Hausarzt MedizinWie lange antikoagulieren?

Bei Patienten mit einer tiefen Venenthrombose oder einer Lungenembolie ­ ist eine Antikoagulation indiziert. Doch wie lang soll diese Behandlung dauern? Das Ampelprinzip hilft bei der Einschätzung des Rezidivrisikos.

Der Begriff der venösen Thromboembolie (VTE) fasst die beiden eng verbundenen Erkrankungen Tiefe Venenthrombose (TVT) und ihre mögliche Komplikation die Lungenembolie (LE) zusammen. Für beide Erkrankungen ist die Antikoagulation die wichtigste Maßnahme. Sie hat zum Ziel, die Akutmortalität und -morbidität zu reduzieren, längerfristig Rezidive zu verhindern, die Beschwerden zu lindern und Langzeitkomplikationen wie das postthrombotische Syndrom (PTS) oder die chronische thromboembolische pulmonale Hypertonie zu verhindern.

Die Antikoagulation bei venösen Thromboembolien wird in drei Phasen unterteilt (Tab. 1), Initialbehandlung, Erhaltungstherapie und verlängerte Sekundärprophylaxe.

Initiale Antikoagulation

Ziel der Akutbehandlung ist es, das Risiko einer Lungenembolie zu minimieren und das Thrombuswachstum aufzuhalten. Daher sollte sofort nach der Diagnosesicherung eine therapeutische Antikoagulation eingeleitet werden. Auch wenn nur ein hoher klinischer Verdacht besteht und die Utraschalldiagnostik nicht zeitnah zur Verfügung steht, soll bereits mit einer Antikoa-gulation begonnen werden – vorausgesetzt, es liegt kein erhöhtes Blutungsrisiko vor [1]. Aufgrund des anfangs besonders hohen Rezidivrisikos ist sowohl bei der klassischen Therapie mit Heparin und Vitamin-K-Antagonisten (VKA) als auch bei den nicht-Vitamin-K-abhängigen oralen Antikoagulanzien (NOAK) initial eine intensivere Antikoagulation erforderlich – entweder durch eine erhöhte Dosis des NOAK über 1 bis 3 Wochen oder über das Vorschalten einer mindestens 5-tägigen parenteralen Antikoagulationsbehandlung (Tab. 2). Auch unter suffizienter Antikoagulation ist in den ersten 4 Wochen das Rezidivrisiko erhöht, so dass hier auf eine wirksame und nicht unterbrochene Antikoagulation zu achten ist [2].

Bei Beginn der Antikoagulation sollten neben der Aufklärung des Patienten über die Therapieoptionen und Nebenwirkungen ein Basisgerinnungsstatus einschließlich der Thrombozytenzahl sowie eine Abschätzung der Nierenfunktion erfolgen.

Zur parenteralen Akuttherapie werden zumeist niedermolekulare Heparine (NMH) oder Fondaparinux eingesetzt. Bei ­einer Therapiedauer von mehr als 5 Tagen ­sollten Kontrollen der Thrombozyten erfolgen [1]. Weiterhin sind Rivaroxaban und ­Apixaban für die initiale orale Antikoagulation ­zugelassen. Dabigatran und Edoxaban sind erst nach einer parenteralen Antikoagulation von mindestens 5 Tagen einzusetzen (Tab. 2).

Verlaufsuntersuchung

Nach Therapieeinleitung empfiehlt sich ­eine zeitnahe Kontrolluntersuchung in den ­ersten 5 bis 21 Tagen der Behandlung. Gut geeignet dafür ist der Zeitpunkt der Umstellung von einer subkutanen Therapie auf ein orales Antikoagulans oder der Dosisreduktion bei Apixaban oder Rivaroxaban. ­Dabei sollen offene Fragen des Patienten adressiert, ggf. die Aufklärung ­vervollständigt, die Verträglichkeit der Medikation und der klinische Verlauf überprüft werden. ­Eine ­Ultraschalluntersuchung ist dabei in der ­Regel nicht erforderlich [1].

Erhaltungstherapie

An die initiale Antikoagulation schließt sich die Erhaltungstherapie an, um die Thrombose zu konsolidieren und ein frühes Rezidiv zu verhindern. Sie wird in der Regel über eine Dauer von 3 bis 6 Monaten fortgeführt und erfolgt meist mit VKA oder NOAK (Tab. 2).

Die Entscheidung, mit welchem Antikoagulans die Therapie erfolgt, sollte individuell­ getroffen und der Patient über Vor- und Nachteile der verschiedenen Optionen aufgeklärt werden. VKA sind kostengünstig und haben den Vorteil der ­jahrzehntelangen Erfahrung, haben aber auch die bekannten Nachteile wie die Notwendigkeit regelmäßiger Gerinnungskontrollen, wobei der gewünschte INR-Zielbereich nicht immer stabil erreicht wird, die lange Halbwertszeit, die das Management bei invasiven ­Eingriffen schwierig macht, Wechselwirkungen mit Medikamenten und Nahrungsmitteln [1]. NOAK haben hier Vorteile und zeigten in Metaanalysen eine Reduktion von schweren Blutungen.

Aufgrund der kurzen Halbwertszeit entfällt das Bridging vor invasiven ­Eingriffen. Nach 3 bis 6 Monaten und immer bei Beendigung der Antikoagulation sollte eine Ultra­schalluntersuchung bezüglich eventueller Residualthromben erfolgen [1], auch um bei Rezidivverdacht den Ultraschallbefund vergleichen zu können.

Verlängerte Erhaltungstherapie

Mit zunehmendem Zeitintervall nach dem VTE-Ereignis nimmt das Rezidivrisiko ab. Nach 3 bis 6 Monaten sollte eine neuerliche Abwägung von Wirksamkeit (der Verhinderung eines potenziell tödlichen Rezidivs) und Sicherheit (insbesondere Blutungs­risiko) erfolgen. Klinisch bedeutsame Faktoren zur Einschätzung des Rezidiv- und Blutungsrisikos sind in den Tabellen 3 und 4 zusammengestellt. Führende Kriterien sind neben der Patientenpräferenz ein unprovoziertes (ohne identifizierbaren Auslöser) versus ein provoziertes Ereignis (mit Auslöser, z.B. OP, Immobilisation etc.), eine ­proximale TVT versus eine Unterschenkel-TVT (bei letzterer genügen immer 3 Monate Antikoagulation) sowie eine Rezidivthrombose, schwere Thrombophilie (z.B. Antithrombin-­Mangel, Lupusantikoagulans, homozygote Faktor-V-Leiden, Prothrombinmutationen oder Kombinationsthrombophilie). Diese Gesichtspunkte müssen zusammen mit der Abschätzung des Blutungsrisikos (Tab. 4) mit dem Patienten gemeinsam abgewogen werden, um zu einer Entscheidung über die Beendigung oder Fortsetzung der Antikoagulationstherapie zu gelangen.

Entscheidungshilfe: Die Ampel

Die aktuellen interdisziplinären deutschsprachigen Leitlinien empfehlen eine individuell angepasste Entscheidung über die Dauer der Antikoagulation unter Berücksichtigung der Patientenpräferenz und den in Tabellen 3 und 4 genannten Kriterien [1].

Diese bewusst vorgesehene Flexibilität und Individualisierung bringt allerdings für viele Ärzte (und Patienten) eine erhebliche Verunsicherung mit sich, daher nachfolgend der Versuch, eine pragmatische Entscheidungshilfe für die häufigsten Fälle im praktischen Alltag zu geben. Diese ­Entscheidungshilfe beruht u.a. auf den aktuellen Leitlinien und einem aktuellen Statement des Standardisierungskomitees der Internationalen Gesellschaft für Thrombose und Hämostase, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, das Rezidivrisiko für provozierte und unprovozierte venöse Thromboembolien besser zu klassifizieren [7]. Die zugehörige Ampel soll die Klassifizierung der Patienten in solche mit einem sehr hohen Rezidivrisiko, bei denen die Antikoagulation nicht beendet werden soll (rote Ampel), und in solche, bei denen das Rezidivrisiko als niedrig einzuschätzen ist und daher die ­Antikoagulation nach 3 bis 6 Monaten beendet werden kann (grüne Ampel), erleichtern (Tab. 5).

Diese beiden Gruppen decken etwa 75 bis 80 Prozent der Thrombosepatienten ab.

Bei etwa jedem fünften Patienten ist die Entscheidung zur weiteren Antikoagulation in Abhängigkeit von zusätzlichen individuellen Faktoren und Befunden zu treffen, insbesondere auch unter Berücksichtigung der Patientenpräferenz (­gelbe Ampel). Oft ist es sinnvoll, diese ­Patienten bei einem Spezialisten zur Frage der weiteren Antikoagulation vorzustellen. Mit Patienten, die vornehmlich dem ­mittleren „gelben“ Bereich zuzuordnen sind und ­eine Therapie über 6 bis 12 Monate erhielten, wurden zwei Studien mit reduzierter Antikoagulationsintensität durchgeführt [8, 9].

Diese niedrigere NOAK-Dosis war ebenfalls wirksam, hatte ein niedriges Blutungsrisiko und könnte bei Patienten, die kein ­hohes ­Rezidivrisiko aufweisen, eine zusätzliche Option sein. Der Patient muss in den Entscheidungsprozess einbezogen werden. Die getroffene Entscheidung sollte nachvollziehbar dokumentiert und in regelmäßigen Abständen (z.B. 1 x jährlich) oder bei neuen Gegebenheiten überprüft werden.

Mögliche Interessenkonflikte:

  • Prof. Dr. Rupert Bauersachs erhielt Vortrags- und Beraterhonorare von Bayer, BMS-Pfizer, Boehringer Ingelheim, Daiichi Sankyo.

  • Prof. Ulrich Hoffmann erhielt Vortrags- und Beraterhonorare von Bayer, Pfizer, Bristol-Myers Squibb, Daiichi Sankyo, Leo Pharma, Aspen, Sanofi-Aventis, Amgen.

  • PD Dr. Christoph Kalka erhielt Vortragshonorare von Pfizer.

  • Prof. Bettina Kemkes-Matthes: keine

  • Dr. Jutta Schimmelpfennig erhielt Vortragshonorare von Kreussler, Leo Pharma.

Literatur

    1. Hach-Wunderle V, Gerlach H, Konstantinides S, et al: Interdisziplinäre S2k: Leitlinie: Diagnostik und Therapie der Bein- und Beckenvenenthrombose und der Lungenembolie; Registernummer 065 – 002. VASA 2016; 45: 1-48
    1. Limone BL, Hernandez AV, Michalak D, Bookhart BK, Coleman CI: Timing of recurrent venous thromboembolism early after the index event: a meta-analysis of randomized controlled trials. Thromb Res 2013; 132: 420-426
    1. Kearon C, Akl E, Comerota AJ, et al: Antithrombotic Therapy for VTE Disease: Antithrombotic Therapy and Prevention of Thrombosis, 9th ed: American College of Chest Physicians Evidence-Based Clinical Practice Guidelines Chest 2012; 141: e419S-e494S
    1. Lee AY, Levine MN, Baker RI, et al: Low-molecular-weight heparin versus a coumarin for the prevention of recurrent venous thromboembolism in patients with cancer. N Engl J Med 2003; 349: 146-153
    1. Lee AY, Kamphuisen PW, Meyer G, et al: Tinzaparin vs Warfarin for Treatment of Acute Venous Thromboembolism in Patients With Active Cancer: A Randomized Clinical Trial. JAMA 2015; 314: 677-686
    1. Kearon C, Akl EA, Ornelas J, et al: Antithrombotic Therapy for VTE Disease: CHEST Guideline and Expert Panel Report. Chest 2016; 149: 315-352
    1. Kearon C, Ageno W, Cannegieter SC, et al: Categorization of patients as having provoked or unprovoked venous thromboembolism: guidance from the SSC of ISTH. J Thromb Haemost 2016; 14: 1480-1483
    1. Agnelli G, Buller HR, Cohen A, et al: Apixaban for Extended Treatment of Venous Thromboembolism. N Engl J Med 2012: Epub ahead of print
    1. Weitz JI, Lensing AW, Prins MH, et al: Rivaroxaban or Aspirin for Extended Treatment of Venous Thromboembolism. N Engl J Med 2017; 376: 1211-1222
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