In der hausärztlichen Versorgung kommt es darauf an, Notfallsituationen schnellstmöglich zu erkennen und die weitere Versorgungs- bzw. Rettungskette in Gang zu setzen (s. Teil 1, HA 02/24). Im Folgenden gehen wir auf drei häufige Notfallsituationen ein.
Herz-Kreislauf-Stillstand
Fallbeispiel 1: Anruf der Patientenanmeldung: Ein 55-jähriger Patient mit zuvor geäußerten Brustschmerzen ist beim Betreten der Praxis plötzlich kollabiert. Als Sie hinzukommen, liegt der Patient am Boden, ist bewusstlos und ohne Puls und Atmung.
Der Herz-Kreislauf-Stillstand ist die dritthäufigste Todesursache in Europa und weiterhin eine Herausforderung. Zur Verkürzung des therapiefreien Intervalls müssen Notfallzeuge und Leitstellendisponent rasch die Diagnose Herz-Kreislauf-Stillstand stellen, um die Überlebenskette zu aktivieren.
Bei fehlender Reaktion auf laute Ansprache und Schütteln sowie fehlender oder nicht normaler Atmung muss umgehend ein Hilferuf abgesetzt und mit Thoraxkompressionen begonnen werden.
Erkennen: Jeder Patient, der nicht reagiert und nicht normal atmet, hat einen Kreislaufstillstand und benötigt eine sofortige Herz-Lungen-Wiederbelebung. Die Überprüfung des Pulses ist fakultativ.
Priorität: Verkürzung des therapiefreien Intervalls mit einem schnellstmöglichen Beginn der Reanimationsmaßnahmen, effektive, qualitativ hochwertige Herzdruckmassage, minimale “Hands-off-Zeiten” sowie die schnellstmögliche Defibrillation, sofern ein entsprechender Rhythmus vorliegt.
Durchführung einer effektiven Herzdruckmassage mit:
- Druckpunkt in der Mitte des Thorax
- Frequenz der Herzdruckmassage von 100-110/min
- effektive Drucktiefe von 5-6 cm
- ausreichende Entlastung
Nach dem Beginn der Thoraxkompressionen sollten 2 Beatmungen mit einem Verhältnis von 30 Thoraxkompressionen zu 2 Beatmungen (30:2) erfolgen. Falls eine Beatmung nicht möglich ist, sollten die Thoraxkompressionen kontinuierlich durchgeführt werden (“compression-only CPR”).
Während der Reanimationsmaßnahmen ist ein schrittweises Atemwegsmanagement empfohlen, das heißt primär Masken-Beutel-Beatmung und konsekutiv der Einsatz supraglottischer Atemwegshilfen (zum Beispiel Larynxmaske). Die endotracheale Intubation soll nur von sehr erfahrenen Anwendern durchgeführt werden (unter kontinuierlicher CPR mit maximal 5 Sekunden Pause).
Kommt es im Verlauf zu einer Wiederherstellung des Spontankreislaufs, sollte schnellstmöglich eine Evaluation nach dem ABCDE-Schema (siehe Teil 1 der Serie) erfolgen. Die Defibrillations-Patches sollten am Patienten verbleiben, während ein engmaschiges Monitoring nach gegebenen Ressourcen durchzuführen ist. Übergabe mit dem ABCDE- und SAMPLER-Schema (Teil 1).
Schlaganfall
Fallbeispiel 2: Sie werden zu einer 74-jährigen Patientin zum Hausbesuch gerufen. Laut Tochter besteht seit gestern intermittierender Schwindel. Als Sie bei der Patientin eintreffen, finden Sie sie in deutlich gemindertem Allgemeinzustand vor: Hemiparese und Neglect auf der linken Seite.
Der Schlaganfall ist eine bedrohliche Herz-Kreislauf-Erkrankung und bezeichnet einen plötzlichen Ausfall einer neurologischen Funktion infolge einer Durchblutungsstörung im Gehirn (ischämischer Schlaganfall) oder einer Gehirnblutung (hämorrhagischer Schlaganfall).
Der Schlaganfall zählt zusammen mit den restlichen Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebserkrankungen zu den häufigsten Todesursachen in Deutschland und ist die häufigste Ursache für eine bleibende Behinderung im Erwachsenenalter.
Abhängig vom betroffenen Gehirnareal variieren die Schlaganfall-Symptome stark. Die häufigste Schlaganfall-Form sind ischämische zerebrale Infarkte gefolgt von intrazerebralen Blutungen, thrombotischen Verschlüssen von Hirnvenen oder eines Hirnsinus sowie Schlaganfällen im Rahmen einer Subarachnoidalblutung.
Bei einem systolischen Blutdruck über 220 mmHg und/oder diastolischen Blutdruck über 120 mmHg sollte ein Ziel-Blutdruck von maximal 25 Prozent unter dem Ausgangsdruck angestrebt werden, jedoch nicht unter 180 mmHg systolisch. Dies kann mit einer Gabe von Urapidil in 5-mg-Schritten therapiert werden.
Die wichtigen Differenzialdiagnosen des Schlaganfalls oder einer Bewusstseinsstörung sind in der Notfallmedizin Hypoglykämie, Sepsis, Meningitis, Intoxikation und Schädel-Hirn-Trauma (nach unbekanntem Trauma). Eine zielgerichtete Initialdiagnostik, die eine entsprechende gezielte Weiterversorgung einleitet, ist also prioritär, um einen Primärschäden nach Möglichkeit zu beheben und Folgeschäden zu verhindern.
So muss ein Patient mit Verdacht auf einen Schlaganfall nach Voranmeldung so schnell wie möglich in ein Krankenhaus mit entsprechender Versorgungsmöglichkeit. Die Zeit von den ersten Schlaganfallsymptomen bis zur endgültigen Therapie entscheidet über das Ausmaß der zerebralen Zellschäden und damit den klinischen Verlauf.
Daher ist es besonders wichtig, einen Schlaganfall und die Symptome zu erkennen und die entsprechenden Maßnahmen einzuleiten. Hier trifft den Hausarzt oder auch den Notarzt eine entscheidende Verantwortung.
Das Zeitfenster beträgt nach aktuellen Leitlinien 4,5 Stunden nach Symptombeginn. Je früher der Patient bei entsprechender Symptomatik vorgestellt wird, umso besser sind seine Chancen der Restitutio. Aus diesem Grund ist es für den Hausarzt oder Notarzt wichtig, zentrale Funktionsstörung aus der Vielfalt der akuten Beschwerden zu erkennen
Hierzu gibt es für die Primärdiagnostik ein einfaches Untersuchungsschema:
- Beide Arme zehn Sekunden nach vorne ausstrecken. Kommt es zu einem einseitigen Anheben oder Absinken?
- Kopf-/Blickwendung: Beobachten der Kopf- und Augenstellung. Besteht eine Bevorzugung oder Ausschließlichkeit der Blickrichtung nach einer Seite?
- Prüfung der Berührungsempfindung bei geschlossenen Augen durch Bestreichen der Hände. Bemerkt der Patient eine einzeln getestete Berührung nur auf einer Seite?
Wichtig ist ebenso, eine vorübergehende neurologische Symptomatik (transitorische ischämische Attacke) zunächst wie einen Schlaganfall einzuordnen.
Die weiteren Versorgungsabläufe orientieren sich an den in Teil 1 beschriebenen mit Basismonitoring und Diagnostik, vor allem der Vitalparameter, der Temperatur und der Messung des Blutzuckerspiegels.
Anaphylaxie
Fallbeispiel 3: In Ihrer Praxis stellt sich ein Patient mit Rückenschmerzen vor. Im Verlauf kommt es zu einer Zunahme der Beschwerden, sodass eine Infusion mit Metamizol initiiert wird. Nach Verabreichung der Hälfte der Infusion macht sich der Patient bemerkbar und äußert Atemnot, Schwindel und Kribbeln am ganzen Körper.
Die Anaphylaxie ist eine mediatorvermittelte, akute, systemische Reaktion des Immunsystems auf Zufuhr körperfremder Stoffe oder Eiweiße und kann den gesamten Organismus betreffen. Eine anaphylaktische Reaktion ist potenziell lebensbedrohlich.
Voraussetzung für eine anaphylaktische Reaktion ist die Sensibilisierung des Organismus mit dem Antigen, welches die Produktion von Antikörpern vom IgE-Typ durch Plasmazellen veranlasst. Kommt es nach dieser Sensibilisierung zu einem erneuten Antigenkontakt, reagiert das Antigen mit den spezifischen Antikörpern an basophilen Granulozyten und Mastzellen, wodurch Zytokine und Mediatoren (Histamin, Prostaglandine usw.) freigesetzt werden, welche die anaphylaktische Reaktion in Gang setzen (IgE-vermittelte Reaktion).
Effekte der Mediatorfreisetzung sind Erhöhung der Gefäßpermeabilität, Vasodilatation, Kontraktion der glatten Muskulatur (Bronchospasmus), vermehrte Chemotaxis von neutrophilen und eosinophilen Granulozyten und Erhöhung der Schleimproduktion (zum Beispiel in den Bronchien). Die häufigsten Auslöser für eine anaphylaktische Reaktion bei Erwachsenen sind Insektengifte (52 Prozent), Arzneimittel (22 Prozent) und Nahrungsmittel (16 Prozent).
Entsprechend dem klinischen Erscheinungsbild unterscheiden wir vier Schweregrade (s. Kasten S. 43). Da sich eine allergische oder anaphylaktische Reaktion von Beginn an fließend, aber auch rasch verschlechtern kann, ist eine allergische Reaktion als akuter Notfall einzustufen. Entsprechend sind Notfalltherapiemaßnahmen einzuleiten:
- nach Möglichkeit sofortiger Stopp der Zufuhr des potenziell auslösenden Agens
- Einschätzung des klinischen Zustandsbilds nach dem ABCDE-Schema und rasche Erhebung der Vitalparameter
- schnellstmöglich großvolumiger Zugang, besser zwei Zugänge.
- Volumensubstitution
- ab Grad II stationäre Aufnahme (biphasischer Verlauf)
Spezifische Notfalltherapie:
- Stadium I: Dimetinden (Fenistil) i.v. oder Clemastin (Tavegil) i.v., Urbason 125 mg i.v.
- Stadium II: + 0,5 mg Suprarenin i.m., Sultanol-Inhalation, ggf. Antiemetika
- Stadium III: + Intubation
- Stadium IV: CPR nach aktuellen Reanimationsleitlinien
Patienten mit einer anaphylaktischen Reaktion sollten im Stadium I mindestens beobachtet werden, bis sich die Erscheinungen weitgehend zurückgebildet haben; Patienten ab Stadium II sollten stationär eingewiesen werden.
Nach Restitutio ist eine allergologische Untersuchung zu veranlassen (frühestens 14 Tage nach der letzten Kortison-Gabe ist eine Allergietestung möglich). Dazu gehört bei Entlassung eine entsprechende Information des Patienten zur Expositionsprophylaxe, ein Allergieausweis oder eine entsprechende ärztliche Bescheinigung.
Für Risikogruppen (siehe Kasten unten) empfiehlt sich die Verordnung und Einweisung in den Gebrauch eines “Notfallsets”: Fenistil Tropfen 20 ml, Clemastin 0,5 Liquid 30 ml, Autoinjektor mit 300 µg – 500 µg Suprareninlösung zur Selbstinjektion je nach Körpergewicht im Fall des Verdachts auf eine erneute Antigenexposition.
Wichtiger Hinweis im Fall einer bereits bekannten allergischen Reaktion: Erst Notruf, dann Eigeninjektion!
Fazit
- Bei Herzkreislaufstillstand in der hausärztlichen Praxis sind eine frühzeitige Defibrillation und eine qualitativ hochwertige Herzdruckmassage die wichtigsten Maßnahmen, um das Patientenoutcome zu verbessern.
- Bei entsprechendem Verdacht einer Hirnischämie gilt: „Time is brain“.
- Das „A“ in Anaphylaxie steht für Adrenalin. Erwägen Sie eine frühzeitige intramuskuläre Gabe. Kardiorespiratorische Nebenwirkungen sind bei intramuskulärer Gabe nicht zu befürchten.
Die Autoren geben an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.