Mainz. „Die aktuellen Herausforderungen sind groß und werden absehbar noch größer“, sagte Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), bei der Eröffnung des 128. Deutschen Ärztetages am Dienstag (7.5.) in Mainz. In den Zeiten von Krisen, Kriegen, Inflation, unsicherer wirtschaftlicher Entwicklung sehnten sich Menschen nach Sicherheit. Wenn es um die Lebensqualität gehe, würden sie regelmäßig Gesundheit an erster Stelle nennen. Die Sicherstellung der gesundheitlichen Versorgung sei für die Menschen somit eine entscheidende Größe.
Die Gesundheitsversorgung der Zukunft stehe jedoch vor einem Problem: Die Bevölkerung wird älter – auch die Ärztinnen und Ärzte. Die Zahl der Praxisaufgaben aus Altersgründen steige bedrohlich, gleichzeitig steige der Versorgungsbedarf. Es bleibe nicht mehr viel Zeit, warnte Reinhardt.
Vor diesem Hintergrund sei es vollkommen unverständlich, dass es zwar einen Auto- oder Chemiegipfel im Kanzleramt gebe, nicht aber einen Gipfel zur Gesundheit.
Steuerliche Anreize für ältere Ärzte
Jetzt müssten schnell Lösungen her. Auch ältere Ärztinnen und Ärzte wären bereit, die Menschen zum Beispiel in Teilzeit weiter zu versorgen. Dazu müssten aber Lösungen und Modelle her, wie etwa steuerliche Anreize oder die Entlastung von sozialversicherungspflichtigen Beiträgen, schlug Reinhardt vor.
Ziele der von Bund und Ländern angestrebten Krankenhausreform müssten die Sicherung einer qualitativ hochwertigen und flächendeckenden Patientenversorgung sowie bessere Arbeitsbedingungen für alle in den Kliniken beschäftigten Berufsgruppen sein. Der von der Bundesregierung erarbeitete Gesetzentwurf bleibe jedoch in weiten Teilen hinter diesen Erwartungen zurück. Das Gesetz müsse dringend überarbeitet werden.
Für den ambulanten Sektor seien stabile und verlässliche Rahmenbedingungen erforderlich. Die hausärztliche Entbudgetierung sei richtig, wichtig und längst überfällig. Es gehe hier auch um Wertschätzung, nämlich dass die Arbeit der Ärztinnen und Ärzte vollständig bezahlt werde, so Reinhardt. Die hausärztliche Entbudgetierung war eines von mehreren Versprechen, die der Hausärztinnen- und Hausärzteverband beim Krisengipfel mit Bundesgesundheitsminister Lauterbach im Januar errungen hat.
Achtung vor wachsender Polarisierung
Mit Blick auf das 75-jährige Jubiläum des Grundgesetzes am 23. Mai 2024 warnte Reinhardt vor einer zunehmenden Polarisierung in der politischen Auseinandersetzung. Hass und Hetze, Diskriminierung und Ausgrenzung seien eine Gefahr für eine humane, tolerante und pluralistische Gesellschaft.
Reinhardt verwies darauf, dass das Grundgesetz grundlegend für die ärztliche Berufsausübung sei: die Freiheitsrechte, die Berufsausübungsfreiheit, der Gleichheitsgrundsatz, das Sozialstaatsprinzip, das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit – all diese Rechte würden den Rahmen ärztlicher Arbeit bilden.
Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD) bedankte sich bei der Ärzteschaft dafür, dass diese auch geschlossen gegen innere Feinde der Demokratie stünden. Was das Gesundheitswesen anging, meinte Lauterbach, sei seine Aufgabe, Probleme klar zu benennen und Lösungen zu finden. So würde seit Jahren in den Kliniken zu viel stationär versorgt. 20 bis 50 Prozent der Leistungen könnten auch ambulant stattfinden. Doch die geplante Klinikreform enthält für Hausärzte teils kritische Regelungen.
Der ökonomische Druck in den Krankenhäusern sei zu hoch und falsch. Manche Operationen müssten auch gar nicht durchgeführt werden. Die Fallpauschalen seien dabei nur ein Teil des Problems. Ein anderer Teil seien mancherorts Vereinbarungen der Klinikleitung, dass nur bestimmte, lukrative Leistungen durchgeführt werden dürften und andere nicht. Auch die Arbeit der Pflege müsse attraktiver gestaltet werden.
Digitales Entwicklungsland
Was die Digitalisierung angehe, stehe Deutschland auf dem Status eines Entwicklungslands, sagte der Minister. Auch in der Prävention sei vieles im Argen – dazu kündigte Lauterbach das Gesetz „Gesundes Herz“ an, dessen angekündigte Bestandteile innerhalb der Ärzteschaft mitunter umstritten sind.
Ein weiteres Problem: In den nächsten Jahren würden 50.000 Ärztinnen und Ärzte in Deutschland fehlen. Zuletzt seien immer mehr ausländische Ärzte angeworben worden, mittlerweile arbeiteten 64.000 hier, die nicht hier ausgebildet wurden. „So können wir nicht weitermachen“, erklärte Lauterbach in Mainz. Man arbeite an Lösungen, die auch Geld kosten würden. „Wir sind zum Gelingen verurteilt“, sagte Lauterbach und versprach, dass die Ärzteschaft mehr eingebunden werde. at