Wenn sich Zeichen einer Demenz zeigen, kann den Betroffenen schon Jahre vor einer ausgeprägten Manifestation der Erkrankung eine Früherkennung angeboten werden. Inzwischen lässt sich eine Alzheimer-Demenz bei Patienten mit sicher diagnostizierten klinischen Vorzeichen (Mild Cognitive Impairment, MCI) mit einer Vorhersagestärke von 85 bis 90 Prozent prognostizieren, sofern geeignete Methoden eingesetzt werden, heißt es in der aktuellen S3-Leitlinie "Demenzen", die im Januar 2016 publiziert wurde.
Recht auf Nichtwissen
Doch dabei gilt: Jeder Patient hat ein Recht auf Nichtwissen! Denn eine Demenz-Diagnose kann für manche Betroffene zwar eine Entlastung bedeuten, aber sie kann auch eine schwere Krise hervorrufen. Das bedeutet, dass kognitive Tests nur nach vorheriger Aufklärung und mit Einwilligung des Patienten erfolgen dürfen. Dabei sind mögliche Vor- und Nachteile einer Diagnosestellung zu berücksichtigen. Außerdem ist zu prüfen, inwiefern der Patient überhaupt einwilligungsfähig ist.
Bestehen keinerlei Symptome, die auf eine Demenz hinweisen, dann sollten auch keine Maßnahmen zur Frühdiagnostik erfolgen – auch nicht zum Ausschluss einer demenziellen Erkrankung.
Diagnostik
Für die Diagnose und Therapie einer Demenz ist nicht zwingend die Überweisung an einen Facharzt erforderlich, auch der Hausarzt kann die erforderlichen Maßnahmen durchführen. Darauf weist die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) im "Hausärztlichen Kapitel" der S3-Leitlinie hin: "Gerade die langjährige Kenntnis der Patienten und ihres Umfeldes ermöglicht hier Einschätzungen, die über das hinausgehen, was Testbatterien zu bieten haben".
Welche Untersuchungen werden empfohlen? Zunächst sollte eine genaue Eigen-, Fremd-, Familien- und Sozialanamnese unter Einschluss der vegetativen und Medikamentenanamnese erfolgen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine Vielzahl von Erkrankungen zu dem klinischen Syndrom einer Demenz führen kann (Tab. 1). Eine körperliche internistische und neurologische Untersuchung ist aus diesem Grund unerlässlich.
Das Vorliegen und der ungefähre Schweregrad der kognitiven Störungen lassen sich dann mit einfachen Tests bestimmen (Tab. 2). Für differenzialdiagnostische Fragestellungen sowie bei leichten Demenzformen können ausführliche neuropsychologische Tests erforderlich sein.
Eine Liquordiagnostik kann in Einzelfällen hilfreich sein, wenn Hinweise auf eine reversible Ursache vorliegen. Allerdings sind potenziell behandelbare, beispielsweise durch zerebrale Entzündungen verursachte Demenzursachen in der Hausarztpraxis eine Rarität.
Bildgebende Verfahren werden empfohlen, z. B. um eine potenziell behandelbare bzw. reversible Ursache nicht degenerativer und nicht ischämischer Art aufzudecken (z. B. subdurales Hämatom, Tumor, Normaldruckhydrozephalus).
Medikamente differenziert einsetzen
Wenig Neuerungen gibt es bei der medikamentösen Therapie der Demenz. Noch immer ist kein Medikament in Sicht, das den Verlauf einer Demenz beeinflussen oder die Erkrankung gar heilen kann. Zur Verfügung stehen vier Substanzen, die den Verfall der kognitiven Fähigkeiten bekämpfen können. Wichtig ist, dass Antidementiva differenziert je nach Patient, Neben- und Wechselwirkungen und Grad der Erkrankung eingesetzt werden. Die DEGAM weist darauf hin, dass eine Medikation mit anticholinergen Substanzen nach Möglichkeit beendet werden sollte, bevor eine medikamentöse Therapie der Demenz in Angriff genommen wird. Dadurch soll das Risiko unerwünschter Wirkungen beider Substanzgruppen minimiert werden. Zu beachten ist außerdem, dass Antidementiva nur dann zu Lasten der GKV verordnet werden können, wenn Verlaufskontrollen durchgeführt werden und diese Kontrollen nicht eine deutliche Verschlechterung zeigen.
Die Acetylcholinesterase-Hemmer Donepezil, Galantamin und Rivastigmin fördern die Fähigkeit der Patienten, ihre Alltagsaktivitäten zu verrichten und stabilisieren die kognitive Funktion und den Gesamteindruck bei einer leichten bis mittelschweren Alzheimer-Demenz. Acetylcholinesterase-Hemmer sollten nur abgesetzt werden, wenn die Nebenwirkungen den Nutzen übersteigen, weil sonst das Risiko einer klinischen Verschlechterung besteht.
Memantin verbessert die Alltagsfunktion und den klinischen Gesamteindruck bei Patienten mit moderater bis schwerer Alzheimer-Demenz. Bei leichtgradiger kognitiver Beeinträchtigung sehen die Leitlinienexperten jedoch keine Wirkung und raten vom Einsatz ab.
Neu in den Leitlinien ist die günstige Beurteilung von Ginkgo biloba EGb 761 bei Personen mit leichter bis mittelgradiger Alzheimer-Demenz oder vaskulärer Demenz, die zusätzlich unter Verhaltensänderungen wie Depression oder Antriebsstörungen leiden. Für das Phytopharmakon liegen Hinweise auf die Wirksamkeit bei Patienten mit leichter bis mittelgradiger Alzheimer-Demenz oder vaskulärer Demenz und nicht psychotischen Verhaltenssymptomen vor.
Viele weitere Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel, die derzeit bei Demenzkranken angewendet werden, sind dagegen wirkungslos. Dazu gehören z. B. Vitamin E, nicht steroidale Antirheumatika, eine Hormonersatztherapie u. a.
Nicht medikamentöse Therapien
Einen hohen Stellenwert bei der Behandlung und Betreuung von Demenzkranken haben psychosoziale Interventionen. Sie wirken so gut wie Medikamente und werden als gleichrangige zentrale Bausteine im Gesamtbehandlungsplan von Demenzerkrankungen angesehen. Nützliche Verfahren sind z. B. die kognitive Stimulation und eine individuell angepasste Ergotherapie. Auch gezielte körperliche Aktivitäten können möglicherweise die kognitiven Funktionen verbessern, ebenso Alltagsfunktionen, psychische und Verhaltenssymptome, Beweglichkeit und Balance. Günstige Effekte wurden auch bestimmten künstlerischen Aktivitäten bescheinigt, z. B. einer Musiktherapie. Kaum hilfreich sind dagegen Aromastoffe.
Angehörige einbeziehen
Auf die Angehörigen von Demenzkranken sollte der Hausarzt ein besonderes Augenmerk legen, so die DEGAM in ihrer Empfehlung. Denn subjektiv leiden die An- und Zugehörigen häufig stärker unter der Demenz als die Betroffenen selbst. Sie fühlen sich oft überfordert und entwickeln infolgedessen gesundheitliche Probleme. Zudem leiden sie oft unter einer emotionalen Belastung durch die Veränderung der Kranken und unter physischen Belastungen durch die Pflegetätigkeiten. Daher sollten die Angehörigen an intensiven Trainings teilnehmen, um Folgen der hohen Belastung, z. B. Depressionen, zu vermeiden und weitere Erleichterungen herbeizuführen.
Prävention durch aktiven Lebensstil
So mancher Patient wird fragen, wie sich eine Demenz verhindern lässt. Es gibt zwar keine spezifischen Präventionsmaßnahmen, aber dennoch sinnvolle Strategien, um das Erkrankungsrisiko zu reduzieren. Einige Risikofaktoren für eine spätere Demenz sind bekannt, z. B. Hypertonie, Diabetes, Hyperlipidämie, Adipositas und Nikotinabusus. Somit sind die Prävention und die frühzeitige Behandlung dieser Erkrankungen gleichzeitig als Demenzprävention anzusehen. "Als Faustregel gilt: Was dem Herzen gut tut, hilft auch dem Gehirn", so Prof. Frank Jessen, Köln, der an der Entwicklung der neuen Leitlinien beteiligt war.
Empfehlenswert in dieser Hinsicht ist ein aktiver Lebensstil mit körperlicher Bewegung, sportlicher, sozialer und geistiger Aktivität. In den Leitlinien wird zudem eine ausgewogene Ernährung empfohlen. Fisch und Mittelmeerdiät scheinen protektiv zu wirken.
Fazit
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Patienten mit klar definierten Vorzeichen einer Alzheimer-Demenz kann eine Früherkennung angeboten werden. Eine Frühdiagnostik darf nur mit Einverständnis des Patienten erfolgen. Bei beschwerdefreien Patienten sollte kein Screening erfolgen.
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Antidementiva sollten gezielt eingesetzt werden.
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Psychosoziale Interventionen sind ein wichtiger Bestandteil der Demenztherapie.
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Intensive Trainingsprogramme können die Angehörigen entlasten.
Tab. 1: Mögliche Ursachen eines Demenz-Syndroms
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Endokrinopathien Hypothyreose, Hyperthyreose, Hypoparathyreoidismus, Hyperparathyreoidismus
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Vitaminmangelkrankheiten Vitamin-B12-Mangel, Folsäuremangel, Vitamin-B1-Mangel, Vitamin-B6-Mangel
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Metabolische Enzephalopathien Chronische Lebererkrankungen (M. Wilson, Hämochromatose, Leberzirrhose, chronische Nierenerkrankungen (Dialyse-Enzephalopathie)
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Intoxikationen Industriegifte (z. B. Kohlenmonoxid, Quecksilber, Blei, Perchlorethylen) Medikamente (z. B. Kardiaka, Antihypertensiva, Psychopharmaka), Alkoholabhängigkeit
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Elektrolytstörungen Hyponatriämie (z. B. diuretische Behandlung), Hypernatriämie
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Hämatologisch bedingte Störungen Polyzythämie, Hyperlipidämie, multiples Myelom, Anämie
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Chronische Infektionskrankheiten M. Whipple, Neurosyphilis, Neuroborreliose, Zytomegalie, HIV-Enzephalitis, progressive multifokale Leukoenzephalitis
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Spätformen der Leukodystrophien z. B. Zeroidlipofuszinose
Tab. 2:
Kognitive Kurztests
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Mini-Mental-Status-Test (MMST)
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DemTect
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Test zur Früherkennung von Demenzen mit Depressionsabgrenzung (TFDD)
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Montreal Cognitive Assessment Test (MoCA)
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Uhrentest (nur in Kombination mit den anderen Kurztest-verfahren)
Quellen: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) und Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN): S3-Leitlinie Demenzen, Januar 2016; Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie