Todeswünsche am Lebensende sind ein häufig anzutreffendes Phänomen. Denn viele Betroffene stellen sich in dieser Phase die Frage nach dem richtigen oder rechtzeitigen Zeitpunkt des Versterbens als Ausdruck eines guten, zumindest aber erträglichen Todes.
Aus diesen Überlegungen resultieren Todeswünsche, die sie im Gespräch mit der Familie, begleitenden Pflegenden oder behandelnden Ärzten oft auch appellativ thematisieren. Daher ist es für alle Begleitenden und Behandelnden wichtig, mit Todeswünschen angemessen umgehen zu können. Vor allem Hausärzte werden als enge und oft langjährige Begleiter häufig ins Vertrauen gezogen.
Gesprächseinladung annehmen
Todeswünsche sind niemals als direkte Aufforderung zum Handeln zu verstehen. Sie sind zunächst immer Auftrag zur Erörterung und können als Einladung zum Gespräch über die als herausfordernd wahrgenommene Situation sowie Ängste und Sorgen am Lebensende verstanden werden. Die wenigsten Patienten verstehen die Äußerung eines Todeswunsches primär als Frage nach einem auf Tötung ausgerichteten Leistungsangebot.
So sollen angesprochene Ärzte in der Kommunikation immer sorgfältig hinterfragen und explorieren, welche Faktoren zur Äußerung des Todeswunsches geführt haben und ob es medizinische, therapeutische oder lebenszentrierte Maßnahmen gibt, die zu einer Verbesserung der Situation und so zu einer Verringerung des Todeswunsches führen können.
Dazu ist es hilfreich, den Todeswunsch genauer zu charakterisieren – nach Art, Intensität und Akuität des Handlungsimpulses.
Wie akut ist der Impuls?
“Am liebsten wäre mir, ich würde heute Nacht einschlafen und nicht mehr aufwachen” ist ein typisches Beispiel für einen Todeswunsch mit eher mildem Handlungsimpuls. Am anderen Pol dieses Spannungsfeldes liegt eine Äußerung wie “Wenn Sie mir nicht sofort die Spritze geben, springe ich aus dem Fenster – jeden Hund hätte man doch schon längst eingeschläfert”.
Charakterisieren Sie die Akuität des Handlungsimpules, hilft Ihnen dies, systematisch festzulegen, welche Akutreaktion der Situation angemessen ist und in welcher Unmittelbarkeit Therapieziele festzulegen und therapeutische Maßnahmen einzuleiten sind. Je akuter der Impuls, umso dringlicher ist eine schnelle angemessene Reaktion. Bei milder Akuität ist oft wertschätzendes, verständnisvolles Aushalten und Mittragen das richtige Verhalten.
Suizidalen Handlungsdruck einordnen
Hilfreich zur Charakterisierung eines Todeswunsches ist es zudem, den suizidalen Handlungsdruck zu differenzieren. So können geäußerte Todeswünsche durch eine von Zufriedenheit geprägt Lebenssattheit zustande kommen und für ein passives Akzeptieren des ohnehin bevorstehenden Todes stehen, sie können aber auch akuten Handlungsdruck zu unmittelbarem suizidalen Verhalten offenbaren.
Ein niedriger suizidaler Handlungsdruck ist oft Ausdruck der “normalen” Auseinandersetzung mit den schwierigen Herausforderungen und existenziellen Themen am Lebensende. Ein hoher suizidaler Handlungsdruck muss Anlass sein, zu prüfen, ob zum unmittelbaren Lebensschutz eine psychiatrische Vorstellung erfolgen sollte.
Auch hier gilt es, die Schnelligkeit einer Intervention dem Druck angemessen zu gestalten: von Bestätigung und Rückversicherung bis hin zu akuter – gegebenenfalls auch rettungsmedizinisch unterstützter – Intervention.
Welche Motivation besteht?
Die vielleicht wichtigste Frage ist, welche Motivation zur Äußerung des Todeswunsches geführt hat. Ein mögliches Motiv ist, die Belastung in der aktuellen Lage plastisch bildlich mitzuteilen und Überforderung einzugestehen – verbunden mit dem Wunsch nach Hilfe, um diese Situation zu überwinden und wieder in eine stabilere, zufriedene Lebenssituation überführen zu können.
Auch die Manifestation eines Lebenswunsches zeigt sich paradoxerweise häufig auf diese Art. Todeswünsche gehen oft Hand in Hand mit Lebenshunger und sind somit Ausdruck einer nachvollziehbaren menschlichen Ambivalenz.
Gerade Personen, die eine hohe Erwartung an die eigene Lebensgestaltung haben und somit einen ausgeprägten Wunsch nach Leben in sich tragen, neigen wegen der Fallhöhe im Falle eines Scheiterns dazu, aktiv den Wusch nach dem Ende zu benennen.
Um diese Ambivalenz angemessen zu würdigen, ist oft ein “emotional geschützter Raum” hilfreich, der Schwingungen zulässt, ohne dogmatisch oder aktionistisch zu reagieren. Dieser Raum entsteht bei gelungener Kommunikation.
Ein ebenso häufiger Grund ist die Angst vor einem schweren Sterbeprozess, der einen vorzeitig herbeigeführten Tod als die bessere Wahl erscheinen lässt. Sich der Unerträglichkeit der akuten Situation zu entziehen, die letzte Kontrolle über das eigene Leben zu behalten in einer Lage, die zwangsläufig in den Kontrollverlust der Sterbephase führt, die Angst vor schutzlosem und als entwürdigend empfundenem Ausgeliefertsein – diese Motive drücken unter anderem oft den Wunsch nach Sicherheit, Geborgenheit sowie Anerkennen des Bedürfnisses nach Würdeerleben bis zuletzt aus.
Ein wertvolles Element ist auch hier emotional präsente Rückversicherung, dazu der Hinweis auf eine mögliche unterstützende Einbindung strukturell verlässlicher Kompetenz wie Hospiz- und Palliativversorgung, um Letztverlässlichkeit in der Begleitung und eine Normalität des Alltags als gemeinsam anzustrebendes Therapieziel zu erreichen.
Eine rechtzeitige Einbindung hilft hier oft, ein wirkliches Vertrauensverhältnis aufbauen zu können. Eine späte Einbindung bei bereits ausgeprägter Belastung schließt das nicht aus, läuft aber Gefahr, von der rein somatischen Symptomkontrolle dominiert zu werden.
Den eigenen Tod als Akt des Altruismus an der Gesellschaft oder der umgebenden Familie zu sehen, als Schrei der Verzweiflung in unerträglicher – auch existenzieller – Leidsituation und letztlich auch als Testfrage an den Arzt (“Wie geht er mit dieser Provokation um? Steht er bei mir oder lässt er mich fallen?”) sind weitere anzutreffende Gründe.
Literatur beim Verfasser.
Interessenskonflikte: Der Autor hat keine deklariert.