Wann ist ein Patient ein Palliativpatient? Zum einen sind das natürlich diejenigen, die von einem ambulanten oder stationären Palliativteam betreut werden. In der Hausarztpraxis könne man sich aber auch einfach die “Surprise Question” stellen, meinte Dr. Torben Brückner, Hausarzt und Palliativmediziner aus Schwalbach: “Wäre ich überrascht, wenn dieser Patient in den nächsten sechs Monaten verstirbt?”
Lautet die Antwort Nein, sei möglicherweise eine Palliativversorgung sinnvoll, wobei die Antwort auf die “Surprise Question” immer in Gesamtschau mit dem klinischen Zustand des Patienten betrachtet werden sollte.
Es könne dennoch grundsätzlich sinnvoll sein, mit diesen Patienten zum Beispiel einmal über eine Patientenverfügung zu sprechen. “Wobei noch wichtiger eigentlich eine Vorsorgevollmacht ist, weil die Regelungen bei der Patientenverfügung alle paar Jahre gesetzlich neu geregelt und verkompliziert werden”, berichtete Brückner bei der 47. practica in Bad Orb.
Auch eine Bankvollmacht sei wichtig, ebenso die Frage, wer sich bei einer ambulanten Versorgung vor Ort kümmert – und ob das überhaupt realistisch ist. “Ich rate auch dazu, ein Pflegebett oder einen Toilettenstuhl schon früh anzusprechen, auch wenn der Patient das noch nicht unbedingt benötigt – einfach, weil es manchmal sogar Jahre dauert, bis man das tatsächlich bekommt.”
Das A und O bei der Betreuung von Palliativpatienten sei eine gute Mundpflege. Brückner: “Man sollte bei Hausbesuchen unbedingt in den Mund schauen!” So könne ein Grund für die Appetitlosigkeit auch ein Mundsoor sein. Übernehmen bei Sterbenden Angehörige die Pflege, sollte man sich regelmäßig die Mundpflege vormachen lassen – “um zu gucken, ob noch alles richtig gemacht wird.”
Mundpflegestäbchen empfahl der Palliativmediziner eher nicht, mit einem mit Wasser gefüllten Sprühfläschchen lasse sich ein trockener Mund mindern, wenn Schlucken schmerzhaft oder unmöglich ist. Auch nach Beinödemen sollte der Patient regelmäßig kontrolliert werden, bisweilen komme zudem eine Palpation und Auskultation in Frage.
“Und: Sprechen Sie mit den Angehörigen. Da merkt man am ehesten, wenn die Stimmung kippt und sie die Versorgung vielleicht nicht mehr selbst schaffen”, so Brückner. Grundsätzlich riet er dazu, Palliativpatienten eher früher als zu spät in einem Hospiz versorgen zu lassen. “Wünsche und Vorlieben können dann noch klar geäußert werden, in der Sterbephase geht das oft nicht mehr.”
Medikation bei Schmerzen
In der Palliativmedizin steht die Behandlung von Schmerzen oft im Vordergrund. Brückner erinnerte daran, dass Schmerzen nach fünf Grundregeln therapiert werden sollten:
- bevorzugt wird die orale Gabe (lässt sich besser steuern),
- zu regelmäßigen Zeiten und
- nach WHO-Stufenschema.
- Präparatewahl und Dosierung richten sich nach dem jeweiligen Patienten wobei
- Grunderkrankungen, Nebenwirkungen und nicht-medikamentöse Maßnahmen im Blick behalten werden sollten.
Gerade in der Sterbephase ist das Schlucken von Tabletten aber oft nicht mehr möglich, hier greift der Palliativmediziner auch schon mal zum Fentanylpflaster – aber keinesfalls sofort. “Man muss sich überlegen, was wirklich praktikabel ist. Kann ein Patient nicht mehr schlucken, kann man auch mal auf Pflaster umschwenken.
Bei kachektischen Patienten wirkt das Pflaster aber oft sehr schlecht.” Statt Fentanylpflaster sei auch die mehrmalige subkutane Gabe von Morphin eine Alternative, wenn die Pflasterlösung nicht den gewünschten Effekt zeigt.
Kommen Opioide zum Einsatz, wird zwischen retardierten und unretardierten Opioiden unterschieden. Brückner startet meist mit einem fest angesetzten retardierten Opioid und riet, dieses morgens und abends zu verabreichen. “Damit habe ich bessere Erfahrungen gemacht als mit einem 24h-retard-Präparat.”
Sollte es mittags zu einer Schmerzspitze kommen, empfahl er, eher die Dosis am Abend und am Morgen anzupassen als mittags eine dritte Dosis zu geben.
Neben dem retardierten Opioid kann ein unretardiertes Opioid bei Bedarf verordnet werden – und das müsse nicht unbedingt aus der gleichen Stoffklasse sein. “Grundsätzlich gilt: Opioide verschiedener Klassen dürfen nicht vermischt werden, also zum Beispiel Fentanyl plus Tilidin. Ein retardiertes Opioid und ein unretardiertes Opioid als Bedarfsmedikament derselben Klasse sind aber möglich”, erklärte Brückner.
Medikation bei Atemnot
Wie bei allen Symptomen müsse man auch bei Atemnot nach der genauen Ursache forschen. Brückner: “Bei einem Pleuraerguss können Diuretika oder je nach Gesundheitszustand sogar eine Punktion helfen, bei einer Pneumonie Antibiotika und bei neu aufgetretenen Ängsten gebe ich in der Palliativsituation klassischerweise Benzodiazepine.”
Manchmal helfe auch einfach ein offenes Fenster oder ein Ventilator, die Gehhilfe oder der Rollator, um besser Luft zu bekommen. “Auch das kann man mal probieren.” Schließlich kämen auch Opioide bei Atemnot in Frage – dann handele es sich aber strenggenommen um einen Off-Label-Use.
Medikation bei Übelkeit, Erbrechen und Obstipation
Auch hier gelte es, multiple Ursachen im Blick zu haben, etwa Mundsoor, Gastritis, Obstruktion oder auch medikamentöse Ursachen. Brückner: “Patienten, denen Opioide verabreicht werden, weist man am besten schon zu Beginn der Therapie darauf hin, dass Übelkeit in den ersten Wochen häufig auftritt.” Einen guten Überblick über Differenzialdiagnosen und Therapiemaßnahmen könne man sich in der S3-Leitlinie “Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht-heilbaren Krebserkrankung” verschaffen (siehe Link-Tipp unten).
“Grundsätzlich sind bei Übelkeit und Erbrechen Haloperidol-Tropfen in der Palliativsituation sehr beliebt, da gibt man dann etwa drei bis fünf Tropfen unverdünnt dreimal am Tag. Das klassische MCP funktioniert aber auch.” Nicht selten seien auch Kombinationen nötig, etwa Haldol plus MCP.
Verstopfung und Durchfall seien Themen, über die viele Patienten nicht gerne reden, “da muss man aktiv nachfragen.” Wenn man das Problem rechtzeitig angehe, sei die Prognose gut. Standard bei der Therapie sei Macrogol oder Laxoberal, “das funktioniert aber nur, wenn genügend getrunken wird, ansonsten kommt Dulcolax in Frage.”
Abschließend rief Brückner zwei grundlegende Dinge in Erinnerung: “Schmerzmittel aus eigenem Bedarf dürfen nicht vor Ort gelassen werden – und BTMs von verstorbenen Patienten nicht angenommen werden, im schlimmsten Fall riskiert man damit seine Approbation.”
Fazit
- Wann ist ein Patient ein Palliativpatient? Stellen Sie sich in der Praxis einfach mal die “Surprise Question”.
- Das A und O ist vor allem bei Palliativpatienten, die nicht mehr schlucken können, eine gute Mundpflege. Achten Sie aber auch auf Beinödeme.
- Die Behandlung von Schmerzen steht meist im Vordergrund, aber auch Atemnot, Übelkeit und Obstipation sind häufig.
- Palliativpatienten sollten eher früher als zu spät in einem Hospiz versorgt werden.