Steigende Erderwärmung, steigende Patientenzahl? "Der Hausarzt" fasst zusammen, was Ärzte ihren Patienten jetzt raten sollten. Inklusive Patienteninfo zum Download.
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. 740 Menschen hat der heiße Sommer 2018 in Hessen das Leben gekostet, in Berlin waren es 490. Zum Vergleich: In durchschnittlich warmen Sommern sind es nach groben Schätzungen für ein Bundesland der Größe Hessens um die 100.
Mit seiner jüngst veröffentlichten Modellrechnung hat das Robert Koch Institut (RKI) das oft als abstrakt wahrgenommene Phänomen des Klimawandels greifbar gemacht (Epidemiologisches Bulletin 23/2019). Einen „signifikanten Einfluss von Hitze auf die Mortalität“ haben die Autoren darin beobachtet: In den Hitzejahren 2003, 2015 und 2018 starben nach RKI-Modell 780, 550 und 740 Menschen in Hessen an der Hitze. In Baden-Württemberg waren es allein während der relativ kurzen Hitzewelle 2015 laut Landesgesundheitsamt 2.000 zusätzliche Todesfälle.
Auch wenn ein deutschlandweites Monitoring fehlt: Das Bewusstsein für die Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit wächst nicht zuletzt vor dem Hintergrund dieser Zahlen. Der Deutsche Hausärzteverband hat sich in einer Resolution zu dringend nötigen Klimaanpassungsstrategien bekannt. Der Deutsche Ärztetag beschloss im Mai – gestartet unter Protesten für mehr ärztlichen Klimaschutz –, sich im kommenden Jahr dem Klimawandel als Schwerpunkt zu widmen. Im Juni gab die Berliner Charité bekannt, die bundesweit erste Professur einzurichten, die sich mit möglichen Folgen der Klimaerwärmung für die Gesundheit beschäftigt. Und auch viele Landeshausärzteverbände nehmen sich dem Thema an: So stellt beispielsweise Nordrhein seinen Mitgliedern eine Patienteninfo zur Verfügung und informiert regelmäßig in Qualitätszirkeln. Für die practica Ende Oktober in Bad Orb sind entsprechende Fortbildungen in Planung.
Denn: Das RKI legt nicht nur Zahlen dar, sondern mahnt auch Handlungsbedarf an. „Da (…) das Ausmaß der Hitzewellen kaum abnehmen wird, erwarten wir einen weiteren Anstieg der Anzahl hitzebedingter Sterbefälle“, schreiben die Autoren. Einziges mögliches Gegenmittel sei die „noch konse- quentere“ Umsetzung geeigneter Präventionsmaßnahmen. Hausärzte können sich dabei als Schlüsselfiguren positionieren.
Ebene 1: Die eigene Praxis
Hierzu zählt das Anpassen von Praxisabläufen, etwa das Verlegen der Sprechstunde in die frühen Morgenstunden während akuter Hitzephasen. Oft seien es darüber hinaus kleine Kniffe wie das Aufstellen eines Trinkbrunnens in der Praxis, erklärt Klimawandel-Aktivist Dr. Ralph Krolewski, aktiv im Hausärzteverband Nordrhein. „Eine Praxis wird dank solcher Maßnahmen auch als besonders fürsorglich wahrgenommen.“
Der erste Schritt ist aus seiner Sicht jedoch das Anschließen an ein Frühwarnsystem eines meteorologischen Dienstes. Dieser könne helfen, extreme Hitzetage bereits im Vorfeld zu identifizieren und die Praxis entsprechend vorzubereiten. So könnten die Medizinischen Fachangestellten (MFA) proaktiv Informationen an Patienten verteilen, vulnerable Gruppen beobachten – und im Extremfall sogar per Telefonat den Zustand erfragen.
Dr. Oliver Funken, Vorsitzender des Hausärzteverbands Nordrhein, verweist darüber hinaus auf Schulungen für das Praxisteam. Gerade bei der Aufklärung von Risikopatienten (s. Ebene 2) können Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine Schlüsselrolle spielen.
Ebene 2: Patienten aufklären
„Ärzte, insbesondere Hausärzte, sollten ihre Patienten und deren Angehörige aufklären“, erklärt Funken das A und O der Hitze-Kommunikation. Eine Hilfe kann eine vorbereitete Patienteninfo sein (S. 19), die das Praxisteam in Hitzezeiten proaktiv austeilt.
Besonderes Augenmerk sollte auf vulnerablen Gruppen liegen. Laut RKI sind das:
ältere Menschen
isoliert lebende Menschen
pflegebedürftige Menschen
Menschen mit starkem Übergewicht
Menschen mit chronischen Erkrankungen
Menschen mit fieberhaften Erkrankungen
Menschen mit Demenz
Menschen, die Probleme bei der thermophysiologischen Anpassung haben
Säuglinge und KleinkinderFunken rät darüber hinaus, in Seniorenheimen zusätzliche Kühlungsmöglichkeiten anzusprechen. „Jede Exsikkose bedeutet eine potenzielle Krankenhauseinweisung“, erinnert Funken. „Hier sollten subkutane Infusionen in den Heimen besprochen werden.“ Er selber thematisiere dies etwa auch in den Gremien der Kommunalpolitik.
Ebene 3: Forderungen an die Politik
Die Gesundheitsversorgung in Deutschland ist bislang noch nicht auf die Folgen des Klimawandels eingestellt. Zwar finanziere das Bundesumweltministerium seit Kurzem Klimaschutzmanager für Krankenhäuser, entsprechende Baumaßnahmen etwa bedürften aber ebenfalls einer Förderung, so Krolewski. Für niedergelassene Ärzte fehlten entsprechende Richtlinien oder Hilfen noch gänzlich. „Der ärztliche Bereitschaftsdienst wird überfordert sein, wenn die KV nicht gesonderte Hitzedienste im Bereitschaftsdienst einrichtet“, mahnt Funken.
Laut Krolewski sollte darüber hinaus das Vorhalten von Zufluchtsorten auf die Agenda: In Paris seien 1.200 Orte – etwa Tiefgaragen – ausgewiesen, die bei Hitze Schutz bieten. Die Bundesregierung hingegen setzt in Sachen Klimaschutz bislang vor allem auf Freiwilligkeit und „Mäßigkeit“, CDU-Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer räumte jüngst gar Versäumnisse ein. Nicht zuletzt die Wahlerfolge der Grünen können aber als Ausdruck gewertet werden, dass der Klimaschutz von großen Teilen der Bevölkerung als dringlicher wahrgenommen wird.
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