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Hausarzt MedizinSucht denkt nur bis jetzt

Suchterkrankungen sind behandlungsbedürftige Erkrankungen. Als Hausarzt haben Sie die besondere Chance, die Patienten auf mögliche Süchte anzusprechen und sie zum Entzug zu motivieren.

In Deutschland gibt es ca. 9,3 Millionen Menschen mit riskantem Alkoholkonsum, darunter 2,7 Millionen mit Alkoholmissbrauch und 1,7 Millionen Alkoholabhängige. Ca. 1,4 Millionen Menschen leiden an einer Medikamentenabhängigkeit und 15.0000 sind abhängig von harten Drogen. Ein Drittel der Bevölkerung ist zu den ständigen Rauchern zu zählen.

Zu den nicht stoffgebundenen Süchten bzw. Impulskontrollstörungen zählen Glückspielsucht, wovon etwa 245.000 Menschen betroffen sind, darüber hinaus Essstörungen wie Anorexie, Bulimie und Binge Eating Disorder, Kaufsucht (1 Prozent der Bevölkerung) und Sexsucht. Mediensucht ist bisher noch nicht offiziell als psychische Erkrankung anerkannt, wird aber nicht nur von vielen besorgten Eltern als großes Problem gesehen.

Therapieziele

Suchterkrankungen sind behandlungsbedürftige chronische Erkrankungen. Oberste Ziele bei der Behandlung von Suchterkrankungen sind im optimalen Fall Suchtfreiheit, aber auch soziale und berufliche Rehabilitation sowie vor allem auch die Klärung der zugrunde liegenden Problematiken. Die Ziele können aber auch niedriger angesetzt werden, wie beispielsweise einen Umgang mit dem Suchtverhalten zu erlangen, so dass dieses den Alltag nicht wesentlich beeinträchtigt oder sich die organischen Folgeschäden minimieren.

Ein großer Teil der an einem Suchtverhalten erkrankten Menschen hat aufgrund anderer Erkrankungen oder aufgrund der Folgeerkrankungen (somatisch, psychisch, sozial) regelmäßig Arztkontakte oder ist in ärztlicher Behandlung. Hier liegt ein großes Potenzial für die Früherkennung und die Ansprache des Patienten sowie für das gemeinsame Erstellen von Behandlungskonzepten, die auf das jeweilige individuelle Problem zugeschnitten sind.

Patienten ansprechen

Wie schwierig es oft ist, diese Patientengruppen mit dem Thema „Sucht“ zu konfrontieren und mit ihnen darüber ehrlich ins Gespräch zu kommen, geschweige denn einen gemeinsamen Konsens und eine ernste Motivation zur Veränderung beim Gegenüber zu erlangen, erfahren Sie täglich in der Praxis. Diese Patienten sprechen meistens nicht so einfach und detailliert über ihre Problematiken wie beispielsweise Patienten mit Schmerzen, die einen hohen Leidensdruck haben, diesen auch eher zeigen und verbalisieren. Es gehört quasi zum Krankheitsbild dazu, dass die Betroffenen ihr Problem oft selber nicht für sich erkennen, dieses verleugnen oder bagatellisieren, sich selber und den anderen betrügen oder es aus Scham, Versagensgefühlen und aus Angst vor der Bewertung des Gegenübers verheimlichen.

Mit diesem Wissen ist es also von ärztlicher Seite oft dringend notwendig, das Gespräch darüber selber zu eröffnen, danach zu fragen und zwar so, dass die Betroffenen auch antworten können, also ernsthaft, vorurteilsfrei, empathisch, das Suchtverhalten als schwere chronische Erkrankungen sehend.

Ziel ist auch, Aufklärungsarbeit zu leisten und zwar nicht in belehrender Form oder im argumentativen Schlagabtausch, sondern auf fürsorgliche, ärztliche Weise. Dazu gehören ausführliche Informationen über die jeweiligen Erkrankungen mit den somatischen, psychischen und sozialen Folgeerscheinungen sowie die möglichen Behandlungsformen und bestenfalls das Erstellen eines gemeinsamen Konzepts mit Zuhilfenahme anderer professioneller Kollegen und Einrichtungen.

Das gelingt sicherlich nicht in ein paar Minuten, aber vielleicht in einem extra dafür vereinbarten Termin. Natürlich führt dies nicht immer zur Compliance des Patienten und damit zum gewünschten Erfolg. Aber auch das gehört zu den Suchterkrankungen, nämlich die patientenseitige Ambivalenz bezüglich des Konsums und der Abstinenz. Das liegt an den vielen von den Betroffenen erlebten Vorteilen der Sucht im Moment des Suchtdrucks, woraus sich die Abhängigkeit entwickelt. Kurz gesagt, jede Art von Spannung, Beunruhigung, Negativgefühl wird sofort gedämpft, betäubt, vernebelt. Damit entsteht eine scheinbare Befriedigung oder eine Egal-Haltung. Das Suchtmittel ist wie ein Joker, der sofort wirkt und die Zukunft und damit die Negativfolgen nicht mit einbezieht. „Sucht denkt nur bis jetzt.“

Abhängigkeit

Was bedeutet der Suchtaspekt dieser Erkrankungen? Im allgemeinen Sprachgebrauch verbirgt sich dahinter, dass der Süchtige sein Verhalten nicht kontrollieren kann, sein Leben sich um das Suchtmittel zentriert, die Befriedigung nur kurzfristig anhält, die Dosis daher gesteigert werden muss, ein unwiderstehliches Verlangen nach dem Suchtmittel besteht, das zum Wiederholungszwang führt, der Süchtige sich und andere betrügt und es auch zu Beschaffungskriminalität führen kann. Sucht ist allerdings immer individuell und dynamisch im Verlauf, so dass detailliert darüber gesprochen werden muss. Medizinisch spricht man vor allem bei den stoffgebundenen Süchten eher von einem Abhängigkeitssyndrom (Tab. 1).

Motivation

Es stellt sich die Frage, wie man als Arzt die Motivation der Betroffenen erkennen, bewerten und verstärken könnte, damit sich der Wunsch nach Abstinenz und Veränderung durchsetzt und die Erkrankten den Mut aufbringen können, sich trotz Entzugssymp­tomatik und Ängsten gegen das süchtige Verhalten zu entscheiden.

Prochaska beschreibt verschiedene Phasen des Motivationszyklus (Tab. 2): Zunächst ge­be es die Absichtslosigkeit, ohne Motiva­ tion irgendetwas ändern zu wollen. Dann könne es zur Absichtsbildung kommen, was eine gewisse Einsichtsfähigkeit und Ver­änderungswünsche beinhalten würde, die letztlich in eine Entscheidung, die Sucht aufzugeben münden kann. Es käme so zur Handlung, zum Entzug, der in der nächsten Phase aufrecht erhalten werden sollte. Gebe es einen Rückfall, könne dieser zur Phase der Absichtslosigkeit führen oder aber erneut zur Absichtsbildung etc.

Rückfälle

Hier taucht das Wort „Rückfall“ auf, das im Allgemeinen leider oft eher mit Scheitern und Versagen assoziiert wird. Wichtig ist, zu akzeptieren, dass Rückfälle zur Suchterkrankung dazu gehören. Ein Rückfall bedeutet nicht, dass der Betroffene nicht motiviert ist, abstinent zu werden. Im Positiven gesehen helfen Rückfälle sogar dem Betroffenen an­zuerkennen, dass er eine Suchterkrankung hat und steigern das Bewusstsein für rückfallgefährdete Situationen.

Rückfällig werden hat mit rückfällig bleiben nichts zu tun. Es gibt viele Gründe für Rückfälle, die sich individuell sehr unter­scheiden. Selbstüberschätzung, niedrige Frustrationstoleranz, wenig Krankheitsakzeptanz, Ängste, Verletzungen, Über­, Unter­ forderung, Rache, Kränkung und Langeweile wären hier generell zu nennen. Oft wirken die Betroffenen völlig unmoti­viert, weil so viele Abstinenzversuche für sie selber schon gescheitert sind, sie sich als die absoluten Versager fühlen und sich sowieso perspektivisch nichts mehr zutrauen.

Verhaltensänderung anstoßen

Um mit den Patienten ins Gespräch zu kom­men, kann es sinnvoll sein, diese erstens zu fragen, ob sie darüber gerne sprechen wol­len, und zweitens, wie ihre eigene Selbstein­schätzung bezüglich des Suchtverhaltens ist und warum diese so ist wie sie ist. Auch fol­gende Fragen können hilfreich sein:

  • Wie wichtig wäre es Ihnen (auf einer Skala von 1 und 10), weniger zu konsumieren, seltener zu erbrechen etc.? Warum nicht weniger?

  • Wie zuversichtlich sind Sie (auf einer Ska­la von 1 und 10), weniger zu konsumieren, zu erbrechen etc., wenn Sie sich jetzt dazu entscheiden könnten? Warum?

  • Gab es suchtfreie Zeiten? Wann? Wie lange hielten diese an? Was führte zu den Rückfällen?

  • Möchten Sie verstehen, wa­ rum Sie sich so verhalten?

Das Wichtigste ist insgesamt, dass Sie als Arzt Ihren Patien­ten zutrauen, etwas zu verändern. Diese haben ohnehin ein fundamental fragiles Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, so dass sie sich selber häufig als Versager erleben. Wichtig ist auch, dass die Betroffenen ein oder mehrere für sie entscheidende Motive (Job, Beziehung, Kinder etc.) erkennen und benennen können, weshalb es sich für sie lohnen würde, ihr Verhalten zu ändern. Sollte es jemals suchtfreie Phasen gegeben haben, steht es dafür, dass die Betroffenen ohne das kranke Verhalten leben können. Sie können es!

Fazit

  • Suchterkrankungen sind ernstzunehmende, schwere Erkrankungen, die behandlungsbedürftig sind.

  • Nach stoffgebundenen und nicht stoffgebundenen Süchten sollte detailliert gefragt werden.

  • Die Ambivalenz bezüglich einer Veränderung und Rückfälle gehören zur Suchterkrankung.

  • Die Selbsteinschätzung der Betroffenen und deren Motive, suchtfrei leben zu wollen, sollten herausgearbeitet werden.

  • Hilfreich ist es, ein gemeinsames Konzept zu entwickeln und dem Betroffenen Erfolg zuzutrauen.

Tab. 1: Abhängigkeit

  • Starker Wunsch zu konsumieren

  • Mehr/länger als beabsichtigt

  • Konsum mildert Entzugssymptome

  • Körperliches Entzugssyndrom

  • Toleranzentwicklung

  • Unübliche Konsummuster

  • Vernachlässigung anderer Aktivitäten

  • Konsum trotz gesundheitlicher Folgen

Tab. 2: Motivationsspirale (nach Prochaska)

  • Absichtslosigkeit

  • Absichtsbildung

  • Entscheidung

  • Aufrechthaltung

  • Rückfall

  • Absichtslosigkeit oder Absichtsbildung oder Entscheidung…

Tab. 3: Rückfälle

  • Rückfälle gehören zur Suchterkrankung.

  • Rückfälle steigern die Einsicht, an einer Suchterkrankung zu leiden.

  • Rückfälle sind kein beweisendes Kriterium für mangelnde Motivation.

  • Rückfälle steigern das Bewusstwerden von auslösenden Situationen.

  • Rückfällig werden ist eines, rückfällig bleiben etwas anderes.

Literatur bei der Verfasserin; Interessenkonflikte: keine

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