In Deutschland leiden derzeit etwa 1,5 Millionen Patienten an einem Ulcus cruris, etwa 1 Million an einem diabetischen Fußsyndrom (ca. 25 Prozent davon mit einer chronischen Wunde) und etwa 1,7 Millionen an Dekubitus. Chronische Wunden gehen häufig mit Komplikationen einher, beeinträchtigen die Lebensqualität, verursachen hohe Kosten im Gesundheitssystem und sind langwierig.
„Der chronische Wundpatient braucht Sie! Die Hausärzte sind unsere treuesten Verbündeten“, betonte Dr. Susanne Kopp, Chefärztin der Wundklinik des Vivantes Klinikums in Friedrichshain und 1. Vorsitzende des Wundnetzes Berlin-Brandenburg. Die Versorgung des chronischen Wundpatienten setzt ein interdisziplinäres, multimodales Konzept und eine verlässliche, kontinuierliche ärztliche Begleitung voraus, denn es geht um mehr als die Wundbehandlung selbst.
Kopp empfiehlt eine Vier-Säulen-Strategie, die neben der Wundbehandlung die vom Patienten primär geäußerten Symptome, Komorbiditäten, Risikofaktoren und individuelle, häusliche und soziale Faktoren mit in den Fokus nimmt (Abb. 1). Komorbiditäten sind dabei nicht nur Diabetes, pAVk oder chronisch venöse Insuffizienz, sondern auch Hypertonus, Immundefizienz oder onkologische Diagnosen. Außerdem müssen immer auch Differenzialdiagnosen berücksichtigt werden. Kopp nannte als Beispiele aus ihrer Praxis eine Kalziphylaxie bei Dialysepflichtigkeit, ein Basalzellkarzinom oder eine Metastase eines malignen Melanoms. Bei jungen und immunkompetenten Patienten muss man zudem auch an Artefakte durch Manipulation denken. Die Inspektion der Wunde kann darüber Aufschluss geben, z. B. durch eingebrachte Fremdkörper.
Debridement unverzichtbar
Die lokale Wundtherapie selbst muss stadien- und phasengerecht erfolgen, egal ob konservativ oder operativ. Ziele der modernen Wundbehandlung sind laut Kopp
-
überschüssiges Wundexsudat entfernen
-
feuchtes Klima im Wundbereich aufrechterhalten
-
Gasaustausch gewährleisten
-
die Wunde thermisch von der Umwelt isolieren
-
die Wunde undurchlässig für Mikroorganismen versorgen
-
kein Eintragen von Fasern oder Fremdstoffen
-
atraumatisches Entfernen des Verbandes.
Nekrosen, Zelldetritus und Fibrinbeläge müssen vor jeder weiteren Wundversorgung radikal entfernt werden. „Der Wundgrund ist sonst nicht zu beurteilen, die darunter liegende Keimlast wird nicht erreicht und exazerbiert und die Geweberegeneration ist nicht möglich“, betonte Kopp.
Methode der Wahl ist das chirurgische Debridement. Auf dieser Basis kann auch nachdebridiert werden, zum Beispiel mechanisch mit Kompressen. Hydroaktive Wundauflagen empfiehlt sie in dieser Phase nicht. Sie müssen lange angewendet werden, sind teuer und führen nicht zum gewünschten Ziel. Medizinischer Honig wirkt für den Einsatz in der Klinik zu langsam, kann aber ambulant bei schmierig belegten Ulzera gut angewendet werden. Allerdings ist der Verbandswechsel dabei häufig schmerzhaft, so Kopps Erfahrung.
Auch taschenbildende und stark exsudierende Wunden müssen zunächst radikal debridiert werden, um den Wundgrund zu erreichen, den Infekt behandeln zu können und darunterliegende Gewebe vor einer Arrosion schützen zu können. „Sie brauchen keine Angst haben“, betonte Kopp, „die Nekrosen sind abgestorben, nicht innerviert und können zumindest in der Grenzzone problemlos mit Pinzette und Schere entfernt werden.“ Autolytische, enzymatische und biologische Methoden sind möglich, dauern aber länger. Sie selbst verwendet an ihrer Klinik keine Fliegenmaden, findet sie angewendet in Gazebeuteln aber durchaus empfehlenswert. Wasserstoffperoxid ist wirksam, muss aber umgehend mit Ringer- oder isotonischer Kochsalzlösungspülung neutralisiert werden, betonte sie.
Bei Taschenbildung kommen dann Alginate oder Hydrofasern, PU-Schwämme und Superabsorber zum Einsatz, gegebenenfalls in Kombination mit antimikrobiellen Wirkstoffen wie Polyhexamid oder Silber. Kopp findet allerdings, man habe mit dem Hype um Silber etwas das Pulver verschossen und wendet Silber selbst nur in ausgewählten Indikationen an, z. B. bei multiresistenten Keimen.
Die konsolidierte Wunde braucht Ruhe
Sauber granuliertes Gewebe zeigt eine Konsolidierung der Wunde an, Wundruhe ist jetzt wichtig. Geeignet hierfür sind PU-Schaumverbände, Hydrokolloide, Hydrogelkompressen – gegebenenfalls um Hypergranulationen zu vermeiden in Kombination mit Silikondistanzgitter, die dazwischen gelegt werden. Hat sich ein zartes Epithel gebildet oder ist ein Spalthauttransplantat eingeheilt, wird die Stabilisierung fortgeführt. „Jetzt gilt: fetten, fetten, fetten!“ betonte Kopp, denn es fehlen die Talgdrüsen. Ein Folienschutz, wenn die Wunde noch vulnerabel erscheint, oder ein dünner PU-Verband unterstützten die abschließende Heilung, bei sehr vom Austrocknen bedrohter Haut auch ein dünner Hydrokolloidverband. Wichtig ist dabei die Polsterung von Knochenvorsprüngen.
4-Säulen-Strategie bei chronischen Wunden
-
- Führendes Symptom: Das führende Symptom detektieren und behandeln z. B. Wunde, Abszess, entgleister Blutzucker
-
- Komorbiditäten: Zeitnah Komorbiditäten identifizieren und behandeln
z. B. Ulcus cruris: Diagnostik mit Doppler, Phlebographie, Angiographie (mit Reeva luation), gegebenenfalls Revaskularisierung, Bypass, Venenchirurgie, Kompression, Verbesserung der zentralen Hämodynamik
z. B. Diabetisches Fußsyndrom : Blutzucker Optimierung, Ernährungsberatung/Ernährungsbegleitung, Gefäßdiagnostik, Infektbehandlung
z. B. Dekubitus : Druckentlastung, Mobilitätsförderung, Blasen /Darmhygiene, Eiweiß substitution (häufig entscheidend zur Abheilung!)
-
- Risikofaktoren: Risikofaktoren reduzieren bzw. idealerweise ausschalten z. B. Nikotinkonsum, Alkoholabusus, Adipositas, Immobilisation
-
- Individuelle Faktoren: Individuelle, häusliche und soziale Faktoren optimieren z. B. hinsichtlich Ernährung, Entlastung, Kompression
MSD-Forum in Berlin „Die Hausarztpraxis im Fokus“, Sitzung „Warum Wunden nicht heilen: Die Schlüsseltherapien zur Versorgung chronischer Wunden“.