Hausarzt MedizinSchlechte Wundheilung bei Diabetikern – was tun?

Leider spielen sich noch immer tragische Schicksale um vernachlässigte Fußwunden ab, weil Patienten und Ärzten die Besonderheiten bei der Entwicklung von Komplikationen nicht ausreichend bewusst sind: Schneller, heftiger und gefährlicher können Entzündungen an den Füßen von Diabetikern verlaufen – besonders wenn sich Unempfindlichkeit der Haut durch eine Nervenstörung oder gar eine Durchblutungsstörung hinzugesellen.

Ein wichtiger Baustein beim so genannten diabetischen Fußsyndrom ist die diabetische Neuropathie – bedingt durch chronisch erhöhte Blutzuckerspiegel oder eine gleichzeitig bestehende Empfindlichkeit des Körpers. Besonders chronisch erhöhte Blutzuckerwerte über 160 mg/dl vermindern zudem die mikrobielle Abwehr des Körpers. Konkret heißt das, dass ein Stich in einen Fuß nur als Berührung oder gar nicht als Information an den Kopf weitergeleitet wird. Später kommen meist noch eine Unempfindlichkeit gegenüber Wärme, Schmerz und Kälte (Alarmfunktion fehlt!), trockene, rissige Haut und die Neigung zu Hornhautbildung und Druckstellen an den Fußsohlen hinzu. Eintrittspforten für Bakterien und Pilze! Verletzungen an nervengeschädigten Füßen werden zu spät oder gar nicht bemerkt. Und so unterbleibt die wichtige Schonung.

Wenn die diabetische Nervenschädigung das normale Funktionieren und die Belastungsfähigkeit des Fußes stark eingeschränkt hat, dann spricht man vom diabetischen Fuß. Die Empfindlichkeit für Druck, Schmerz, Temperatur und Berührung ist dann stark herabgesetzt oder erloschen. Der Fuß kann nicht mehr durch Schmerzen auf seine Nöte aufmerksam machen – er verschwindet manchmal durch sein „Schweigen“ aus dem Bewusstsein des betroffenen Menschen als so genannter Neglect. Nicht selten gesellt sich auch ­eine meist schmerzlose Durchblutungsstörung erschwerend hinzu. Durch intensive Betreuung und Fürsorge kann jedoch die Funktion des Fußes erhalten werden.

Auch das Risiko einer Amputation ließ sich durch die Einrichtung von spezialisierten Fußambulanzen und Krankenhausabteilungen sowie durch Schulungen der Patienten reduzieren.

Jeder Diabetiker sollte folgende Grundregel kennen: Wenn der behandelnde Arzt innerhalb von vier Wochen keine wesentliche Verbesserung einer Fußwunde erzielt hat, sollte er zu einer Diabetesschwerpunktpraxis mit Fußambulanz überweisen. Manchmal hilft schon eine Zweitmeinung, um die Therapie zu verbessern. Zahlreiche Diabetesschwerpunktpraxen verfügen über eine Fußambulanz, in der der Diabetologe die notwendigen diagnostischen und personellen Möglichkeiten vorhält: Wundmanager versorgen die Wunde, Diabetesberaterinnen informieren und schulen gefährdete Patienten und Podologen sorgen später für ordnungsgemäße schädigungsfreie Fußpflege. Unter Umständen wird die Anpassung einer individuellen Schuhversorgung in Zusammenarbeit mit Schuhorthopädietechnikern notwendig – wenn es sein muss sogar mit Maßschuhen. All dies sind Kassenleistungen.

Bei einem Fußulcus oder einer Wunde ist Eile geboten. Die Grundprinzipien der Wundbehandlung bei Diabetiker sind einfach, allerdings liegt der Teufel im Detail: Wundreinigung, Entlastung des Fußes und eine geeignete Wundbehandlung müssen sofort eingeleitet werden. Dort wird die Wunde mit stadiengerechten Verbänden, gegebenenfalls mit einem Antibiotikum und sofortiger Schonung versorgt. Nicht zuletzt muss immer der angiologische Status im Blick behalten werden. Gerade Fersenulcera nähren den Verdacht, dass gleichzeitig eine Durchblutungsstörung besteht. Fußpulse und eine Doppleruntersuchung sind Standard. Besonders bei schlecht heilenden Wunden und entsprechendem Gefäßrisiko sollte auch eine angiologische Abklärung erfolgen. Schlechte Durchblutung ist eine häufige Ursache für schleppende Verläufe.

Ohne Schonung keine Heilung!

Die Wundreinigung muss sorgfältig erfolgen. Abgestorbene Haut und Hautlappen müssen per Skalpell komplett entfernt werden, damit sie kein Substrat für Bakterien bilden. Der Wundgrund sollte rasch hellrosa bis rötlich werden. Die Wahl der Wundauflage ist damit sekundär. Wichtig ist vielmehr, dass die Wundverhältnisse sauber sind und bakterielles Wachstum gestoppt wird, so dass neues Gewebe wachsen kann. Aber alle Mühe ist umsonst, wenn die Patienten auf Grund mangelnder Einsicht oder mangelnden Gefühls ihre Wunde mit dem Körpergewicht belasten. Den Patienten muss klar gemacht werden, dass sie neues Gewebe förmlich zerquetschen und die Wundheilung stoppen. Ohne Schonung keine Heilung! Und jede Verschlechterung muss dem behandelnden Arzt innerhalb von 24 Stunden gemeldet werden. Nicht umsonst gilt unter Fachleuten bei Fußwunden von Diabetikern der Leitsatz „Zeit ist Fuß!“ – was heißen soll, dass jede Verzögerung einer fachgerechten Versorgung die Amputationsgefahr erhöhen kann. Innerhalb von 24 Stunden kann sich eine harmlose Wunde in eine gefährliche, nicht mehr beherrschbare Vereiterung verwandeln. Die letzte Rettung ist dann eine möglichst geringe Amputation der betroffenen Bereiche.

Damit dieses Schicksal so selten wie ­möglich eintritt wurde von der Deutschen ­Diabetes Gesellschaft das Qualitätssiegel „Fußbehandlungseinrichtung DD“ entworfen. Diese Auszeichnung erhalten nur Diabetesschwerpunkteinrichtungen, die sich besonderen Anforderungen und Kontrollen ­unterwerfen. Neben der räumlichen Ausstattung, zu der ein Wundraum, Behandlungsstühle und entsprechendes Verbands- und Wundmaterial gehört, muss auch die personelle Situation angepasst sein: Ein Wundmanager mit besonderem Fachwissen zur Therapie von chronischen Wunden bei Diabetischen Fußsyndrom ist ein Muss, ohne ihn, gibt es kein Siegel von der DDG. Außerdem muss die Fußambulanz nachweisen, dass sie mit anderen Fachleuten eng kooperiert. Dazu gehören Schuhorthopädietechniker, Podologen, also besondere Fußpfleger für den Diabetischen Fuß, Diabetologen, Chirurgen, Orthopäden, Gefäßchirurgen, Röntgenärzte, Gefäßspezialisten und Mikrobiologen. Die letztgenannten sind eine wichtige Hilfe bei der Ermittlung des verursachenden Erregers in der Wunde. Denn die richtige Wahl des Antibiotikums kann „fußrettend“ sein.

Dass soviel Aufwand sich lohnt, zeigen die Ergebnisse alljährlich wieder: Patienten, die ihre Fußwunden in einer spezialisierten Fußambulanz behandeln lassen, sind schneller wieder gesund, leiden seltener unter einem Rückfall und haben seltener Amputationen über sich ergehen lassen müssen.

Nach dem Ulcus ist vor dem Ulcus: ­Dieser Grundsatz beleuchtet die Sekundärprävention. Ursachen, wie Fußfehlstellungen, schlecht passende Schuhe, Deformierungen der Zehen, fehlende ­Diabetesschutzschuhe, schlechte Fußpflege oder Schwielenbildung, die das darunterliegende Gewebe zerquetschen, müssen durch podologische Pflege, Schuhverordnung und Verhaltenstraining beseitigt werden. Außerdem sollte die Ernährung des Patienten kritisch beleuchtet werden: Eiweiß-, Vitamin- oder Zinkmangel verschlechtern die Wundheilung erheblich.

Hohe wirtschaftliche Bedeutung

Während die medizinische Notwendigkeit und die Erfolge der Fußambulanzen unbestritten sind, hapert es noch ganz ­erheblich an der ökonomischen Grundlage und der Anerkennung durch die Krankenkassen. ­Dabei ist die Förderung dieser Einrichtungen durch die Kostenträger essenziell – nicht nur für die Erhaltung sondern auch für die Verbreitung dieser Versorgungseinrichtung. In den Regionen, in denen IV-Verträge existieren, gibt es auch deutlich mehr Fußambulanzen. Dabei zeigen erste Ergebnisse aus der Evaluation des AOK IV-Vertrages, dass die Kasse pro eingeschriebenem Patienten 650 Euro Behandlungskosten spart. Die wirtschaftliche Bedeutung des diabetischen Fußsyndroms ist enorm: Fußprobleme sind der häufigste Grund für eine Klinikeinweisung von Diabetikern. Außerdem ließen sich bei rechtzeitigem Behandlungsbeginn bis zu 85 Prozent der Amputationen einsparen.

Aufgrund der schlechten Erlössituation vermeiden jedoch die meisten Einrichtungen in Klinik oder Praxis aus wirtschaftlichen Gründen die Werbung für Ihre Leistungen. Nicht wenige Diabetes Schwerpunktpraxen verzichten gleich ganz auf eine Fußambulanz. Denn die Einhaltung der Qualitätsstandards kosten Geld: Wundmanagerin, Weiterbildung des Arztes, Behandlungsraum, Fußstuhl, Doppler, usw.. Zusätzlich steht die Rezertifizierung alle drei Jahre an.

Aufgrund der zumeist akut auftretenden Fußwunden ist zudem nur eine geringe Planbarkeit gegeben. Fußpatienten kommen häufig als schlecht planbare Notfälle. Die Praxis muss Personal und Räume vorhalten, ohne eine ausreichende Auslastung erreichen zu können. Das reduziert die Rentabilität zusätzlich. Zudem besteht das Risiko des Regresses. Wundauflagen sind kostspielig und dürfen nicht zulasten des Sprechstundenbedarfs gehen. Somit ist eine ­spezielle Logistik für die Versorgung der Patienten notwendig. Die enge Kooperation mit Angiologen, Gefäßchirurgen, Chirurgen, Hausärzten, Pflegediensten und Kliniken sind ebenso notwendig wie aufwendige Fortbildungen und die Teilnahme an Qualitätszirkeln. Dieses erfordert ebenfalls ausreichend Zeit, die nicht gesondert vergütet wird. Auch psychosoziale Aspekte dürfen im Betrieb einer Fußambulanz nicht vergessen werden.

Fußwunden – besonders solche mit Geruchsentwicklung und schweren Entzündungen – können vereinzelt beim Praxispersonal aber auch Mitpatienten Aversion und Ekel verursachen. Patienten mit Fußverbänden oder gar Amputationen im Wartezimmer schrecken andere Diabetiker ab oder verursachen bei Ihnen Ängste. Überdies ist die Rate des komplizierten diabetischen Fußsyndroms überproportional mit geringem sozialen Status und mangelnder Körperpflege verbunden. Privatpatienten sind unter Diabetikern ohnehin schon selten, aber in dieser Patientengruppe geradezu rar.

Literatur beim Autor.

Mögliche Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.

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