Immer noch mehr Informationen durch Messwerte, Bildgebung und Algorithmen machen die medizinische Heilkunst nicht unbedingt besser, glaubt Priv.-Doz. Dr. Volker Busch, Regensburg. „Daten können toxisch sein“, zeigte er am Beispiel der Kernspintomografie bei Rückenschmerz: Im Experiment stellten sich 98 Probanden mit vorgetäuschtem Rückenschmerz ärztlich vor. 68 Prozent bekamen nach der MRT die Diagnose eines Bandscheibenvorfalls mit der Empfehlung zur Operation [1]. „Wenn wir Daten produzieren, heißt das noch nicht, dass wir die richtigen Entscheidungen treffen!“, betont Busch.
Bauchgefühl entsteht auch im Gehirn
Mit der Komplexität der Welt kommt die Intuition besser zurecht. Das Bauchgefühl kann weiterhelfen, weil es Ausdruck verarbeiteten Erfahrungswissens ist. Somatische Veränderungen von Hautfeuchte, Herzaktionen, Peristaltik, Atmung oder Muskelspannung entstehen nicht aus dem Nichts. Ihnen gehen zentrale Aktivierungen der Gedächtnisstrukturen voraus – Busch spricht von einer inneren Bibliothek der Erfahrungen – die über efferente Signale Veränderungen autonomer Funktionen erzeugen. Diese werden an das Gehirn zurückgemeldet und erzeugen über die Verarbeitung in der Insula das ‚Bauchgefühl‘. „In 70 bis 80 Prozent der Fälle stimmt unsere Intuition“, sagte Busch. Weil Intuition auf Erfahrung beruht, verlässt man sich allerdings umso mehr auf Daten, je unerfahrener man ist. Bei neuartigen, erstmals erlebten Situationen versagt das Bauchgefühl ebenso wie bei starker emotionaler Beteiligung. Zudem können Vereinfachungsdenken und Stereotypen der Intuition im Wege stehen.
Revolution als Training
Wenn das Bauchgefühl ein Echo bereits gemachten Erfahrungen ist, sollte man zum Training immer wieder neue Erfahrungen machen. Busch empfahl einen gelegentlichen „Revolutionstag“, an dem man bewusst alles anders macht als sonst. Spät aufstehen, Kaffee statt Tee trinken, statt mit dem Auto mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren – solche einfachen Dinge können die Routine durchbrechen und neue Erfahrungen ermöglichen. Auch im Alltag sind ohne Patientengefährdung 10 Prozent Anarchie möglich, ist Busch überzeugt. Fehler sind möglich, gibt er zu, verweist aber auf das gut funktionierende Fehlererkennungssystem im anterioren Cingulum, das Realität und Intuition vergleicht und potenzielle Irrtümer signalisiert.
Regelmäßige Reevaluation
Zudem empfahl er eine abendliche Rückbesinnung auf gemachte Erfahrungen. Als Leitfragen empfiehlt Busch: Was kenne ich aus der Vergangenheit? Was habe ich hieraus abgeleitet? Was ist tatsächlich passiert? War das Ergebnis wie erwartet? „Wenn ja, bestätigen Sie den Zusammenhang und verankern Sie ihn im Gedächtnis“, riet Busch, „wenn nein: Hinterfragen Sie Ihre Hypothese und stellen sie ggf. eine neue Vermutung an.“
Vortrag: „Kopf oder Bauch – wie der Mensch entscheidet“. 4. Forum „Die Hausarztpraxis im Fokus“. Berlin, 12. März 2016; Literatur: [1] Jensen MC et al. N Engl J Med. 1994; 331(2): 69-73.