In nicht allzu ferner Zukunft könnten Patienten nach einer Transplantation womöglich auf medikamentöse Immunsuppressiva verzichten. Nicht weniger als eine Revolution verheißen die ersten Ergebnisse, die Heidelberger Forscher Ende September auf der 10. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) in Berlin präsentiert haben.
Wenn sich ihre Erfolge aus der Phase-I-Studie in weiteren Untersuchungen bestätigen, könnte eine einmalige Gabe speziell aufbe- reiteten Spenderbluts künftig reichen, um die gefürchtete Transplantatabstoßung zu verhindern. Calcineurinhemmer und Konsorten, sowie deren unangenehme Nebenwirkungen würden dann der Vergangenheit angehören.
Laut Prof. Dr. med. Martin Zeier könnte das Verfahren sogar bei Autoimmunerkrankungen vielversprechend sein – er sprach gar von Aussicht auf “Heilung”. Der ärztliche Leiter des Nierenzentrums am Uniklinikum Heidelberg ist Mitglied der Forschergruppe, an der unter anderen auch der renommierte Immunologe Prof. Dr. med. Gerhard Opelz beteiligt ist.
Keine Organabstoßung in Phase-I-Studie
Ihr Verfahren basiert auf den sogenannten Mitomycin-C-induzierten Zellen (MIC). Aus dem peripheren Blut des Spenders gewinnen sie vor der Transplantation mononukleäre Zellen, PBMC genannt. Bis zu 109 Zellen werden den Spendern laut Zeier mittels Leukozyten-Apherese entnommen.
Diese werden anschließend mit dem Zytostatikum Mitomycin C behandelt. Durch diese Tortur regulieren auf diesen Zellen immunstimulatorische Oberflächenmoleküle wie CD80 oder HLA-DR herunter, während immunsuppressive Gene aktiviert werden.
Sieben Tage vor der Transplantation erhält der Organempfänger die Zellen per Infusion. Dort inaktivieren sie alloreaktive T-Zellen des Empfängers. Die apoptotischen MIC werden außerdem von unreifen dendritischen Zellen aufgenommen, was sie dran hindert, die Immunabwehr gegen die fremden Zellen zu aktivieren.[1] Der Empfängerorganismus soll sich somit an das Spendergewebe “gewöhnen”.
Für ihre einarmige Open-Label-Studie der Phase I, “TOL-1”, hatten die Heidelberger Nephrologen und Immunologen auf diese Weise insgesamt 14 Empfänger vor einer Lebendnierenspende konditioniert.[2] Laut Zeier habe man bei den Patienten “bislang keine einzige Abstoßungsreaktion gesehen” – selbst bei jenen nicht, die nach der Transplantation keine medikamentöse Immunsuppression mehr erhielten.
Allerdings sah das Protokoll dieser ersten klnischen Studie nur eine 30-tägige Beobachtung vor. Details sollen in den kommenden Monaten publiziert werden. Damit aus dem ersten, freilich vielversprechenden Versuch eine wahrhafte Revolution wird, müssen die Forscher die Wirkung über längere Zeit beobachten.
Womöglich besseres Langzeitüberleben
Der Vorteil des Konzepts liegt dennoch auf der Hand: Ließe sich auf die Gabe von Immunsuppressiva wie Ciclosporin, Tacrolimus, Basiliximab und andere verzichten, würde das Nebenwirkungspotenzial drastisch sinken. Zu denen gehören bekanntlich Malignome und Infektionen, aber auch Atherosklerose oder Diabetes mellitus mit den üblichen Langzeitfolgen. Und ließe sich das Immunsystem des Transplantatempfängers durch die Methode der Heidelberger langfristig konditionieren, könnte dies auch das Langzeitüberleben des Organs verbessern.
Denn rund jede dritte transplantierte Niere gibt bereits nach rund zehn Jahren im Empfänger ihre Funktion auf, wie Anfang des Jahres Forscher aus den USA, Großbritannien, Australien und Neuseeland gezeigt haben.[3]
Das bestätigt auch eine im Sommer publizierte Analyse europäischer Daten aus der großen Collaborative Transplant Study (CTS): Zwar hat sich in den vergangenen 30 Jahren wegen einer verbesserten Empfängerauswahl das Transplantatüberleben bei der postmortalen Nierenspende verbessert. Doch noch immer gibt zehn Jahre nach der Transplantation rund jedes vierte Organ seine Funktion auf.[4] Noch schlechter sieht es bei anderen transplantierten Organen aus, etwa bei Lebern, deren Zehn-Jahres-Überleben europaweit “nur” bei knapp über 50 Prozent liegt.[5]
Die Heidelberger jedenfalls glauben an ihr Konzept: Bereits 2011 haben sie dafür in den USA ein Patent angemeldet.[6] Für die Entwicklung des Verfahrens haben sie außerdem das Start-up TolerogenixX[7] gegründet, das vom Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) über das Exist-Programm[8] gefördert wurde.
Das Verfahren der Heidelberger geht auf langjährige Versuche zurück, in denen sie zunächst direkt dendritische Zellen mit Mitomycin C behandelt hatten. Schon damals konnten sie im Tierversuch Transplantatrejektionen unterdrücken. Sie konnten bei Mäusen sogar zeigen, dass sie mit solcherlei “suppressiven dendritischen Zellen” den Ausbruch einer experimentellen autoimmunen Enzephalomyelitis (EAE) stoppen können – ein erstes Indiz, dass eine solche Therapie auch bei Autoimmunerkrankungen wirksam sein könnte.[9] Die EAE dient in der Forschung als Modell für die Multiple Sklerose.
Literatur
- Pediatr Nephrol 2018; 33(2): 199–213. doi: 10.1007/s00467-017-3599-2
- ClinicalTrials.gov, Nummer NCT02560220
- Am J Transplant 2018; 18: 1914–1923. doi: 10.1111/ajt.14694
- Kidney Int 2018; Article In Press. doi: 10.1016/j.kint.2018.05.018
- J Hepatol 2012; 57(2): 288–296. doi: 10.1016/j.jhep.2012.03.017
- US-Patent Nummer US 2011/0223145 A1
- www.tolerogenixx.com
- www.exist.de
- PNAS 2018; 105(47): 18442-18447. doi: 10.1073/pnas.0807185105
Interessenkonflikt: Der Autor dieses Berichts hat für die Berichterstattung vom Kongress Nephrologie 2018 einen Reisekostenzuschuss der DGfN erhalten.