Viele Alkoholabhängige streben keine dauerhafte Abstinenz, sondern lediglich eine Reduktion ihrer Trinkmenge an. In (nicht selbst gewählten) Abstinenzbehandlungen erweisen sich diese Patienten häufig als „widerständig“ bzw. „krankheitsuneinsichtig“, berichtete Prof. Joachim Körkel, Erlangen. Entsprechend hoch sind die Abbruchraten dieser Therapien. Der Suchtexperte schätzt daher die Trinkmengenreduktion als ergänzendes Ziel zur Abstinenz. Das kontrollierte Trinken (kT) ist laut Krökel mit drei Behandlungsarten erreichbar: Über verhaltenstherapeutische Programme zum selbst-kontrollierten Trinken, einer ergänzenden pharmakologischen Behandlung (z.B. mit Nalmefen oder Naltrexon) sowie mittels Selbsthilfegruppen.
Kontrolliertes Trinken anregen
„Der Hausarzt kann durch eine Kurzintervention einen Anstoß zur Veränderung der Trinkgewohnheiten geben. Etwa indem er dem Patienten ein Trinktagebuch samt Erläuterungsblatt und Strategietipps mitgibt“, riet Körkel. Führt dies zu keiner Besserung kann der nächste Schritt in einem autodidaktischen Selbsthilfemanual bestehen, z.B. dem „10-Schritte-Programm zum kontrollierten Trinken“. Noch intensiver ist eine ambulante Einzel- oder Gruppenbehandlung, für die es spezielle Programme gibt. Beispielsweise das „EkT“ bzw. „AkT“, ein ambulantes Einzel- bzw. Gruppenprogramm oder das „KT-WALK“, ein Programm speziell für Wohnungslose.
Schließlich besteht noch die Möglichkeit, das kontrollierte Trinken im stationären Rahmen zu erlernen. Die erwähnten Programme dauern rund drei Monate, jede Woche wird ein weiterer Schritt erarbeitet.
Wie Körkel anhand einer Metaanalyse zeigte, bringen kT-Programme mehr Menschen in Behandlung als Abstinenzbehandlungen. Zudem sind KT-Elemente wie Trinktagebuch oder Reduktionstipps im Rahmen einer ärztlichen Kurzintervention sinnvoll und benötigen wenig Zeit. Bei Alkoholabhängigen erwiesen sich Einzel- und Gruppenbehandlungen zum kT als mindestens ebenso wirksam wie Abstinenzbehandlungen. Immerhin finden 10 -30 Prozent über eine kT-Behandlung zur Abstinenz.
Qualifizierter Entzug ist überlegen
Reicht eine körperliche Entgiftung oder ist eine qualifizierte Entzugsbehandlung (QE) bei alkoholabhängigen Patienten notwendig? Prof. Norbert Wodarz aus Regensburg sprach sich eindeutig für den qualifizierten Alkoholentzug aus, wie er auch in der aktuellen S3 Leitlinie empfohlen wird. Eine körperliche Entgiftung umfasst lediglich die Behandlung der Komplikationen (körperlich-neurologische Ausfallserscheinungen und Entzugssymptome) mit dem Ziel, die Vitalfunktionen sicherzustellen. Da das eigentliche Problem nicht behandelt wird, besteht eine hohe Rückfallrate.
Demgegenüber enthält die QE zusätzlich zur Entgiftung eine psychiatrische Diagnostik – weil über die Hälfte der Betroffenen eine psychiatrische Begleit-erkrankung aufweist. Die Erkrankung selbst geht die QE an, indem sie die Auseinandersetzung damit fördert. „Den Patienten muss häufig erst bewusst gemacht werden, dass sie ein Alkoholproblem haben“, erklärte Wodarz. Weitere Ziele sind, eine Veränderungsbereitschaft zu erreichen sowie die Annahme weiterführender Hilfen nach dem Entzug. Das Setting sollte nach individuellen Gegebenheiten entweder stationär, teilstationär oder ambulant erfolgen.
Bessere Überlebenschancen nach QE
In einer randomisierten, kontrollierten, offenen Interventionsstudie überprüfte die Arbeitsgruppe von Wodarz den Effekt einer QE bei 300 alkoholabhängigen Männern (n=199) und Frauen (n=101). Die Teilnehmer hatten durchschnittlich vier Entzüge hinter sich. „Unser Ziel war, mit der QE mehr Patienten zu motivieren, eine weiterführende suchtspezifische Behandlung in Anspruch zu nehmen“, berichtete Wodarz. Tatsächlich besuchten fast zwei Drittel der QE-Patienten anschließend eine Entwöhnungseinrichtung. Da sich jedoch ungewöhnlich viele Patienten der Kontrollgruppe ebenfalls für eine Weiterbehandlung entschieden, war der Unterschied nicht signifikant (56 Prozent Kontrollgruppe vs. 64 Prozent QE-Gruppe). Hinsichtlich der Überlebenswahrscheinlichkeit in Abhängigkeit vom Erreichen einer Abstinenz erreichten die QE-Patienten allerdings doch einen signifikanten Vorteil (Logrank p< 0,0001). Zudem war die Zeit bis zu einem Rückfall bei QE-Patienten signifikant länger, wodurch sich laut Wodarz ein größeres Zeitfenster für eine Beeinflussung ergibt. „Insofern hat sich die Bedeutung einer weiterführenden Behandlung bestätigt. Nicht die körperliche Entgiftung sondern der QE sollte ‚state of the art‘ sein“, forderte der Suchtmediziner.
Baclofen gegen Abhängigkeit
Die Behandlung mit niedrig dosiertem Baclofen (30-80 mg/Tag) ergab in verschiedenen Studien inkonsistente Befunde. Eine randomisierte doppelblinde (Pilot-)Studie untersuchte daher hoch dosiertes Baclofen (30-270 mg/Tag) gegenüber Placebo bei 56 alkoholabhängigen Patienten. Nach einer vierwöchigen Aufdosierungsphase erhielten die Patienten entweder Placebo oder über 12 Wochen ihre individuelle Hochdosis. Anschließend erfolgten eine jeweils vierwöchige Ausschleich- und Follow-Up-Phase. Sowohl während der Hochdosis-Phase als auch in der Ausschleich-Phase blieben signifikant mehr Patienten der Baclofen-Gruppe abstinent als in der Placebo-Gruppe (15 vs. 5 bzw. 4 vs. 12). Zudem war die kumulative Abstinenzdauer während der Hochdosis-Phase unter Baclofen signifikant länger.
Die Behandlung wurde gut vertragen. Die häufigsten Nebenwirkungen wie Fatigue, Schlafstörungen oder Muskelschwäche unterschieden sich nicht signifikant von den Angaben in der Placebo-Gruppe. „Unsere Studie belegt, dass eine individuelle Baclofen-Titration zu einer Wirksamkeit führen kann. Noch laufende Untersuchungen werden zeigen, inwieweit die Substanz eine Therapieoption bei Alkoholabhängigkeit darstellt“, resümierte Dr. Christian Müller, Berlin.
Quelle: 17. Interdisziplinärer Kongress für Suchtmedizin in München