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Chronifizierter SchmerzAuf Haltung und Bewegung achten

Bei chronischen Beschwerden im Bewegungsapparat muss der Mensch als Ganzes gesehen werden, die Bewegung als eine neuromuskuläre Leistung, die durch neue Bewegungsmuster verändert werden kann.

Akuter versus chronischer Schmerz

Bei akuten Schmerzen, die beispielsweise infolge eines Traumas auftreten, erfolgt häufig eine symptomorientierte Diagnostik und Therapie, die auch meist erfolgreich ist. Anders stellt es sich beim chronischen Schmerz dar. Die Ursachen sind dann meist nicht strukturell sondern funktionell, die reflektorische Motorik ist beeinträchtigt. Auch wenn eine strukturelle Veränderung z.B. Arthrose vorliegt, spielt die funktionelle Ebene eine Rolle.

Die aufrechte Körperhaltung als propriozeptive Leistung

Die unwillkürliche Motorik erlaubt uns die aufrechte Körperhaltung (posturale Kontrolle), die Bewegungsabläufe und die Koordination. Unbewusst erfolgt das Lernen von Bewegungsprogrammen.

Dafür werden ständig afferente Informationen der Rezeptoren der Sehnen und Muskeln (über Kraft sowie Stellung und Bewegung der Gelenke) sowie die Nozizeption (Wahrnehmung von Reizen, die überlasten könnten) gesammelt und zusammen mit dem z.B. vestibulo-okulären Stellreaktionen zentral verarbeitet. Innerhalb von Millisekunden erfolgt die efferente Antwort.

Zusammen mit dem limbischen System sind somit die aufrechte Körperhaltung und die täglichen Bewegungsabläufe eine neuro-muskulo-emotionale Leistung. Die Eigenwahrnehmung wird auch als Propriozeption bezeichnet. So wird beim Stolpern innerhalb von 20 ms das System der aufrechten Körperhaltung aktiviert, um einen Sturz zu verhindern.

Diese Muskeln und Faszien sind in Ketten organisiert, sozusagen “von der Zehe bis zum Zahn”. Insbesondere sind auch spiralförmige Muskelketten wichtig, die nur bei Bewegung aktiviert werden. Zum Beispiel hat die Stellung der rechten Scapula einen Einfluss auf die Stabilität des linken Beines.

Über einseitige Belastungen entstehen Dysbalancen und die Muskulatur verspannt zunehmend. Daraus resultieren Schmerzen, weitere Fehlhaltungen, Verkürzungen etc. – so entsteht das chronische Schmerzsyndrom.

Dabei gibt es besondere Schlüsselregionen der propriozeptiven Steuerung: Füße und Unterschenkel, Lumbalregion mit Iliosakralgelenk und die Kopfsteuerung mit den Nackenrezeptoren, dem craniomandibulären System und den Augen und dem Labyrinthorgan.

Anamnese und Untersuchung wichtiger als Radiologie

Daher ist es sinnvoll, bei anhaltenden und chronisch rezidivierenden Beschwerden den Patienten “anders” anzuschauen. Wichtig ist die Anamnese und die körperliche Untersuchung. Dabei sollten Haltungs- und Gangmuster beobachtet werden. Die täglichen Bewegungsmuster müssen analysiert werden.

Durch unsere nicht “artgerechte” Lebensweise werden die Muskeln häufig als Haltemuskeln missbraucht. Auch beim häufig durchgeführten Training im Fitness-Studio werden die Muskeln meist nur in der Kraft gestärkt, die Funktion in der Muskelkette aber nicht verbessert.

Röntgen- und MRT-Bilder haben ihre Sinnhaftigkeit, um maligne Veränderungen und Frakturen auszuschließen. Die ab einem bestimmten Alter häufig dargestellten degenerativen Veränderungen sollten nicht dazu führen, das funktionelle System zu vernachlässigen. Eine laborchemische Untersuchung als Basis um z.B. eine rheumatische Erkrankung auszuschließen, ist selbstverständlich.

Oft liefert ein Schmerzpatient im Rahmen der Anamnese auch Erklärungen, wie das Problem entstanden sein könnte. Dabei spielen auch häufig psycho-emotionale Einflüsse eine Rolle. Der Arzt sollte durch gezielte Fragen z.B. nach Zahnbehandlungen, Bruxismus oder einer neuen Brille unterschiedliche Aspekte beleuchten. So kann die Ursache teilweise auch bei langjährigen Beschwerden gefunden werden.

Der Fuß als Fundament

Im Rahmen der zunehmenden Bewegungsarmut kommt es häufig zu Störungen der aufsteigenden Muskelkette vom Fuß nach oben. Der eigentlich flexible Fuß mit 26 Knochen, mit Muskeln, Sehnen und Bändern wird in seiner taktilen und sensomotorischen Funktion gestört.

Es erfolgt eine Ruhigstellung durch Schuhe und glatte Böden, ggf. auch durch das Tragen von starren Einlagen. Durch die geschwächte Muskulatur können Fuß- und Beinachsenfehlstellungen zunehmen und damit die ganze Statik beeinflussen.

Sowohl bei sportlichen Aktivitäten als auch meist in der Physiotherapie wird selten an ein Training der Füße gedacht. Dadurch nimmt die koordinative Leistung ab, die bei jedem Schritt im Sinne eines Einbeinstandes eine Rolle spielt. Jeder Schritt kann zu einer Schwächung des Systems führen.

Die Kopfsteuerung

Das craniomandibuläre System kann durch eine muskuläre Überlastung wie beim Knirschen, durch eine Dysfunktion des Kiefergelenkes oder durch einen Fehlbiss auch im Rahmen einer zahnärztlichen Behandlung auf die absteigende Muskelkette einen Einfluss haben. Der M. masseter ist in Bezug auf seine Größe der stärkste Muskel unseres Körpers.

Die absteigende Muskelkette kann auch durch eine Fehlbelastung des okulären Systems irritiert werden. Als Beispiel soll das lange Arbeiten mit einer Gleitsichtbrille am Bildschirm erwähnt werden. Außerdem werden durch die zunehmenden Zeiten an Handy und Co. die äußeren Augenmuskeln überlastet, die wiederum mit der Nackenmuskulatur verknüpft sind.

Therapie

Bislang nicht erwähnt wurde die Notwendigkeit des täglichen Dehnens von verkürzten Muskelketten durch den Patienten selbst sowie das schwierige Thema der Entspannung.

Wenn Therapien, “da wo es weh tut”, das Problem nicht lösen, sollte an die erwähnten aufsteigenden und absteigenden Muskelketten gedacht werden. Neue Bewegungsmuster sollten geübt werden. Des Weiteren kann eine Behandlung im Bereich der Zähne oder Augen erforderlich werden. Wichtig ist ein tägliches Gleichgewichtstraining einzuführen. Dies ist auch meist noch in fortgeschrittenem Alter möglich.

Daraus ergibt sich die Notwendigkeit mit anderen Ärzten und Therapeuten zusammen zu arbeiten. Dabei sollte insbesondere das Thema Lernen und Eigenständigkeit im Vordergrund stehen. Neue zentral gesteuerte Bewegungsabläufe entstehen.

Fazit

Chronische Schmerzen sind häufig unerklärlich und beeinflussen die Lebensqualität unserer Patienten. Durch das Denken in neuromuskulären Zusammenhängen von der Zehe bis zum Zahn kann der Hausarzt mitunter langjährige Beschwerden erkennen und durch entsprechende Therapien behandeln.

Literatur bei der Verfasserin. Mögliche Interessenkonflikte: Die Autorin ist für die Firma Medreflexx als Beratungsärztin tätig.

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