte, zeige aber auch Optimierungsbedarf, kommentierte Gensichen.
Fragebogen verbessert Behandlung bei Depression
Er stellte ein von ihm entwickeltes Casemanagement vor, um Hausärzten die Versorgung von Patienten mit Depression zu erleichtern. Dabei kontaktieren Medizinische Fachangestellte wie die VERAH regelmäßig die Betroffenen. Mithilfe eines Fragebogens (Depressions Monitoring List, DeMOL) stellen sie den Krankheitszustand und die Bedürfnisse der Patienten fest und melden diese so standardisiert an die Hausärzte.
Dadurch falle eine Verschlechterung schneller auf, sodass der Hausarzt sofort alle nötigen Schritte veranlassen kann, erklärte Gensichen. „Unsere Evaluation hat gezeigt, dass die bessere Abstimmung zwischen Patient, MFA und Hausarzt etwa einen Monat AU-Tage sparen kann.” Gensichen appellierte: „Psychische Erkrankungen gehen alle Hausärzte etwas an, auch wenn sie in ihrer Praxis einen anderen Schwerpunkt haben.”
Der Ärztetag wandte sich zudem gegen eine Stigmatisierung psychisch Kranker und gegen die gesonderte Speicherung von Daten dieser Patienten. Der Generalverdacht, dass in psychiatrischen Kliniken untergebrachte Patienten eine besondere Gefahr für die Allgemeinheit darstellten, entbehre einer wissenschaftlichen Grundlage, hieß es. Zuletzt hatten die Pläne Bayerns zur Einführung einer Zentraldatei für sämtliche in der Psychiatrie untergebrachten Patienten für scharfe Kritik gesorgt. Die bayerische Staatsregierung sieht davon inzwischen ab.
Mit Material von dpa